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Letzte Chance für Frieden

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Ab 4. November wird in Wien die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa fortgesetzt. Seit zwölf Jahren ist KSZE ein Maßstab für Entspannung.

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Ab 4. November wird in Wien die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa fortgesetzt. Seit zwölf Jahren ist KSZE ein Maßstab für Entspannung.

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Die KSZE, die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, die ab 4. November in Wien fortgesetzt' wird, nimmt im Rahmen der Ost-West-Verhandlungen eine Schlüsselstellung ein — besonders nach Reykjavik. Bemüht sie sich doch um mehr Sicherheit und mehr Zusammenarbeit in jenem Kontinent, auf dem sich die größte Menge konventioneller und nuklearer Waffen befindet, die es jemals in Friedenszeiten gegeben hat. Von Truppehkonzentratio-nen ganz zu schweigen.

Europa ist auch trotz des Aufstieges der Supermächte USA und UdSSR zum Gipfel weltpolitischer Macht ein geistiges und wirtschaftliches Ballungszentrum geblieben, das für die Zukunft der Welt mitentscheidend bleibt. Von Europa ist auch jener Prozeß der Entspannung ausgegangen, der für das Zustandekommen der KSZE von grundlegender Bedeutung war.

Wesentliche Elemente dieses Entspannungsprozesses blieben unter den europäischen Staaten auch erhalten, als sich in den folgenden Jahren das Verhältnis zwischen den beiden Supermächten zunehmend abkühlte. Dieser Umstand hat wesentlich auf die Verhandlungen im Rahmen der KSZE eingewirkt.

Heute ist die KSZE das multilaterale Ost-West-Forum schlechthin, das praktisch alle Bereiche der Beziehungen zwischen den Staaten Osteuropas und jenen des Westens umfaßt. Sie ist ein politisches Forum, das heißt, daß auch bei der Erörterung von Fragen wirtschaftlicher, wissenschaftlich-technischer oder kultureller Kontakte und Zusammenarbeit immer das Politisch-ideologische im Vordergrund steht. Dadurch wird sie zu einer der wichtigsten, aber auch schwierigsten Konferenzen dieser Art.

Iii ihrer nun zwölfjährigen Geschichte hat die KSZE zwei sehr substantielle Dokumente hervorgebracht: die Schlußakte von Helsinki 1975 und das Schlußdokument von Madrid 1983. In beiden Fällen waren jeweils drei Jahre schwieriger Verhandlungen notwendig.

Es steht wohl außer Zweifel, daß mit dem Beginn der KSZE beziehungsweise mit der Unterzeichnung der Schlußakte in Helsinki im Jahre 1975 bereits der Höhepunkt dieser Ost-West-Verhandlungen erreicht war. Die Nachfolgekonferenzen in Belgrad (1977-1978) und in Madrid (1981-1983) blieben hinter den Erwartungen zurück.

In Wien findet nun die dritte Nachfolgekonferenz statt. Die erfolgreich abgeschlossenen Vorbesprechungen dauerten vom 23. September bis 7. Oktober 1986. Damit war der Weg frei für die eigentliche Konferenz.

Betraut mit der Vorbereitung war Botschafter Dr. Helmut Liedermann, der als Exekutivsekretär fungiert. Der Leiter der österreichischen Delegation ist Botschafter Dr. Rudolf Torovsky.

Es wird für Österreich vielleicht die größte und schwierigste Konferenz sein, die seit dem Wiener Kongreß stattgefunden hat; dementsprechend groß ist für Wien auch die Verantwortung, zumal Österreich zu den N-t-N-Staaten gehört, zu den neutral and non aligned, den neutralen und nicht? paktgebuhdenen Staaten, denen bei dieser Konferenz eine besondere Rolle zufällt.

Alle anderen internationalen Konferenzen sind nämlich von den Supermächten USA und Sowjetunion getragen, während bei der KSZE auch die neutralen und nicht paktgebundenen Staaten ein wichtiges Wort mitzureden haben.

Der Erfolg oder Mißerfolg dieser dritten Konferenz wird natürlich von den Supermächten abhängen, doch hoffen die neutralen Staaten, Schwierigkeiten zu überbrücken und Kompromisse zu finden, wie sie es schon so oft in der Vergangenheit getan haben. Prognosen über Verlauf, Dauer und Ergebnisse der Konferenz lasseh sich zur Zeit nicht stellen. Auf österreichischer Seite ist man allerdings vorsichtig—man macht sich keine allzu großen Hoffnungen.

Wie berechtigt eine solche Vorsicht ist, hat sich bereits im vergangenen Jahr gezeigt, als der zehnte Jahrestag der Unterzeichnung der Schlußakte von Helsinki in gedämpfter Stimmung stattfand. Alle westlichen, einschließlich der neutralen Länder waren sich in der Beurteilung einig, daß vieles, was damals in dem Helsinki-Dokument von allen Teilnehmerländern unterzeichnet worden war, nicht in die Wirklichkeit hatte umgesetzt werden können.

Vom Westen wird das vor allem auf die Menschenrechte bezogen, während die Sowjetunion und ihre Verbündeten heftig den Mangel an Fortschritt im Abrüstungsbereich beklagen. Es ist nicht zu leugnen, daß der Ost-West-Entspannunsprozeß, der 1975 in Helsinki so hoffnungsvoll begonnen hatte, seither einem Klima verstärkten Mißtrauens gewichen ist.

Im folgenden soll nun kurz auf die vier Hauptabschnitte der KSZE, besser bekannt als die vier „Körbe“, eingegangen werden, die auf eine Anregung Botschafter Liedermanns zurückgehen. Er hat vor Beginn der ersten Konferenz den Ausweg gefunden, vier Körbe zu schaffen, in die alle Staaten ihre Vorschläge einbringen sollten. Es sind dies: Fragen der Sicherheit in Europa, Zusammenarbeit in den Bereichen der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Technik sowie der Umwelt, Zusammenarbeit im humanitären Bereich und in „anderen Bereichen“, die Folgen der Konferenz.

Korb eins, Sicherheit in Europa, enthält ein sehr schwieriges Thema. Das positive Ergebnis aus diesem Korb ist das Dokument über vertrauensbildende Maßnahmen, z. B. die Ankündigung größerer militärischer Manöver oder des Austausches von Beobachtern, denen zwar weniger eine militärische, aber doch eine große politische Bedeutung zukommt. Diese Maßnahmen haben sich seit 1975 im großen und ganzen bewährt.

Was den zweiten Korb, Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft, Technik und Umwelt, betrifft, sind gewisse Erfolge zu verzeichnen, dennoch bleibt noch viel zu tun. Dies wäre ein Bereich, der mehr Erfolge bringen könnte, weil solche Probleme über ideologische Grenzen hinweg behandelt werden können. Die Umweltverschmutzung, das Sterben der Wälder, machen vor keiner ideologischen Grenze halt, und die diesbezügliche Zusammenarbeit sollte daher verstärkt werden.

Der dritte Korb, die Frage der Zusammenarbeit im humanitären Bereich und in „anderen Bereichen“, ist einer der umstrittensten. Der Westen betont immer wieder, daß zu wenig Erfolge zu verzeichnen sind, wobei andererseits bemerkt werden muß, daß es doch Erfolge gibt, die nicht hoch genug bewertet werden; es wird das Negative zu sehr herausgestrichen. Gerade in diesem Bereich können positive Beispiele angeführt werden, wie zum Beispiel Erleichterungen bei Familienzusammenführungen.

Der vierte Korb, die Auswirkungen der Konferenz, behandelt das Problem, was geschehen muß, wenn die Ergebnisse der Konferenz nicht im Sande verlaufen sollen. Das Mandat der Schlußakte stellt die Folgetreffen vor eine zweifache Aufgabe, die nun auch Wien gestellt wird.

• Bilanz über die bisherige Durchführung der Bestimmungen der Schlußakte, der eine wichtige Funktion zukommt, weil sie Gelegenheit zu einer Uberprüfung dessen bieten soll, was bisher erreicht worden ist, wo noch Mängel bestehen, was noch zu tun bleibt, um eine umfassende Anwendung aller Bestimmungen der Schlußakte zu gewährleisten.

• Vereinbarung neuer Bestimmungen oder Maßnahmen. Die jeweiligen Folgetreffen sollen nicht Endstation, sondern nur Zwischenstation in dem dynamischen KSZE-Prozeß sein, der durch immer neue Impulse zu einer Fortsetzung und Vertiefung erweitert werden soll.

Verschiedene Gründe geben dazu Anlaß, bezüglich des Folgetreffens in Wien optimistisch zu sein. Das politische Klima ist besser als zur Zeit in Genf und Madrid. Nach dem Gipfeltreffen Ronald Reagans mit Michail Gorbatschow in Genf und der Zusammenkunft in Reykjavik ist zumindest wieder ein Dialog der Supermächte in Gang gekommen, der beim Dritten Folgetreffen in Wien — das schon immer völkerverbindend in der Geschichte einzugreifen versucht hat — weitergeführt wird. Ferner kommt große Bedeutung dem erfolgreichen Anschluß der Stockholmer KVAE (der Konferenz über Vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen und Abrüstung in Europa) zu, die auf ein Mandat der KSZE zurückgeht.

Durch die Tatsache, daß die UdSSR erstmals zugestimmt hat, westlichen Kontrolleuren zu erlauben, in ihrem Land ihre Vertragstreue zu überprüfen, wurde ein Präzedenzfall geschaffen, der auf alle anderen, seit Jahren laufenden Verhandlungen, Auswirkungen haben könnte.

Eines steht jedenfalls schon fest: ohne die KSZE und ihre Nachfolgekonferenzen wäre Europa um eine Hoffnung ärmer. Der Erfolg des Wiener Nachfolgetreffens wird nicht nur von den erwähnten Gründen, die für eine Besserung der allgemeinen Vorbedingungen beitragen, abhängen, sondern auch von einem Zugehen aufeinander, von allen Beteiligten auf allen zu verhandelnden Ebenen.

Es ist somit zu hoffen, daß die Dritte Nachfolgekonferenz, die den mühsamen, schwierigen und von so vielen Hoffnungen begleiteten Helsiniki-Prozeß fortsetzt — von dem sich Europa nun schon seit mehr als einem Jahrzehnt mehr Zusammenarbeit, mehr Menschenrechte, mehr Sicherheit und letztlich mehr Frieden erhofft -, die gewünschten Erfolge bringen möge.

Die Autorin ist Mitarbeiterin am Wiener Universitätszentrum für Friedensforschung.

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