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Digital In Arbeit

Verstecktes Foul-Spiel

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Journalisten werden trotz der KSZE-Schlußakte von Helsinki in ihrer Arbeit noch immer behindert. Zu Spannungen haben .die Medien aber in Wahrheit wenig beigetragen.

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Journalisten werden trotz der KSZE-Schlußakte von Helsinki in ihrer Arbeit noch immer behindert. Zu Spannungen haben .die Medien aber in Wahrheit wenig beigetragen.

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Journalisten leben gefährlich: 1984 sind in 15 Ländern insgesamt 21 Journalisten in Ausübung ihres Berufes ums Leben gekommen, sieben mehr als im Vorjahr. Überdies wurden fünf verschleppt, 72 verhaftet, 31 tätlich angegriffen und 22 aus jenem Land gewiesen, in dem sie arbeiteten. Aus dieser Sicht kann man als Journalist nur hoch erfreut über jede Verbesserung von Arbeitsbedingungen dieses Berufes sein, wie sie 1975 im sogenannten Korb drei der KSZE-Schlußakte von Helsinki und dem Folgetreffen 1983 in Madrid festgeschrieben worden sind.

Leider sieht die Praxis anders aus: Die schönsten Bestimmungen sind dann wertlos, wenn sie nicht—oder zumindest einige Male nicht — eingehalten werden.

Weil bekanntlich Journalisten ohnedies überall ihren Senf dazugeben, konnte es nicht ausbleiben, daß sie über das zehnjährige Jubiläum dieser KSZE-Schlußakte nicht nur schrieben, sondern in einer eigenen Konferenz auf „historischem“ Boden in Helsinki darüber berieten.

Ich bin ein grenzenloser Optimist: Also vertrat ich in dem mir zugeteilten Eröffnungsreferat die Ansicht, daß Journalismus jedenfalls in diesen zehn Jahren die Spannung gefördert habe - direkt oder indirekt.

Denn entweder hat er direkt durch entsprechende Berichterstattung die Hoffnung auf Frieden und damit Entspannung bei den Medienkonsumenten genährt, oder aber indirekt, indem er durch betont kritische Artikel nur weitere Spannungen und damit ungünstigste Bedingungen geschaffen hat: Gerade unter diesen sind jedoch viele wichtige Entwicklungen in der Weltgeschichte geschehen.

Wenn es schon heftige Diskussionen über die Frage gibt, ob in diesen zehn Jahren die Spannungen zu- oder abgenommen haben, um wieviel schwieriger ist erst die Antwort auf die Frage, ob Journalismus dazu beigetragen hat. Also stellte ich meiner zuvor genannten Ansicht zehn Thesen und Antithesen voran:

# Journalisten müssen ein vitales Interesse an KSZE haben, weil es ihren Arbeitsbedingungen dienlich ist — daher muß Journalismus der Entspannung gedient haben. (Westliche Journalisten denken dabei an das Ausland, östliche wohl an das Inland.)

0 Die positive Tendenz der Berichte unmittelbar nach Helsinki 1975 haben zur Entspannung beigetragen. Leider schwächte sich diese Tendenz seither sukzessive ab.

# Die Entspannung wurde nur vom Journalismus neutraler Staaten gefördert. Das besonders den Neutralen eigene Streben nach Konsens und Entspannung drückt sich nicht nur in der öffentlichen, sondern auch in der veröffentlichten Meinung aus.

# Jedes geschriebene Wort über KSZE dient der Entspannung, denn schon allein darüber zu schreiben, ändert die Bewußtseinslage der Leser und schafft den Wunsch nach Entspannung. Umgekehrt: Wer wüßte schon von KSZE, wenn es keinen Journalismus gäbe — mit Ausnahme der wenigen beteiligten Diplomaten?

# Kritisch-korrekte Information ist die beste Grundlage zur Entspannung. Eine noch so kritische, aber korrekte und ehrliche

Berichterstattung bringt Entspannung, denn mehr Wissen im Osten über den Westen und umgekehrt, über das Anderssein des anderen, bedeutet auch ein Näherbringen und Versteherilernen.

In der Praxis zeigt sich jedoch, daß solcherart kritische Journalisten in unzähligen Fällen hinterher kein Einreisevisum in das betreffende Ostblockland mehr erhalten: So wartet ein Kollege der „Presse“-Redaktion seit sechs Monaten auf ein Visum in die CSSR, seit acht Monaten schon will er privat einreisen.

Eine andere Kollegin in Polen verlor umgehend ihre Akkreditierung, nachdem sie in ihrem Blatt einen in Polen geläufigen Witz wiedergegeben hatte.

Aber Journalismus ist doch meistens etwas Unbequemes, er ist nicht da, um zuzudecken. Es gibt wohl nichts Schlimmeres als Hofberichterstattungs- und Kommunique-Journalismus.

Journalismus arbeitet auch in seiner kritischen Form nicht gegen die Entspannung, wie dies vom Osten häufig behauptet wird. Denn genauso absurd wäre wohl die Behauptung, daß all jene Journalisten, die sich in den letzten Monaten sehr kritisch mit dem heimischen Weinskandal

Aber eine lange Pause auseinandergesetzt haben, den Wein an sich verteufeln wollten.

Sicher hat ein Staat eine desto bessere Presse im Ausland, je weniger er die Journalisten bei ihrer Arbeit behindert.

# Journalismus hat die Spannungen nur noch vermehrt, denn kritisch-negative Berichte führen dazu. Tatsache ist, daß solche Artikel westlicher Medien über den Osten — aber genauso auch umgekehrt - oft zu diplomatischen Interventionen führen.

Da sich die beiden letztgenannten Thesen frontal gegenüberstehen, will ich ein Beispiel aus dem angeblich völkerverständigenden Fußballsport zu Hilfe nehmen: Ein guter Journalist berichtet nicht nur über Ergebnis, Zuschauerzahl und Torschützen, sondern — mit aller Sachlichkeit — auch über kleine und grobe sowie versteckte Fouls. Hat dann Journalismus etwa zu dem Wahnsinn beim diesjährigen Europacupfinale in Brüssel mit 39 Toten beigetragen? Oder hätte Journalismus dies verhindern können, wenn er früher „positiv“ geschrieben hätte? Etwa über die gute Dressenqualität, den gepflegten Rasen und das freundliche Händeschütteln der Kapitäne vor Spielbeginn?

# Journalismus hat nicht zur Entspannung beigetragen, weil es heute mehr an Spannung gibt als 1975.

• Die vorhandene politische Kraft des Journalismus ist im Falle der Entspannung wirkungslos verpufft. Was nützte Polen etwa die große Anteilnahme westlicher Medien seit 1980?

# Auch in der Steinzeit gab es Krieg und Frieden - ohne Medien. Journalismus hat da keinen Einfluß.

• Ein verantwortungsvoller Journalist gibt korrekt wieder, ohne Meinungsmache und arbeitet damit weder für noch gegen Entspannung.

Die Visaverweigerung für Kardinal König und „Kathpress“-Chefredakteur Leitenberger Anfang Juli bei den Feiern zum 1100. Method-Todestag ist eine hervorragende Fallstudie für den Zusammenhang von Journalismus und Spannung:

Hatten sich davor die Beziehungen zwischen der CSSR und Österreich erfreulich gebessert, so war diese Visaverweigerung klarerweise die Spitzenmeldung der heimischen Massenmedien

(Karikatur Papan) am nächsten Tag. Vier Tage später schlug das Parteiorgan „Rüde Pravo“ zurück, von der historisch-feindlichen Einstellung Österreichs war die Rede. Schließlich ließen am Folgetag die österreichischen Kommentare nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig.

Der Entspannung hat dies alles sicher nicht gedient, aber man darf Ursache mit Wirkung nicht verwechseln.

Als ich das in Helsinki gesagt hatte, war bei den Ost-Delegierten der Teufel los: Dies sei der Ton eines Staatsanwaltes und überdies verstoße eine solche Rede gegen den Geist von Helsinki, der allerdings in diesen Tagen und Wochen nicht nur zur Geisterstunde, sondern ganztags viel strapaziert worden war.

Wohl soll man solche Vorfälle nicht gegenseitig aufrechnen, aber auch nicht zudecken. Jeder Vorfall ist genau um einen zuviel, ganz gleich, ob im Osten oder im Westen. Aber dann gehören ohne Herumreden die Fakten auf den Tisch. Journalisten sind eben keine Diplomaten - Gott sei Dank.

Der Autor ist Sekretär der Journalistengewerkschaft

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