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„Entspannung bedeutet nicht Unterwerfung“

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Dr. Bruno Kreisky, seit seiner Jugend Sozialdemokrat und der erste Mann jüdischer Abstammung, der je an der Spitze der Regierung seines Landes stand, ist seit 1970 Kanzler von Österreich. Der heute 61jährige Kreisky ist ein ehemaliger Diplomat, der sieben Jahre lang das Amt des Außenministers bekleidete und große Erfahrungen im Umgang mit sowjetischen Politikern gewonnen hat. (Unter anderem trug er dazu bei, daß die Russen ihre Zustimmung zum Staatsvertrag von 1955 gaben, wodurch Österreich ein neutraler Staat wurde.) Vergangene Woche befragte Milan J. Kubic, der Wiener Korrespondent von „Newsweek“, Kanzler Kreisky über seine Meinung bezüglich der Ergebnisse des jüngsten Moskauer Gipfeltreffens.

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Dr. Bruno Kreisky, seit seiner Jugend Sozialdemokrat und der erste Mann jüdischer Abstammung, der je an der Spitze der Regierung seines Landes stand, ist seit 1970 Kanzler von Österreich. Der heute 61jährige Kreisky ist ein ehemaliger Diplomat, der sieben Jahre lang das Amt des Außenministers bekleidete und große Erfahrungen im Umgang mit sowjetischen Politikern gewonnen hat. (Unter anderem trug er dazu bei, daß die Russen ihre Zustimmung zum Staatsvertrag von 1955 gaben, wodurch Österreich ein neutraler Staat wurde.) Vergangene Woche befragte Milan J. Kubic, der Wiener Korrespondent von „Newsweek“, Kanzler Kreisky über seine Meinung bezüglich der Ergebnisse des jüngsten Moskauer Gipfeltreffens.

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KUBIC: Glauben Sie, daß das Zusammentreffen eine spürbare Lockerung der Spannungen zwischen Ost und West herbeiführen wird?

KREISKY: Das beabsichtigen beide Seiten. Trotzdem bleiben noch verschiedene Probleme, die es zu lösen gilt. Eines davon ist die Europäische Sicherheitskonferenz, die sich mit der Truppen-und Waffenreduzierung in diesem Gebiet befassen soll, ohne daß dadurch das Kräftegleichgewicht gestört wird. Zweitens müssen wir uns mit den Fragen beschäftigen, die den Frieden in Europa beeinträchtigen, wie zum Beispiel der Krieg im Nahen Osten und die Tatsache, daß im Mittelmeer zwei große Flotten stationiert sind. Dann gibt es noch das Problem der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Hier werden die Sowjets einsehen müssen, daß es eine vollkommene Fehlkalkulation wäre, zu glauben, der Gemeinsame Markt und die Europäische Gemeinschaft würden verschwinden. Im Gegenteil, sie werden stärker werden, was bei der Einschätzung der wirtschaftlichen Lage berücksichtigt werden sollte.

KUBIC: Wie sehen Sie die Auswirkungen der Entspannung auf Länder wie Jugoslawien und Rumänien, die ihre Unabhängigkeit doch auf einem Seiltanz zwischen Ost und West aufgebaut haben?

KREISKY: Eine Entspannung in Europa sollte für sie keinen Nachteil bedeuten. Wer immer nämlich eine Annäherung zwischen Ost und West anstrebt, wird die Tatsache respektieren müssen, daß Jugoslawien und Rumänien ihren eigenen Weg gehen möchten und daß eine Bedrohung der Souveränität dieser Länder die Entspannung sofort beeinträchtigen würde. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Moskau einerseits an der Verbesserung der Beziehungen zu den USA und Westdeutschland interessiert sein sollte und anderseits diese Politik durch eine Bedrohung der Unabhängigkeit Jugoslawiens und Rumäniens in Frage stellen könnte. Das hätte keinen Sinn.

KUBIC: Wie steht es mit den Auswirkungen der Nixon-Reise auf Länder wie Polen, Ungarn und die Tschechoslowakei, die wohl im Sowjetblock fest integriert, darüber jedoch nicht glücklich sind?

KREISKY: Sie werden die Auswirkungen des Gipfeltreffens nicht sofort zu spüren bekommen. Sie dürfen nicht vergessen, daß eines der Hauptziele der sowjetischen Entspannungspolitik darin besteht, die Lage in Osteuropa zu stabilisieren und nicht zu verändern. Und das wird, wie ich glaube, zu einer starken Frustration führen. Es ist aber ebenso eine Tatsache, daß nur die Entspannung schöpferisch wirkt und daß in Zeiten erhöhter Spannungen eine Liberalisierung nahezu unmöglich ist. Ich persönlich habe die Erfahrung gemacht, daß der Grad von Toleranz, der notwen-

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DETENTE IS NOT SUBORDINATION dig ist, um Veränderungen herbeizuführen, nur dann erreicht wird, wenn es weniger Mißverständnisse gibt, weniger Unheil gestiftet wird und weniger Mißtrauen herrscht. Ich glaube, daß die gegenwärtige Entspannung es diesen Ländern eventuell ermöglichen könnte, ihre nationale Identität besser zu verteidigen. Aber zu hoffen, daß es zu einer raschen Demokratisierung kommen werde, ist doch zu optimistisch.

KUBIC: Hat die Reise Nixons der Meinung Auftrieb verliehen, daß eines Tages die westliche Demokratie und der östliche Kommunismus konvergieren werden?

KREISKY: Ich glaube nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, daß eine erhöhte Leistungsfähigkeit der Wirtschaft oder die Akzeptierung der Marktgesetze den Kommunismus in ein System verwandeln, das dem der westlichen Demokratie ähnlich wäre. Die ideologischen Unterschiede sind einfach zu groß. Wir müssen uns damit abfinden, daß es in verschiedenen Teilen der Welt weiter kommunistische Regierungssysteme geben wird, daß diese nicht immer sehr freundlich sein werden und daß wir zu ihnen stets ein starkes Konkurrenzverhältnis haben werden.

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