6848753-1976_36_07.jpg
Digital In Arbeit

Noch zögern die Radikalen

19451960198020002020

Nach dem scharfen Wind, der von der Vorkonferenz der Außenminister herüberwehte, war plötzlich alles auf politische Festwochen im Ferienparadies Ceylon abgestimmt. Der Gipfel begann. Die politischen Führer der Blocklosen, der Dritten Welt, waren eingetroffen. Die Auffahrt jedes Regierungschefs, am Buddha aus weißem Marmor vorbei, auf die Rampe der von China gespendeten Bandaranaike-Festhalle war eine Staats- und eine Glanzaffäre.

19451960198020002020

Nach dem scharfen Wind, der von der Vorkonferenz der Außenminister herüberwehte, war plötzlich alles auf politische Festwochen im Ferienparadies Ceylon abgestimmt. Der Gipfel begann. Die politischen Führer der Blocklosen, der Dritten Welt, waren eingetroffen. Die Auffahrt jedes Regierungschefs, am Buddha aus weißem Marmor vorbei, auf die Rampe der von China gespendeten Bandaranaike-Festhalle war eine Staats- und eine Glanzaffäre.

Werbung
Werbung
Werbung

Dann, am Abend, beim Empfang, bewegten sich die Delegierten der hundert Mitglieds-, Beobachter- und Gaststaaten in phantastischen Landestrachten und glänzenden Uniformen unter den Klängen von Wiener Walzern und k. u. k. Militänmärschen, aufgespielt von Musikzügen und vom Cotamibo-Symphony-Orchestra. Eine Mischung aus Hollywooddramatik, orientalischem Glanz und Wiener Atmosphäre leitete das fünfte Gipfeltreffen die Blocklosen in Colombo ein Der Monsun hatte ausgesetzt. Orchideentschwere Bäume und orchi-deendjarbene Saris säumten das Bild.

Wie strahlten am ersten Abend nach dem Beginn der Konferenz Regierungschefs, Delegierte, und am meisten die Gastdelegierten aus dem Westen! Selbst die Journalisten wurden kindlich heiter. „Endlich haben sie sich zur echten Blockfreiheit durchgerungen“, meinte ein Gastdelegierter aus dem Westen, „sie sprechen gar nicht mehr vom amerikanischen Iimperialismius. Nur noch von Supermächten. Und jetzt meinen sie beide, die USA und die UdSSR“, jubelte der sonst eher kritische Korrespondent aus Zürich.

Das war nach der Eröffnungsrede der Frau Bandaranaike, Ministerpräsidentin des Gastlandes Sri Lanka und daher Präsidentin der fünften Blocklosenikonfereniz: „Wir wollen nicht die Tyrannei der Majorität in der UNO erzwingen.“ Frau Indira Gandhi trieb die Stimmung zur Euphorie: „Wir sind nicht ein Block. Wir sind auch nicht die Dritte Welt. Wir sind ein Teil der (unteilbaren) Welt!“ Und Marschall Tito#die vereinsamte Vatergestalt unter den Blocklosen, vollendete, gefestigt vom jugoslawischen Gesundheitsschiff,

das im Hafen von Colombo lag, kommend, das Bild der weltumfassenden Harmonie der Blocklosigkeit: „Wir sind keine Option für Ideologie.“ Doch drei Tage später war diesem Satz der Inhalt genommen. „Ein Glück, daß es Blockfreie gibt“, sagte mir noch am zweiten Abend im Pressezentrum ein finnischer Gastdelegierter. „Die werden die Welt zu einem Welt-Helsinki zwingen.“ Da hatte sich aber die Farbtönung der Konferenz schon au ändern begonnen. Es ging Kuba zu, wo 1979 die sechste, die nächste Gipfelkonferenz stattfinden wird.

Nach den Unveribindiichkeiten der Begrüßungsreden hatten die Radikalen ihre Sprache wiedergefunden. Am zweiten Tag, bei der Rede des Nordkoreaners, spürte man, daß

Kräfte um die Führung zu ringen begannen, die, untereinander verbunden, schon in Colombo den Weg nach Kuba bereiten wollten. Was der Nordkoreaner gesagt hat, war ja vorauszusetzen gewesen, hätte gar nicht anders sein können. Doch es elektrisierte, sammelte hörbar und fühlbar die anderen Radikalen. Die Phase der Unsicherheit war überstanden, die Zeit für das Wiegen der Worte war vorbei. Gegen Abend hatten die Aggressiven zum alten Vokabular zurückgefunden und ein neues dazu erfunden. Es wurde jetzt vom „Feind“ gesprochen. Dia neue Be-griffssymbiose „Imperialismus-Zionismus“ wurde Propagandatautologie. Und sie nannten die Angeklagten mit Namen; voran die USA, dann auch Deutschland, Frankreich, England. Israel war die schwarze Zielscheibe auf der Strohpuppe „Imperialismus“, auf die sich alle einschos-sen. Der ganze Feindkomplex, die USA, der Westen, Israel, wurde für Südafrika verantwortlich gemacht, war das getarnte Oberflächenbild des Kapitaliismus-Imperialismus-Zionismus, als dessen wahrer Kern Apartheid und Südafrika zu gelten haben.

Sicherlich, es war nur eine Minorität, die so sprach. Nur vierzehn von den fünfundachtzig) Vollmitgliedern der Blocklosen beteiligten sich an den krassesten Polarisierungseffek-ten. Doch wann und wo übertönt nicht die Aggressivität einer Minorität eine Majorität, die vorsichtig und zurückhaltend ist? Erst am vorletzten Tag der Gipfelkonferenz begannen die Vertreter der Gemäßigten sicherer, bestimmter zu sprechen, und man spürte ihren Willen, den Radikalen Widerstand zu leisten. In-

donesiens Außenminister, Adam Malik, gehörte zu den ersten, die sich gegen die von der Minorität ausgelöste Lawine der Radikalisierung stemmte. Und seine Worte hatten Gewicht; er war der einzige, der schon 1956 bei der afro-asiatischen Konferenz Sukarnos, in Bandung, gewesen ist. Er hat damals erlebt, wie die Polarisierung auf dieser Konferenz sein Land, Indonesien, in die Konfrontation mit Malaysia trieb, Und Malik sprach in Colombo als der Mann, der das Vertrauen nicht müder Regierung genießt, sondern auch von ASEAN, den Staaten der Südostasiatischen Assoziation.

Warum hat der Widerstand dei Gemäßigten so spät eingesetzt? Was hat Adam Malik so spät veranlaßt, sich gegen die Radikalisierung zu

stemmen? Sunardi, Generalsekretär des Indonesischen Journalistenverbandes und Begleiter von Adam Malik, erklärte mir die Situation: „Sie haben die Taktik des Blitzkrieges versucht. Ihre Aggressivität war nicht vorgesehen. Sie hatten Bandaranaike zugesagt, die Konferenz im Geist des ersten Tages weiterzuführen. Adam Malik hat erst am Mittwoch erfahren, daß die Radikalen — Kommunisten und mit ihnen verbündete Nationalisten — sich Dienstag abends auf einem nordkoreani-

schen Frachter, der vor Colombo lag, getroffen hatten. Fast wäre der Blitzkrieg geglückt, hätte sich Adam Malik ihnen nicht entgegengestellt.“

Am Abend des dritten Tages lag die innere Spaltung der Blockfreien offen zutage. Die Radikalen warnten nun vor den Spaltungsimanövern der Imperialisten. Ghaddafi kündigte eine „Säuberung“ der Blocklosen in Kuba an. Dort werde er die Rechnung vorlegen. Vietnams Ministerpräsident Phan Dhong sprach von der Notwendigkeit, „Qualität (der Mitglieder) vor Quantität zu reihen“. Und unter den Delegierten, den Kommunisten und den mit ihnen verbündeten Nationalisten, sprach man von „Trojanischen Pferden unter den Blocklosen“.

Aber alle, die Radikalen und die Gemäßigten, mahnten auch zur Wahrung der Einheit. Und die Mahnungen wurden mit jeder Stunde dringlicher.

Colombo und Havanna sind nicht nur Tagungsorte. Die Aufeinanderfolge der Tagungsorte der Konferenzen ^dingt auch einen Wechsel im Vorsitz und in der Amtsführung. Immer ist der politische Führer des Gastlandes Vorsitzender der Konferenz und auch Amtsführer in den drei Jahren bis zur nächsten. Frau Bandaranaike hat als Vorsitzende versucht, Extremismus, Aggressivität und damit die Spaltungsgefahr während der fünften Konferenz zu mildern. Sie wird in den drei Jahren ihrer Amtsführung zu verhüten suchen, daß die Blocklosen aum Instrument einer politischen Gruppe werden. Wer aber wind ihr politisch und organisatorisch mit Rat und Tat zur Seite stehen? Wie eng verknüpft ist schon die Zusammenarbeit der Gemäßigten? Nach den drei Jahren Amtsführung der Frau Bandaranaike kommt die Amtsführung des Fidel Castro. Dann wird die Amtsführung in die Hände des Mannes übergehen, der dann an der Spitza des Irak steht, wo die siebente Konferenz stattfinden soll. Den drei Jahren kommunistischer Führung werden drei Jahre extrem arabischer Amtsführung folgen; sechs Jahre sind eine lange Zeit, wenn es gilt, eine „Massenorganisation“, eine amorphe Bewegung, in eine verwendbare Form zu gießen. Und unter den Radikalen, auch unter jenen, die einander wenig lieben, versteht man die Technik der Zusammenarbeit. Die Rivalität der beiden kommunistischen Großmächte gefährdet nur wenig das „Fraktio-

nieren“ der Radikalen, da China eher innerhalb der einzelnen Delegationen als auf die Führungen selbst Einfluß bat. Die Ära Havanna hat schon an Bord des nordvietnamesi-schen Frachters in Colombo begonnen.

Dem „Amtsführenden Präsidenten“ wind ein Koordinationskomitee zur Seite stehen. Die Diplomaten der Blocklosen hatten vor der Gipfelkonferenz fast eine Woche lang über die Zusammensetzung des Koordina-tionskomitees diskutiert; es war eine Kardinalfrage und für Bewegungen, die vongeben, weltpolitische Veränderungen anzustreben, sind Organisationsfragen politische Fragen erster Ordnung. Es kommt auf den Amtsführenden Präsidenten an. Ein guter Amtsführender Präsident und ein richtig zusammengesetztes Komitee können der amorphen Bewegung der Blocklosen zumindest für eine Zeit

die Wirkung einer Internationale verleihen. Frau Bandaranaike wird es nicht tun. Das Komitee in seiner gegenwärtigen Zusammensetzung entwickelt eher zentrifugale als zen-tralistische Tendenzen.

Schon hat es, bei den Diskussionen über das Koordinationskomitee, Tendenzen dahingehend gegeben, ein Schattenkomitee des Sicherheitsrates der UNO au bilden. Jugoslawien forderte, daß der Amtsführende das Komitee im Not- und Aggressionsfall einberufen müsse. In der Endresolution wurde gefondert, daß dem Sicherheitskomitee der UNO das Vetorecht abgesprochen werde. Möglichkeiten der Gewichtsverlagerung von der UNO auf die Blocklosen und Möglichkeiten der organisierten Machtverlagenung von den Blocklosen auf die UNO via Koordina-tionskomitee und Amtsführenden Präsidenten sind offen. Frau Bandaranaike wind sicherlich keine Macht-und Funktionsverlagerungen zwischen UNO und Blocklosen anstreben. Aber Fidel Castros Amtsführung ist nur drei Jahre entfernt.

Es ist eine Minderheit, die aus dem Weg über Kuba zum Irak einen politischen Weg machen will, doch eine tatkräftige, zeitweise koordinierte Minorität. Führt sie au zielstrebig, so provoziert sie die Gefahr der Spaltung. Fidel Castro hat das erkannt. Er war in Colombo erwartet worden. Alles war für ihn bereit, besonders alle Radikalen, von Ghaddafi bis Neto. Fidel kam nicht, und seine Leute, Delegierte undi Journalisten, begründeten dies damit, daß Castro eine frühzeitige Polarisiemng vermeiden wollte, die auf dam Weg nach Kuba und in Kuba stelbst ohnedies zu erwarten sei. Auch Adam Malik sagt die Gefahr dieser Polarisierung voraus und die Radikalen begannen am letzten Tag, ihre Stimmen so au mäßigen, daß die Einheit, die sie brauchen, nicht schon in Colombo gefährdet war. In den Ab-schlußdokumenten spürt man den Einfluß der Gemäßigten. Der Tonfall ist zwar krasser als in den vergangenen Dokumenten der Block-losen, doch das Programm ist viel unbestimmter als1 bisher: ein Ausdruck der schwindenden Einheit.

Und selbst dem Haß auf Israel, dem gemeinsamen Nenner, sind offenbar Grenzen gesetzt; Es blieb bei den traditionell gewordenen Drohungen gegen Israel.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung