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Demontage der Blockfreiheit

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Der Appell des jugoslawischen Staatspräsidenten Josip Broz Tito zur Einheit, hat die Blockfreien noch einmal über die Runden gerettet. Das von der Konferenz der Außenminister der blockfreien Staaten in Belgrad verabschiedete Verlegenheits-Dokument scheint hiefür der Beweis zu sein. Aus der 61 Seiten langen Resolution wurde alles Strittige ausgeklammert, nur um die Konferenz zu einem Ende zu bringen.

Was während des sechs Tage dauernden Spektakels in den Sälen des Belgrader Konferenzzentrums geboten wurde, spricht auch für alles andere, nur nicht für Einheit, an die Aufschriften in vier Sprachen in den Tagungssälen mahnten. Die Vorbehalte sind geblieben, die magische Formel heißt jetzt „Einheit in Vielfalt” - als ob die Vielfalt in diesem illustren Kreis neu wäre. Im Gegenteil war sie auch mit der wachsenden Zahl der blockfreien Staaten das Anziehendste, weil unverbindlichste, und sie wurde der Not gehorchend nur noch unverbindlicher formuliert.

Neu aber ist die Härte und Unnachgiebigkeit, mit der „Blockfreie” ihr Ziel verfolgen, die anderen umzudrehen und sie zum Anhängsel eines Blockes umzufunktionieren. Das hat mit kaum überbietbarem Zynismus der kubanische Delegierte, Isidor Malmierca, formuliert: „Blockfreiheit zur Überwindung der Blockteilung ja, aber (sozialistische) Freunde und (imperialistische) Feinde dürften nicht verwechselt werden.” Seine Behauptung, daß die „Söhne Kubas in die schwarze Heimat ihrer Väter nach 200 Jahren zurückgekehrt sind, um für die Blockfreiheit zu kämpfen”, untermauerte noch das Politbüromitglied der kubanischen Kommunisten, Rodriguez, auf einer Pressekonferenz mit der Feststellung: „Wir werden es auch in Zukunft tun.”

Mit einem Seitenhieb auf Ägypten („Wer nach Jerusalem geht, will verständlicherweise nicht nach Havanna”) versuchte Malmierca auch den ägyptischen Delegierten Galib vor der Konferenz zu diskreditieren. Dieser hatte am Vortag die Verlegung des Gipfels der Blockfreien im kommenden Jahr von Havanna an einen anderen Ort verlangt, oder dessen Verschiebung. Zahlreiche Blockfreie, die die Blockfreiheit tatsächlich als Kurs zwischen den Blöcken verstehen, scheinen den Standpunkt der Ägypter zu teüen. Galib hatte sich auch gegen Versuche gewandt, blockfreie Staaten in die „ideologische Konfrontation hineinzuziehen”.

Der kubanische Delegierte attak- kierte aber auch China. In Beobachterkreisen wird der Angriff des kubanischen Chefdelegierten auf Peking als unverblümte Provokation des jugoslawischen Staatschefs Tito gewertet, der in Kürze den chinesischen Parteichef Hua Kuo-feng zu einem Staatsbesuch in Jugoslawien erwartet.

Titos feierlicher Appell zur Eröffnung der Konferenz, die „Unabhängigkeit” jedes blockfreien Staates zu stärken und somit die Aktionseinheit der Blockfreien wiederherzustellen, scheint die kubanische Delegation jedenfalls nicht beeindruckt zu haben. Daran scheiterte letztlich der von Jugoslawien eingebrachte Antrag zur Verurteilung jeder militärischen Intervention in der blockfreien Welt, aus dem Madagaskar die müitärische Hilfe für Blockfreie ausgeklammert wissen wollte. Die Blockfreien haben sich an Krieg als Mittel zur Beilegung von- Konflikten schon so gewöhnt, daß das Schlichtungskomitee nur noch am Rande Erwähnung findet. Daß die Bruderkriege am schwarzen Kontinent jetzt noch hemmungsloser aufflammen werden, ist zu befürchten, ob sie nun von außen, von interessierten Großmächten geschürt werden oder nicht.

Die Blockfreien haben ihre moralische Berechtigung trotz aller Mahnungen im Konferenzpalais von Belgrad zurückgelassen, da sie noch nicht einmal in der Lage waren, den Krieg als politisches Mittel zu ächten. Ob den Gipfel der Unverfrorenheit Malmier- cas Seitenhieb auf die „chinesischen Mandarine, die zu den Imperialisten abgewandert sind”, darstellte, oder der Hohn für die Friedensbemühungen des ägyptischen Präsidenten Sadat im Nahen Osten, oder die kubanische Unterschrift unter die Konferenz-Resolution, in dgr viel von Frieden und Freiheit die Rede ist, scheint gleichgültig. Ebenso daß Kuba Vorbehalte gegen die Verurteilung des Hegemonismus anmeldete, ein Ausdruck, der üblicherweise für alle Formen sowjetischer Herrschaft gebraucht wird.

Die rücksichtslose Brüskierung des Gastgebers der großen Außenministerkonferenz ünd Senior der blockfreien Bewegung, Josip Broz Tito, ist Symptom eines Trends, der für die Zukunft dieser losen Gemeinschaft nichts Gutes verspricht. Ebensowenig der Versuch, die Blockfreien in „progressive” und „konservative”, wenn nicht gar „reaktionäre” zu dividieren, dem ideologische Kriterien zugrunde gelegt werden. Auch davor hatte der unabhängige Kommunist Tito gewarnt, der ablehnte, „daß die Bewegung an irgendeine Ideologie gebunden wird”. Treffender wäre wohl „angebunden”, denn darum geht es letztlich.

Daß unter solchen Umstände^ eine Reihe unabhängiger blockfreier Staaten auf der Belgrader Konferenz keine Veranlassung mehr zu weiterer Zurückhaltung sahen, kann nicht verwundern. „Die Wahl des politischen und ideologischen Weges ist Angelegenheit jedes einzelnen blockfreien Staates, aber wir sind entschieden dagegen, daß einige zehntausend kubanischer Söldner Afrika mit Krieg überziehen”, faßte der Außenminister von Marokko die Meinung der in der Praxis einen Kurs zwischen den Blöcken steuernden Staaten zusammen, die drohen, die Gipfelkonferenz im Herbst 1979 in Havanna zu boykottieren. Aber den entsprechenden Beschluß der Belgrader Konferenz zur Abhaltung des Gipfels unterschrieben sie doch.

Die Belgrader Außenminister-Konferenz, deren Ziel die Wiederbelebung und die Rückkehr zu den klassischen Prinzipien der Blockfreiheit war, wie sie vor 17 Jahren in Belgrad die Staatschefs von 25 Staaten formuliert hatten, endete jetzt mit einem Papier, das offenbar noch nicht einmal die Unterzeichner selbst ernst nehmen. Die tiefe Krise der blockfreien Staaten ist in Belgrad für jeden ungeschminkt sichtbar geworden.

Die Blockfreien sind kaum mehr ein „einzigartiger unabhängiger und selbständiger Faktor der Weltpolitik”, wie es Tito zu Beginn der Konferenz formuliert hatte, sondern eine Ansammlung von Staaten, die in ihrer gegenwärtigen Zusammensetzung zu einer gemeinsamen Aktion kaum mehr fähig sind, da sie ihre Prinzipien und somit den Glauben an sich selbst aufgegeben haben. Daß die Demontage der Blockfreiheit noch zu Lebzeiten des letzten geistigen Vaters dieser Idee eingeleitet wurde, ist für Tito nicht ohne persönliche Tragik, von den unvermeidlichen Konsequenzen für die blockfreie Außenpolitik Jugoslawiens ganz zu schweigen.

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