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Den vielen Worten müssen endlich Taten folgen

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Viele Worte - wenig Taten“, beschrieb die „Neue Züricher Zeitung“ in einem „Epilog zu Belgrad“ den Verlauf des ersten KSZE-Folgetreffens in der jugoslawischen Hauptstadt, das nach 28 Arbeitswochen in der vorletzten Woche zu Ende ging. Die „Presse“ kommentierte Ablauf und Ergebnis der Belgrader Folgekonferenz ähnlich: „Viel versucht und nichts erreicht“. Das deutsche Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ schließlich machte unter dem grünen Dach des Belgrader „Sava-Centars“ jene politische Atmosphäre aus, die die FURCHE schon zu Beginn des Folgetreffens prophezeite, wenn Ost und West das Aufrechnen der gegenseitigen Schuldbilanz zum wesentlichen Inhalt ihrer Gespräche machen würden: den „Kalten Krieg“ im Konferenz-Saal!

Worüber sich westliche Journalisten und auch Diplomaten gleichermaßen aufregten, war, daß im Abschlußdokument von Belgrad die Menschenrechte keine Erwähnung fanden. Denn als westliche Vertretungen - allen voran der amerikanische Delegationschef Arthur J. Goldberg - von Beginn des Folgetreffens an die Diskussion über die Menschenrechte forderten, schalteten die Sowjetunion und ihr kommunistischer Anhang auf stur. Moskaus Delegationschef Woronzow wörtlich: „Wir wünschen keine Erwähnung der Menschenrechte“. Als Begründung für diesen folgenschweren Schritt, der letztlich zum mageren Ergebnis der Konferenz führte, hatten die östlichen Staaten immer diesselbe „Gummiformel“ parat: das Prinzip der Nichteinmischung.

Solchermaßen in die Defensive gedrängt - denn mehr als ein „Schutzschild für die Machthaber“ („Salzburger Nachrichten“) ist die Phrase von der „Nichteinmischung“ nicht - versuchten die Sowjets den Spieß umzu-

drehen und den Westen zu attackieren. Uber Abrüstung sollte gesprochen werden - im Klartext: über das Verbot der amerikanischen Neutronenbombe, den Verzicht auf die Erstanwendung von Atomwaffen und den Nicht-eintritt in einen Militärblock. Daß vor allem die NATO-Staaten angesichts der östlichen Überlegenheit in konventionellen Waffen gegen solche Vorschläge Sturm liefen, ist verständlich. Dem permanenten „Njet“ der östlichen Delegationen folgte nun ein klares „No“ der USA und ihrer Verbündeten. Denn - und das wurde von westli-

cher Seite immer wieder betont -warum sollte in Belgrad über Fragen diskutiert werden, die schon lange Gegenstand von Verhandlungen in anderen Gremien sind?

Belgrad mußte auf Grund dieser Frontstellung der beiden Blöcke scheitern. Wer sich von dieser ersten KSZE-Nachfolgekonferenz einen weiteren Schritt in Richtung echter Entspannung erwartet hatte, wurde enttäuscht. Die Entspannungspolitik ist auf jener Stufe stehengeblieben, auf der ihr in Helsinki neues Leben einge-

haucht wurde, Manche mögen glauben, das sei genug, Belgrad sei jedenfalls kein Rückschritt, da die Vertreter der Teilnehmerstaaten im Schlußdokument die politische Bedeutung der KSZE unterstrichen und „die Entschlossenheit ihrer Regierungen bekräftigen, alle Bestimmungen der Schlußakte von Helsinki unilateral, bilateral und multilateral umfassend durchzuführen“.

Die Schlußakte bleibe ein Dokument, auf das sich die Menschen im kommunistischen Machtbereich berufen könnten („Kurier“). Das stimmt. Doch sind seit Helsinki mehr als zweieinhalb Jahre vergangen, da hätte sich doch eigentlich mehr im humanitären Bereich tun müssen. Was nützt's der Entspannung - oder besser: was nützt's den in Osteuropa betroffenen Menschen, wenn die Schlußakte lediglich ein schriftliches Dokument bleibt, auf das sich zwar jeder berufen kann, die politische Führung aber nicht gewült ist, konkrete Maßnahmen im humanitären Bereich zu setzen?

Natürlich: In der Sowjetunion und in ihrem osteuropäischen Vorfeld hat sich einiges getan, für Moskau schon zuviel, sonst hätte es die Belgrader Konferenz nicht scheitern lassen. Soviel man im Belgrader Abschlußdokument herumrechnet, Positives und Negatives abwägt, es bleibt nur bei dem einen Prozent Erfolg und zu 99 Prozent ein Fehlschlag - so kommentierte der Schweizer Delegierte B.ind-schedler das Ergebnis -, was die Diplomaten in Belgrad zustandebrach-

ten; eigentlich müßte es heißen, was die Delegierten der Machtblöcke zustandebrachten. Denn sie waren es, die in Belgrad - weit mehr als in Genf und Helsinki - den Ton angaben, beziehungsweise das Geschehen beherrschten. Die Sowjetunion gab unmißverständlich zu verstehen, wer in ihrem Machtbereich das Sagen hat und die östlichen Staaten hatten sich der von Moskau angeordneten Disziplin zu unterwerfen.

Daß bei diesen festgefahrenen Positionen die neutralen und blockfreien Länder sich so gut wie gar nicht durchsetzen konnten, bewirkte - und das ist positiv anzumerken -, daß diese Staaten im Verlauf der Konferenz immer enger zusammenarbeiteten. Das ging sogar soweit, daß Länder mit unterschiedlicher Gesellschaftsordnung ein Dokument mit substanziellem Inhalt ausarbeiteten, in dem sogar das kommunistische Jugoslawien für' Menschenrechte und Informationsfreiheit eintrat. Diese Zusammenarbeit sollten die Neutralen und Blockfreien in Hinkunft noch weiter ausbauen, nur so können sie zwischen den beiden Blökken als konstruktive dritte Kraft auftreten.

Bleibt die Hoffnung, „daß in Madrid 1980 das gelingt, was in Belgrad nicht gelungen ist“, wie der österreichische Gesandte Dr. Ceska es formuliert hat (siehe Interview). Die Entspannung muß und wird weitergehen, denn der „Geist von Helsinki“ ist trotz der „Belgrader Schlappe“ nicht erloschen. Nur ist es an der Zeit, daß der Ostblock im humanitären Bereich den eingegangenen Verpflichtungen auch Taten folgen läßt. Anders wird Moskau seine Entspannungspolitik selbst ad absurdum führen.

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