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Kein Anhängsel des Ostblocks

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Jugoslawien ist Gründungsmitglied der Blockfreien. Trotzdem ist sein Verhältnis zur Dritten Welt heute schwierig. Ein Hintergrundgespräch mit dem Belgrader Publizisten Ran-ko Petkoviö.

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Jugoslawien ist Gründungsmitglied der Blockfreien. Trotzdem ist sein Verhältnis zur Dritten Welt heute schwierig. Ein Hintergrundgespräch mit dem Belgrader Publizisten Ran-ko Petkoviö.

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FURCHE: Die Belgrader Ta geszeitung ,Jiorba“ hat 1948 Neh-rus Konzeption der Blockfreiheit als „doppelsinnig“ bezeichnet. Indessen ist Jugoslawien zum führenden Mitglied der Bewegung geworden. Welche Gründe haben Jugoslawien dazu veranlaßt, der Bewegung der Blockfreien beizu-

RANKO PETKOVIC: Es ist bekannt, daß Jugoslawien in den ersten Nachkriegsjahren harte Zusammenstöße mit den westlichen Mächten, in erster Linie den USA und Großbritannien, auszutragen hatte wegen der Unterstützung, die jene Italien im sogenannten Triester Konflikt leisteten.

Kurz darauf mußte sich Jugoslawien auch dem Druck Stalins und der Kominform-Staaten widersetzen, die sich zum Ziel gesetzt hatten, Jugoslawien das Recht auf eine selbständige innere Entwicklung zu nehmen und zur Rolle eines Befehlsempfängers der sowjetischen Politik zu degradieren. Aus diesen Beispielen wird klar ersichtlich, daß Jugoslawien wie ein blockfreies Land zu einer Zeit handelte, als die Blockfreiheit noch gar nicht existierte.

Etwa genau vor 30 Jahren, am 18. und 19. Juli 1956, fand auf den Brio-ni-Inseln das Treffen zwischen Tito, Nasser und Nehru statt, auf dem die globalen und nicht blockgebundenen Prinzipien der Blockfreiheit definiert wurden.

Beinahe hätte ich vergessen: Sie erwähnten die Zeitung „Borba“ und das Jahr 1948. In der Gebundenheit an die Freiheit und Unabhängigkeit bestanden zwischen Tito und Nehru niemals Unterschiede.

FURCHE: Mit dem Tod des ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser verlor Jugoslawien seinen besten Verbündeten innerhalb der Bewegung der Blockfreien. Indien zeigt heute wenig Interesse ander Bewegung. WelcheEr-wartung setzt Jugoslawien als einziges europäisches Land in die Bewegung?

PETKOVIC: Wie Sie wissen, war Indien der Gastgeber der 7. Konferenz der Blockfreien 1983 in Neu Delhi und im September wird der indische Premier Rajiv Gandhi die Stafette des Vorsitzenden an den Premier Simbabwes, Robert Mugabe, weitergeben.

Was die Rolle Jugoslawiens bei den Blockfreien betrifft: So wie andere blockfreie Länder im Rahmen ihrer regionalen Politik Ziele der Blockfreiheit vertreten, setzt sich Jugoslawien im europäischen Raum, besonders innerhalb der Gruppe der neutralen und blockfreien Länder, für eine Uberwindung der Blockschranken ein.

FURCHE: Bei der Blockfreienkonferenz 1979 in Havanna ist es zu Auseinandersetzungen zwischen Jugoslawien und Kuba gekommen. Können Sie uns sagen, worum es da ging?

PETKOVIC: Was hat sich wirklich auf der 6. Konferenz der blockfreien Länder 1979 in Havanna ereignet? Kurz gesagt, eine Gruppe sogenannter radikaler Staaten versuchte der Blockfreienbewegung ein „natürliches Bündnis“ mit der Sowjetunion und dem Ostblock aufzudrängen, was faktisch bedeutet hätte, daß die blockfreie Bewegung ihre Aktivitäten ausschließlich gegen die USA und den Westblock gerichtet hätte.

Für die Mehrheit der Blockfreien, darunter auch Jugoslawien, war dies nicht akzeptabel, denn dadurch wäre die Blockfreiheit Teü der Blockkonfrontation geworden. Bei diesem Anlaß erhielt bekanntlich Präsident Tito als bisher einziger Staatsmann einmütig eine spezielle Auszeichnung für den Beitrag, den er für die Entstehung und Entwicklung der Bewegung auf dem Boden der sogenannten Grundprinzipien,die 1961 in Belgrad formuliert worden waren, geleistet hatte.

Jedes blockfreie Land besitzt das souveräne Recht in Ubereinstimmung mit seinen ideologischen und politischen Orientierungen, dieser oder jener Großmacht näher zu stehen, nicht aber das Recht, seine Option der gesamten Blockfreienbewegung aufzuzwingen.

FURCHE: In Jugoslawien spricht man oft von den „drei Säulen“ des jugoslawischen Außenhandels. Die Blockfreien sollen dabei die „dritte Säule“ bilden. In Wirklichkeit aber hat der Handelsaustausch Jugoslawiens mit der Dritten Welt niemals die 20-Prozent-Grenze überschritten. Warum?

PETKOVIC: Jugoslawien hat sich zur Aufgabe gemacht, daß die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern einen Anteil von 25 Prozent erreicht. Leider ist das noch immer ein schwer zu realisierendes Ziel. Die vielen ökonomischen Schwierigkeiten, in denen sich die Entwicklungsländer und auch Jugo-

„Oft hört man, daß Jugoslawien von den Blockfreien die Hände lassen sollte“ slawien selbst befinden, erschweren die Verwirklichung dieses Ziels.

FURCHE: Hat sich Jugoslawiens Position innerhalb der Blockfreien nach Titos Tod wesentlich geändert?

PETKOVIC: Man kann oft die Ansicht hören, daß Jugoslawien von der blockfreien Bewegung „die Hände lassen“ und nach Europa „zurückkehren“ sollte. Damit soll im Grunde zum Ausdruck gebracht werden, daß die Blockfreiheit Jugoslawien von Europa „abtrennt“, das dessen natürliches Hinterland darstelle.

Gleichzeitig stellt sich die Frage, was Jugoslawien im balkanischen und europäischen Raum ohne die Rolle, das Ansehen und den Einfluß, die es innerhalb der Blockfreienbewegung besitzt, bedeuten würde? Meiner Meinung nach würde es auf die geographischen und ökonomischen Parameter eines Landes zurückfallen, das sich am unteren Ende der europäischen Leiter befindet.

In den letzten Jahren geriet Jugoslawien ohnehin in eine Reihe von Schwierigkeiten, unter denen an erster Stelle die wirtschaftlichen Probleme, gekennzeichnet durch gewaltige Auslandsschulden, die nicht leicht zurückzuzahlen sein werden, stehen.

FURCHE: Es wird oft behauptet, daß im Zeitalter der Entspannung die Bewegung der Blockfreienfehl am Platz sei. Wie sehen Sie die Zukunft der Blockfreien?

PETKOVIC: Sehen Sie, eine solche Behauptung wurde zum ersten Mal Anfang der siebziger Jahre während des Entspannungshochs in den Beziehungen zwischen den Supermächten aufgestellt. Wozu Blockfreiheit, wenn wir uns allein verständigen können?! Und was geschah danach? Die Blockfreiheit wuchs in der Zwischenzeit zu der breitesten Bewegung von Staaten in der Geschichte der Menschheit heran, der auch von den Weltmächten immer mehr Achtung entgegengebracht wird.

Ranko Petkovi6 ist Chefredakteur der jugoslawischen Zeitschrift „Medjunarodna poli-tika“. Mit Ranko Petkovic sprach Alexander Orssich.

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