6855571-1977_14_08.jpg
Digital In Arbeit

Christen und Marxisten im Dialog

Werbung
Werbung
Werbung

Am 15. Juni treten in Belgrad, die Unterzeichner der Schlußakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) von Helsinki zusammen, um über die Durchführung der im Sommer 19 75 beschlossenen Empfehlungen zu diskutieren. Vertragspartner aus verschiedenen ideologischen Lagern versuchen den Dialog. Von ungewollter Aktualität ist daher die Vorlage der Dokumentationen dreier Symposien, die das Institut für Friedensforschung an der Universität Wien und das Internationale Institut für den Frieden in den Jahren vor Helsinki in Wien und Moskau veranstaltet hatten./Sie wollten das Gespräch zwischen Christen und Marxisten vorantreiben. Wie sehen die Feststellungen aus den frühen siebziger Jahren heute, unter dem Eindruck von Helsinki, aus?

In Moskau zitierte der sowjetische Historiker Kowalski Lenin: „… Damit ist aber auch die Bedeutung der Gewalt erschöpft; und weiter kommt es auf den Einfluß und auf das Beispiel an. Man muß die Bedeutung des Kommunismus in der Praxis, durch das Beispiel zeigen.“ Dieser Satz des Gründers der Sowjetmacht erlaubt es, Thesen und Forderungen marxistischer Tagungsteilnehmer mit der Realität in Osteuropa zu vergleichen. So wurde wiederholt auf die Bedeutung von Freiheit, Unabhängigkeit und Sicherheit der Völker sowie auf das Selbstbestimmungsrecht hingewiesen, und Leonid Breschnjew selbst betonte vor einem Friedenskon greß das Recht jeden Volkes, sich die Gesellschaftsordnung zu wählen, die ihm genehm sei. Dem steht jedoch die Unterdrückung der Unabhängigkeitsbewegungen in der DDR 1953, in Ungarn 1956 und in der Tschechoslowakei 1963 entgegen. Auch der Hinweis auf die Bedeutung der Entwicklung des Tourismus für die Entspannung erscheint fragwürdig, wenn man die Praxis der Ein- und Ausreise in kommunistische Staaten, etwa in die DDR, erlebt hat.

Problematisch erscheint ferner die - sonst selbstverständliche - Forderung nach, einem Verbot des Rassenhasses, wetin von „Unversöhnlichkeit“ gegenüber den „Feinden des Friedens“ und gegenüber „Ungerechtigkeit, Schmarotzertum, Unehrlichkeit“ gesprochen wird. Wer bestimmt, ob der politische Gegner ein „Feind“ des Friedens“ oder ein „Schmarotzer“ ist? Die Verbreitung kollektiver Feindbilder wie die Propagierung des Klassenhasses ist ebenso moralisch bedenklich wie die Propaganda für Rassenhaß.

Ein wesentlicher Unterschied ist im Stil der Argumentation bei christlichen und marxistischen Wissenschaftlern festzustellen. Die Teilnehmer aus dem sozialistischen Lager verkünden ohne Begründung die „intellektuelle Überlegenheit des Sozialismus“, die Ableitung des Sozialismus aus der Geschichte und die Aussichtslosigkeit antisozialistischer Positionen und sprechen von ihrer „wissenschaftlichen Weltanschauung“. Rudolf Weiler, Ordinarius für Ethik und Sozialwissenschaften in Wien, betont den Gegensatz zwischen einer Ideologie, die sich als geschlossenes Welterklärungssystem gibt, und einer Weltanschauung, die, ausgehend von Grundwerten, ein offenes System darstellen sollte. Eberhard Schneider aus Hamburg stellte klar, daß sich der christliche Friedensbegriff - wie jedes politische Engagement der Christen - an keine bestimmte Gesellschaftsform binden darf.

Trotz dieser Gegensätze zwischen den Gesprächspartnern ist der Ver such, gemeinsam zu einer Lösung der dringenden Probleme der Menschheit zu gelangen, notwendig. Es fielen bemerkenswerte Forderungen wie die nach demokratischer Mitbestimmung der Arbeitnehmer, nach der Orientierung der Politik nach humanistischen Grundsätzen. Im Entwurf einer Charta der friedlichen Koexistenz fand sich bereits 1973 die Bekräftigung der Grundsätze einer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Gerade das Beispiel des „Korb 3“ und die Verwirklichung der Empfehlungen der KSZE haben aber gezeigt, daß der Prüfstein für die Geltung von Verträgen und Abkommen die Tagespolitik ist.

CHRISTEN UND MARXISTEN IM FRIEDENSGESPRÄCH. Herausgegeben vom Institut für Friedensforschung und vom Internationalen Institut für den Frieden. Herder, Wien-Freiburg- Basel, 1976. 320 Seiten, öS 245,-.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung