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Zwischen Havanna und Bagdad

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Wer es unternimmt, politische Atmosphäre und reale Ergebnisse des letzten Gipfels der Führer der block- 'freien Nationen in Havanna zu analysieren, unterliegt allzu leicht der Versuchung, eine einfache Erklärung in der persönlichen Anziehungskraft Fidel Castros, verstärkt durch den Einfluß der Außenpolitik des heutigen Kuba zu finden.

Aber auch wer nach den tieferen Gründen dieser Entwicklung sucht, wird kaum an der Ausstrahlung vorbeigehen können, die Kuba und sein charismatischer Führer - der auch als 50jähriger wenig Mühe hat, eine revolutionäre Herkunft glaubhaft zu machen - auf die politische Phantasie vieler Führungskräfte der Dritten Welt nach wie vor ausübt. In ihrer politischen Geographie bleibt Kuba weiterhin in erster Linie das lateinamerikanische Entwicklungsland, das sich als erstes einen politischen Weg selbst gewählt und diesen konsequent begangen hat.

Seine heutige Nähe - manche würden sagen Abhängigkeit - zum Kommunismus sowjetischer Observanz gewinnt aus dieser Sicht in vielen Hauptstädten der Dritten Welt einen anderen Stellenwert als in Europa. Selbst das Auftreten kubanischer Truppen in Afrika - auch in der blockfreien Bewegung keineswegs unumstritten - kann von einem solchen Standort aus noch als Akt tätiger Solidarität mit afrikanischen Befreiungsbewegungen gesehen' werden.

Dennoch hieße es die politischen Kräfte Kubas und einiger gleichgesinnter Staaten überschätzen, wollte man den Umstand, daß in Havanna große Teile der blockfreien Bewegung mit einer neuen, härteren Sprache gesprochen haben, lediglich auf das geschicktere Agieren der kubanischen Diplomatie - vielleicht auch die eine oder andere geglückte Manipulation - zurückführen.

So ist nach den tieferen Ursachen zu forschen, die Kuba und seinen Gesinnungsfreunden - noch vor wenigen Jahren als kleine, wenngleich streitbare Minorität deutlich am Rande der Blockfreiheit angesiedelt - gestatten, heute größeren Raum in der Bewegung einzunehmen und in zunehmendem Maße Fähigkeit Zu erwerben, Schwankende und Unentschlossene mit sich zu ziehen.

Das Verständnis dieser Entwicklung mag es fördern festzustellen, daß einen besonderen Gewinn an Einfluß und Sympathie heute gerade solche Führer der Blockfreien sicher sein können, die sich ihre Unabhängigkeit in besonders bitterer Auseinandersetzung mit früheren Kolonialmächten erworben haben; oder - wie die Führer der Unabhängigkeitsbewegung im südlichen Afrika - noch heute in solchen Auseinandersetzungen stehen.

Ihre Sprache und ihr Beispiel - deren sich auch manche der Staatschefs des karibischen Raumes, wie Michael Manley, Maurice Bishop oder Forbes Burnham gerne bedienen - scheint heute an Anziehungskraft das klassische, von Indien, Jugoslawien oder Ägypten repräsentierte Modell der Blockfreiheit an Anziehungskraft weit zu überstrahlen.

Sicher kann die Schwächung des Einflusses der klassischen Blockfreiheit nicht nur mit dem Umstand erklärt werden, daß viele ihrer Begründer wie Nasser, Nehru, Nkru- mah oder Sukarno heute nicht mehr am Leben sind. In der Person Präsident Titos besitzen diese Grundsätze einen nach wie vor lebendigen und aktiven Zeugen.

Gewandelt haben sich aber manche der Voraussetzungen für die Entwicklung blockfreier Politik in der Welt. In den ersten Jahren der Bewegung stand im Vordergrund das Bemühen, zwischen dem politischen und militärischen Einflußbereich der Weltmächte freien Raum zu schaffen, in dem sich das Unabhängigkeitsstreben der Dritten Welt zu entwik- keln vermochte. Darüber hinaus stand Blockfreiheit für einen höheren Grad der Demokratisierung der internationalen Beziehungen und ein Maß an Mitsprache bei der Lösung von Weltproblemen, das dem politischen Gewicht einer so großen Zahl von Staaten entspricht.

• Die Anerkennung der Blockfreiheit als neue, unabhängige Kraft der Weltpolitik war freilich nur unter strikter Wahrung der Äquidistanz von West uhttöst denkbar. Erst unter dieser Voraussetzung konnte Blockfreiheit als weltpolitischer Faktor Glaubwürdigkeit gewinnen, seine Forderungen auch gegen Weltmächte mit Erfolg durchsetzen.

Anlehnung an eines der beiden großen weltpolitischen Lager mußte dagegen dieses Bemühen durchkreuzen, die Blockfreiheit zur Wirkungslosigkeit verurteilen. Für viele blockfreie Staaten konnte dabei das Beispiel Jugoslawiens, sein erfolgreicher Versuch, sich zwischen Ost und West selbst in Europa eine angesehene, unabhängige Stellung zu schaffen, als vorbildlich gelten.

Diesem Modell, das der blockfreien Bewegung in der Vergangenheit unzweifelhafte Erfolge beschieden hat, stellt Kuba seine neuen Thesen entgegen, die aus der sehr subjektiven Erfahrung dieses Landes in der Auseinandersetzung mit einer einzigen Weltmacht schöpfen.

Außer Zweifel steht auch, daß die Thesen Kubas keineswegs neu sind und die Auseinandersetzung darüber schon früher Treffen der Blockfreien - wie etwa das Gipfeltreffen von Algier - intensiv beschäftigt hat. Wenn diesen Thesen heute größeres Echo zuzukommen scheint, so kaum deshalb, daß eine Mehrheit der Blockfreien bereit ist, ein größeres Nahverhältnis zur Sowjetunion einzugehen oder sich gar in eine neue Abhängigkeit von einer der großen Weltmächte zu begeben.

Bestechend an den Thesen Kubas und seiner Gesinnungsgenossen wirkt aber, daß diese von ihnen - sei es Vietnam, sei es Mozambique, sei es Äthiopien oder Angola - das Argument des Erfolges auf ihrer Seite haben. Die Frage, mit welchen Mitteln dieser Erfolg errungen wurde, tritt gegenüber dem Wunsch zurück, Durchbrüche dort zu erzielen, wo sich gegen die Beseitigung letzter Bastionen des Kolonialismus, gegen die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechtes, nach wie vor scheinbar unüberwindliche Schranken auftun.

In der Erfahrungswelt Kubas und vieler seiner Gesinnungsgenossen tritt aber auch ein anderes Elementder klassischen Blockfreiheit - Erzwingung von Wandel mit friedlichen Mitteln - gegenüber dem offenen Bekenntnis zur Notwendigkeit und Nützlichkeit der Anwendung von Gewalt in den Hintergrund.

Waren das bevorzugte Schlachtfeld der traditionellen Blockfreiheit die Verhandlungssäle und die großen Konferenzen der Vereinten Nationen, ja selbst die stille Diplomatie klassischer Prägung, so tritt heute in den politischen Aussagen der Blockfreien daneben auch die militärische Lösung von Konflikten als neue Kategorie.

Sofeme die blockfreie Bewegung als Ganzes ist, so sehr zeigen die Konferenz von Havanna, die Sprache ihrer Beschlüsse, wie sehr auch neue Thesen auf dem Feld der Blockfreiheit Boden gewonnen haben. Behält auch die Politik ihren Primat, so ist der Abstand zur Gewalt in vielen Fragen geringer geworden: die Frage ist zu stellen, ob Frustration und Verzweiflung so vield Teile der Dritten Welt erfaßt haben, daß Zuwendung zur Gewalt als einzige Lösung aus scheinbarer politischer oder wirtschaftlicher Auswegslosigkeit erscheint.

Die Frage ist angebracht, ob sich hier nur legitime Ungeduld junger Völker und ihrer Führer widerspiegelt oder ob tatsächlich Grenzen der Toleranz erreicht sind. Diese Frage gilt für den Kampf der Menschen im südlichen Afrika um Menschenwürde und Selbstbestimmung nicht weniger als für das Streben des palästinensischen Volkes um Verwirklichung seiner nationalen Rechte.

Zu fragen ist, ob die bisherigen Methoden des Dialogs zwischen Nord und Süd - symbolisiert durch immer größere, immer langsamer arbeitende Konferenzen der Vereinten Nationen - tatsächlich die erstrebte Wende im wirtschaftlichen Geschick einer überwältigenden Mehrheit der Menschheit, wenigstens Hoffnung auf das Ende von Armut, Unwissenheit und Krankheit gebracht haben. ’

Wenngleich die Antwort auf diese Fragen nicht eindeutig ausfallen kann, so zeigt die Konferenz von Havanna, daß jedenfalls nach dem Gefühl vieler Menschen und Führer der Dritten Welt das Maß des Zumutbaren erreicht, die Zeit gekommen ist, neue Bilanz zu ziehen.

Gerade gegen diesen Hintergrund erhält die unzweifelhaft gewachsene Anziehungskraft der Thesen Kubas - die vorläufig die einer Minderheit bleiben - ihre weltpolitische Bedeutung. Gerade gegen diesen Hintergrund der Ungeduld und Frustration erscheint die Konferenz von Havanna als Signal, das genauer Analyse bedarf.

Diese Analyse wird davon auszugehen haben, daß die kommenden Jahre von einer tiefen Auseinandersetzung um ein neues Konzept derBlockfreiheit beherrscht sein, neue Thesen den klassischen Prinzipien der Bewegung - die im Grundsatzteil der Deklaration von Havanna noch einmal bekräftigt wurden - gegenübertreten werden.

Dieser Richtungsstreit wird an der Schlagkraft der Bewegung nicht spurlos vorübergehen. Dies zeigen nicht zuletzt Begebnisse in und um die herbstliche Generalversammlung der Vereinten Nationen, in der die blockfreie Gruppe kaum so geschlossen und auch nicht in dem Sinne auftritt, wie es mancher Beschluß von Havanna erwarten ließ.

Es hieße allerdings die Kräfte unterschätzen, die den politischen Zusammenhalt der Nationen der Dritten Welt ausmachen, wollte man von diesem Richtungsstreit auf einen Zerfall der Bewegung schließen. Gerade die Unwahrscheinlichkeit einer Spaltung gibt dem Ausgang der Auseinandersetzung um die künftige Linie der Blockfreiheit so große Bedeutung.

Bis zu ihrer VII. Gipfelkonferenz, die 1982 in Bagdad stattfinden soll, wird also mit der Bewegung der Blockfreien zu rechnen sein. Welche Kräfte sich in dieser Bewegung durchsetzen, wird aber nicht nur von den blockfreien Staaten und den in ihrem Kreis wirkenden Kräften bestimmt werden - wobei landläufige Etiketten wie „Gemäßigte“ oder „Radikale“ immer nur einen Teil der politischen Realität beschreibep können.

Fortschritte in der Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechtes der Völker - dort, wo es noch nicht verwirklicht ist - werden diese Richtung ebenso bestimmen, wie neue Erfolge im Kampf um eine bessere, gerechtere Weltwirtschaftsordnung. Die Verantwortung für die Zukunft der blockfreien Bewegung ist somit nicht einseitig verteilt, sie ist eine Aufgabe verantwortungsvoller Weltpolitik, an der gerade auch die demokratischen Industriestaaten des Westens so hohen Anteil haben.

(Der Autor ist der ständige Vertreter Österreichs bei der OECD; im September nahm er bei der Gipfelkonferenz der blockfreien Staaten in Havanna als Beobachter teil, zumal er als ehemaliger österreichischer UN- Botschafter noch immer gute Kontakte zu Regierungsvertretem der Dritten Welt hat.)

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