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Hoffnungsschimmer trotz Enttäuschung

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Die KSZE-Folgetreffen ha-ben.viele Erwartungen enttäuscht. Ein Gespräch zwischen österreichischen und sowjetischen Wissenschaftern suchte nach den möglichen Ursachen.

Die KSZE-Schlußakte (Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, Helsinki 1975) war Ergebnis eines west-öst-lichen Entspannungsprozesses, hat gleichzeitig auch Hoffnung auf Prolongierung der Entspannung aufkeimen lassen. Haben handfeste Machtinteressen der politisch-militärischen Blöcke, die sich in Europa wie nirgendwo sonst kreuzen, diese Erwartungen enttäuscht?

Eine vom Wiener Universitätszentrum für Friedensforschung (unter der Leitung von Rudolf Weiler und Heinrich Schneider)

und dem Moskau-orientierten Wiener Internationalen Institut für den Frieden dieser Tage in Wien organisierte Gesprächsrunde zog Bilanz über einen Prozeß, der trotz einmütiger Absichtserklärungen hinsichtlich militärischer, sozialer, wirtschaftlicher und humanitärer Fragen kaum einen Sitz im Leben fand.

Von sowjetischer Seite kommt die Forderung nach militärischer und ökonomischer Sicherheit. Auf diesen beiden Gebieten gibt es Angebote für Kooperation und Kontrolle. Die Ideologie wird vorsorglich ausgeklammert; man denkt realpolitisch. Daher der Aufruf zu Selbständigkeit, zur Verteidigung der nationalen Interessen (!), zu Vertrauen und wirtschaftlich-technischer Interaktion (Wladimir Schenajew von der Akademie der Wissenschaften der UdSSR).

Jedwede innere Einmischung wird von den sowjetischen Gesprächspartnern abgelehnt. Das richtet sich an die Adresse der USA; diese sollen sich als Gast, aber nicht als Hausbesitzer in Europa fühlen.

Wenn sich (West-)Europa von der UdSSR bedroht fühle, dann sollte man doch gefälligst mit der Sowjetunion und nicht mit den Amerikanern sprechen. Schließlich ist man doch selbst auch Europäer.

Selbstredend sind die USA „die“ Gefahr für Europa. Die sowjetischen Wissenschaftler können das bedingungslose und häufig allzu rasche Eingehen der (West-)Europäer auf US-Pläne nicht verstehen. Man sollte nicht so schnell alle Maßnahmen der USA gutheißen, meinen sie. Warum lassen die Europäer sich und dem. US-Präsidenten keine Zeit für politische Überlegungen? fragen die sowjetischen Gesprächsteilnehmer. _

Man will nicht bloße Koexistenz, sondern Kooperation — auch das ist für die Sowjet-Experten eine Art von europäischer

Einheit. Die Frage der Menschenrechte übersieht man jedoch gern. Das wichtigste Menschenrecht ist — nach den Worten Schenajews — das Recht auf Leben — für alle Menschen. Und dieses Recht ist nach sowjetischer Diktion aufgrund des Uberlegenheitsstre-bens der USA auf militärischem Gebiet ¥SDI-Programm) heute bedroht.

Und in einer solchen Situation kann man für „einzelne Menschen“ nicht so viel Zeit verlieren wie für die gesamte Menschheit. Die Menschheit kontra Mensch?

Wo es die Sowjetunion gegenwärtig zweifellos ernst meint, das sind die Abrüstungsbestrebungen. Mit aller Vehemenz wird der Etappen-Plan des sowjetischen Parteichefs Michail Gorbatschow zur vollständigen nuklearen Abrüstung bis zum Jahr 2000 angeboten und — was seine Durchführbarkeit betrifft - verteidigt; selbstverständlich ist man auch zu jeder Kontrolle bereit (Wladimir Granow vom Institut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der UdSSR).

Von österreichischer Seite werden die sowjetischen Gesprächspartner auf die Argumente für eine US-Politik der Stärke aufmerksam gemacht: es geht um das ungelöste Problem der Kontrolle sowie um eine für die USA im Interesse der „freien Welt“ bestehende „Notwendigkeit“, stärker zu .sein als die UdSSR.

Als wesentlicher Wandel in der westlichen Sichtweise der UdSSR zeichnet sich ein Abgehen vom Feindbild Osten ab. Die Angst der „freien Welt“ vor dem Osten scheint nicht mehr so groß wie früher zu sein.

Interessant ist zudem die große Beachtung, die - nach Meinung der österreichischen Gesprächsteilnehmer — die jüngsten Abrüstungsvorschläge der Sowjetunion in der öffentlichen Meinung des Westens finden. Was man nun braucht - so der Sozialethiker Rudolf Weiler — ist eine möglichst lange Argumentationsphase; dann gebe.es für das Abrüstungsprogramm Chancen.

Das Durchchecken der europäi sehen Situation auf dem Welthintergrund ließ für den weiteren KSZE-Prozeß Kooperation als

„den“ praktikablen Begriff realpolitischen Handelns hervortreten.

Uber bloßes Nebeneinander ist man offenbar hinaus, Integration lehnt man von sowjetischer Seite aus den verschiedensten Gründen ab; bleibt eine von den historisch gegebenen Möglichkeiten sich anbietende Zusammenarbeit auf militärischem, wirtschaftlichem, wissenschaftlichem und kulturellem Gebiet.

Der humanitäre Bereich bleibt in sowjetischer Sicht eng mit einem innenpolitisch absolut gesetzten Machtanspruch verbunden. Es hapert im KSZE-Prozeß also — wie es Gesandter Walther Lichem nannte — mit den drei inneren Bedingungen des Helsinki-Prozesses: es besteht wenig Ausgewogenheit zwischen der äußeren Sicherheit, der inneren Sicherheit als friedenssicherndes Element und der zwischenstaatlichen Interaktion.

Man darf gespannt sein, wie . sich die Erkenntnisse der KSZE-Treffen in ihrer normativ-völkerrechtlichen Ausprägung im konkreten politischen Leben der Staaten weiterhin werden umsetzen lassen.

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