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Blockfreie auf Traditionskur s

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Das siebte Gipfeltreffen der blockfreien Länder in Neu-Delhi ist abgeschlossen, fragt sich nun, welchen Kurs diese Bewegung unter der Präsidentschaft Indira Gandhis steuern wird. Der Grundtenor der Blockfreien ist auch in der indischen Hauptstadt antiwestlich geblieben. Doch sollte sich der Westen dadurch nicht täuschen lassen.

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Das siebte Gipfeltreffen der blockfreien Länder in Neu-Delhi ist abgeschlossen, fragt sich nun, welchen Kurs diese Bewegung unter der Präsidentschaft Indira Gandhis steuern wird. Der Grundtenor der Blockfreien ist auch in der indischen Hauptstadt antiwestlich geblieben. Doch sollte sich der Westen dadurch nicht täuschen lassen.

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Hat Neu-Delhi einen Markstein in der Geschichte der Blockfreien gesetzt? Die österreichische Gast- Delegation am Blockfreien-Gip- fel 1983 sieht das Hauptergebnis der Konferenz in „einer Verschiebung des Kräfteverhältnisses innerhalb der Blockfreien von der viel militanteren kubanischen Linie, die oft versucht hat, die Blockfreien in die Nähe der sowjetischen Außenpolitik zu drängen, zu der Linie der .klassischen oder .authentischen Blockfreiheit, die sich abwendet von den beiden großen Machtzentren in der entwickelten Welt“.

Vor ihrem Delhi-Gipfel stand die Bewegung der blockfreien Länder in einem eher ungünstigen Licht. Kubas Initiative anläß-

lieh des letzten Treffens in Havanna im Jahr 1979, die Sowjetunion im Zeichen des „Anti-Kolonialismus“ und „Anti-Imperialismus“ in der Dritten Welt zu ihrem „natürlichen Verbündeten“ zu machen, warf deutliche Schatten.

Die westlichen Industrieländer, die USA, aber auch viele Europäer, kommentierten diese ideologische Ausrichtung mit viel Skepsis. Dich auch innerhalb der Bündnisfreien selbst blieb der Versuch Fidel Castros, der Bewegung auch gleich seinen prosowjetischen Stempel aufzudrücken, nicht unbeantwortet. Der sowjetische Truppeneinmarsch in Afghanistan gab dann dem eher westlich gesinnten Lager die günstige Gelegenheit, gegen die äußere Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines blockfreien Staates zu protestieren.

Nach der äußeren „sozialistischen Harmonie“ in Havanna war das Außenminister-Treffen der Bündnisfreien-Bewegung 1981 ebenfalls in Neu-Delhi in zwei radikale Lager gespalten. Afghanistan und auch schon Kambodscha und der Indische Ozean bildeten die Trennungslinie.

Nach den anti-amerikanischen Tönen von 1979 prägte nur zwei Jahre später wieder der Ost- West-Konflikt die Blockfreien- Bewegung. Bereits hier aber zeigte sich ein dritter Trend hin zu einer echten Blockfreiheit der

Blockfreien, hin zu einer bewußten Äquidistanz zu den Großmächten und zu einer Stärkung der Unabhängigkeit der Dritten Welt auf politischer und wirtschaftlicher Ebene und folglich auch zu mehr Solidarität untereinander.

Der Konflikt in Afghanistan hatte auch dem Ansehen des jetzigen Gastgebers der Blockfreien, dem Gründerland Indien, beträchtlich geschadet. Ohne je die Kreml-Gewaltigen zum „natürlichen Verbündeten“ zu erklären, war Indira Gandhis Außen- und Innenpolitik schon seit jeher Moskau-freundlich.

Und doch ließ der pragmatische Kurs nicht lange auf sich warten. Denn Indiras Innenpolitik brauchte Geld, Moskau aber gab keine Kredite. Hier konnte nur die Weltbank helfen und die wiederum stellte ihre Bedingungen. Aber auch die Amerikaner, die die westlichen Finanzinstrumente kontrollieren, wollten sich nicht ständig durch die indische Außenpolitik provozieren lassen und gleichzeitig den reichen Onkel spielen.

Indira Gandhis Schwenker hin zur neutralen Mitte zwischen Moskau und Washington war spätestens seit 1981 mehr als ersichtlich. Mit seinem Nachgeben gegenüber den Forderungen des westlichen Blockfreien-Lagers und der vermehrten Distanz zu den Sozialisten wurde Indien auch glaubwürdiger, in- und außerhalb der Bewegung der Dritte- Welt-Neutralen.

Dies ebnete denn auch den Weg zu Frau Gandhis Präsidentschaft, die ihr wegen der notwendigen Verlegung des 7. Blockfreien- Gipfelš von Bagdad nach Neu- Delhi zufällig in den Schoß fiel.

Indiens eher nüchternes, ja farbloses Vorpapier als Entwurf zur Schlußerklärung der Konferenz, das in zahlreichen Konsultationen mit den regionalen Delegationen zustande kam, wurde vom Delhi-Gipfel im wesentlichen akzeptiert. Mit einer wichtigen Ausnahme: Ob Ost-Asien, Mittelost, Afrika, Lateinamerika oder die entsprechenden Randgebiete — jeder geographische Sektor hatte zu seinem regionalen Absatz der politischen Weitsicht der Blockfreien soundso viele zusätzliche Wünsche.

Den ASEAN-Staaten war eine klarere Sprache zu Indochina entscheidend; Pakistan wollte fest- halten, daß es mit Kabul zwar Gespräche führe, aber das dortige Regime nicht anerkenne; Sri Lanka war es wesentlich, die Forderung nach einer Friedenszone im Indischen Ozean und nach dem Abzug der Amerikaner aus Diego Garcia möglichst milde zu formulieren; die arabischen Eingaben betreffend Nahost verlangten die deutliche Unterstützung der PLO und die strenge Verurteilung des israelischen Aggressors im Libanon; die Afrikaner ließen in ihrer Haltung gegenüber dem rassistischen Regime in Pretoria keinen Zweifel offen. Schließlich ging es auch noch Lateinamerika darum, die Verantwortlichen für die Vorfälle im Süd-Atlantik wie die Unruhestifter in Zentralamerika zu nennen.

Mit allen diesen Zusätzen wurde die ursprüngliche Delhi-Erklärung nicht nur im , Umfang doppelt so dick, sondern auch im Ton um einiges schärfer. Anstatt die Neutralität zwischen den Blöcken zu betonen, was bedeutet hätte, daß man weder Ost noch West zu hart und auch nicht zu

milde anfaßte, gaben nun die Blockfreien-Regionen ihre Zielrichtung bekannt.

Es bleibt die Frage offen, ob die Blockfreien im Grundtenor nicht doch eher links von der Mitte stehen, vor allem angesichts der Tatsache, daß die USA kn politischen Konferenzpapier 16mal namentlich für Weltkrisen verantwortlich gemacht werden, insbesondere für die Situation in Nahost und Zentralamerika, und Großbritannien als der „Feind der argentinischen Souveränitätsansprüche im Südatlantik“ angesehen wird, andererseits die Sowjets weder in den Punkten Afghanistan, noch Kambodscha noch Indischer Ozean speziell angeführt sind. Zwei mögliche Erklärungen dazu wa-1 ren in den Wandelhallen der Delhi-Konferenz vorherrschend:

# Ein gewisser Anti-Kolonialis

mus ist ob der jugendlichen Unabhängigkeit der meisten der Dritte-Welt-Länder beinahe selbstverständlich. Anti-Kolo- nialismus wird von vielen von ihnen aber mit Anti-Imperialismus gleichgesetzt. Moskau war so gesehen nie „natürlicher Feind“ des Südens, nur die nördlichen Industriestaaten wurden für ihre Unterdrückungspolitik gebrand

markt.

1 Wo immer in der Dritten Welt die Sowjets’mit brutaler Macht auftreten — so in Afghanistan — scheint es auch den Blockfreien offensichtlich nutzlos, harte Positionen einzunehmen. Zum einen würde das die Bewegung angesichts der fanatischen Sozialisten in ihren Reihen nur noch mehr spalten, anderseits würde Moskau wohl kaum mit sich reden lassen.

Die Enttäuschung über US- Präsident Reagans starre Haltung gegenüber globalen Verhandlungen über ein neues Weltwirtschaftssystem unter Einbezug neuer Entwicklungshilfeinstitutionen wiederum war in Delhi unüberhörbar. Aus dieser Einsicht hat man sich entschlossen, dem Westen Dringlichkeitsmaßnahmen vorzuschlagen: Aufstockung von Weltbank-Kapital und Währungsfonds-Gelder, Rohstofffonds, Präferenzbehandlung der Dritte-Welt-Exporte und Neuaus- handeln der Schuldenlast. Und nun wartet man ab, wie die USA, aber auch die Europäer reagieren werden.

Die Dritte Weih als pluralistisches Gebilde spricht zum pluralistischen und demokratischen Westen. Die scharfe und anti-imperialistische Sprache in Delhi sollte dabei im Westen nicht mißverstanden werden. Sie ist auch von Hoffnung auf Einsicht und Zusammenarbeit geprägt, im Gegensatz zur Resignation, wie man sie dem anderen Machtblock gegenüber zeigt.

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