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Tito

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Am kommenden Montag wird der Präsident der Sozialistischen föderativen Republik Jugoslawien in Wien zu seinem schon seit längerer Zeit geplanten, aber mehrmals verschobenen Besuch eintreffen. Es ist ein offenes Geheimnis, daß Marschall Tito für diese Reise ein besonderes persönliches Interesse bekundet. Wien: Das ist die Stadt, durch deren Gassen — lang, lang ist es her — einmal ein junger Korporal der alten k. u. k. Armee namens Josip Brot ging. Die Mauern der österreichischen Hauptstadt nahmen in den dreißiger Jahren den politischen Flüchtling auf. Es ist mehr als verständlich, daß der im zweiten Weltkrieg zum legendären Führer der jugoslawischen Partisanen aufgestiegene Tito gerne diese Stätten seiner Jugend noch einmal und jetzt als Staatsgast sehen möchte. Es fällt auch nicht schwer, sich vorzustellen, welche Gefühle und Erinnerungen in dem Marschall wach werden, wenn die Enkel, mit deren Großväter er einmal in Reih und Glied marschierte, vor ihm ihre Gewehre präsentieren, wenn das Kommando „Habt acht“ über die Jahrzehnte hinweg sein Ohr erreicht.

Aber der Besuch Marschall Titos ist mehr als nur eine sentimentale Reise. Sie ist zunächst nach der Visite von Bundeskanzler Klaus in Belgrad eine neuerliche Bestätigung dafür, wie günstig sich die Beziehungen zwischen Jugoslawien und Österreich in den letzten Jahren entwickelt haben. Dabei, das soll nicht vergessen werden — gerade der Kontrast macht erst die Größe des Wandels deutlich —, waren 1945 zunächst mit keinem Nachbarstaat die Beziehungen so gespannt wie mit Jugoslawien. Die Karawanken drohten abermals eine blutige Grenze zu werden. Das alles ist Vergangenheit Grenzfragen stehen heute außerhalb jeder Diskussion, und die Rolle, die gerade unsere in Kärnten beheimateten Mitbürger slowenischer Zunge als Bindeglied zu der Völkergemeinschaft Jugoslawien spielen können, wird in zunehmendem Maß hierzulande erkannt. Die im letzten Jahr getroffenen Maßnahmen der jugoslawischen Regierung haben unsere Südgrenze zu einer offenen gemacht.

Jenseits aller Fragen der Touristik hat der Ausgleich, den Belgrad mit den Katholiken der jugoslawischen Föderation geschaffen hat, gewiß nicht unwesentlich dazu beigetragen, dem Geist der Verständigung und der Freundschaft eine breitere Basis im österreichischen Volk zu schaffen. So kann man mit gutem Recht sagen, daß die Beziehungen zwischen Österreich und Jugoslawien heute bessere sind als in der Zeit vor 1938 die unserer Republik zu dem Königreich der Südslawen.

Der Staatsbesuch, der am kommenden Montag beginnt, geht aber auch über die Dokumentation einer guten, geordneten Nachbarschaft hinaus. Er ist geeignet, jene, die es da und dort nicht wahrhaben wollen, darauf aufmerksam zu machen, daß die Kraftlinien der Geschichte über alle staatlichen und gesellschaftlichen Veränderungen hinweg unverrückbar sind. In den vergangenen Jahren hat man bei uns manchmal etwas einseitig nur Blickrichtung „West“ genommen und dabei vergessen, daß für Österreich, gerade für das neutrale Österreich, wenn es eine Aufgabe hat, diese in Donau-Europa zu suchen ist. Das ist keine Tagträumerei oder rückwärts gewandte Romantik. Dies ist auch keine Infragestellung des gesellschaftlichen Systems, welches der überwiegenden Mehrheit des österreichischen Volkes selbstverständlich ist. Dies ist nur eine Schärfung des Blickes für jene Möglichkeiten, in deren Erkennen und Ausschöpfen unsere wirklich europäische Aufgabe liegt.

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