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Für Stabilität in Europa

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Der Wunsch, eine europäische Friedensordnung zu schaffen, ist schon sehr alt. Vor allem in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen hat es mehrere Versuche gegeben, eine institutionalisierte Friedensordnung zu schaffen.

Das Wiener Folgetreffen der KSZE wird in seiner Bedeutsamkeit und in seinem Bestreben, eine dauerhafte europäische Friedensordnung aufzubauen, oft mit dem Wiener Kongreß 1814V15 verglichen.

Die KSZE versteht sich als Ansatzhebel für ein möglichst konfliktfreies Verhältnis zwischen den beiden in der Nachkriegszeit entstandenen Lagern in Europa. Sie ist bestrebt, eine enge Verflechtung von geordneten Verhaltensmaßregeln der Staaten auf politischem, wirtschaftlichem, humanitärem und militärischem Gebiet zu schaffen.

Und die KSZE hat schließlich im Unterschied zum Wiener Kongreß die Verwirklichung der Beachtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, einschließlich der Gedanken-, Gewissens-, Reli-gions- und Uberzeugungsfreiheit zum Ziel.

Das Konzept der KSZE entkommt aber den internationalen Staatengebilden innewohnenden •Spannungsverhältnissen nicht. Sicherheit und Kooperation sind zwei Systeme, die hierarchisch aufeinander bezogen sind, in dem Sinne, daß das Kooperationssystem dem Sicherheitssystem nachgeordnet ist. Kooperation findet die Grenzen dort, wo Sicherheit gefährdet scheint.

Schließlich versucht die KSZE, Stabilität in Europa zu gewährleisten und gleichzeitig Wege der Veränderungen zu finden. Eine Uberwindung der Teilung Europas ist in ihr ebenso angelegt wie die Anerkennung des Status quo.

So entwickelte sich die KSZE-Schlußakte zur Berufungsinstanz sowohl für Regierungen als auch für die Opposition in Osteuropa; die Regierungen berufen sich auf die Anerkennung der europäisehen Nachkriegsordnung, die Opposition (vor allem die Charta 77) auf die darin verankerten Grund- und Freiheitsrechte und auf die Veränderung des Status quo.

Das Funktionieren der KSZE hängt von der weltpolitischen Großwetterlage ab:

• Die KSZE war nicht Motor der Entspannungspolitik, sie konnte auch nicht verhindern, daß sich die Ost-West-Beziehungen verschlechterten. Es war die Entspannungspolitik, die die KSZE hervorgebracht hat und nicht umgekehrt.

• Der Verlauf der KSZE wird wesentlich mitbestimmt von internationalen Ereignissen außerhalb Europas.

• Trotz erhöhter Spannungen zwischen Ost und West trugen die KSZE-Verhandlungen dazu bei, daß der Dialog nicht abriß.

Man kann also festhalten, daß der KSZE-Prozeß letztlich nicht vom Verhältnis zwischen den Supermächten abkoppelbar ist. Ergibt sich hier eine Parallele zum Wiener Kongreß von 1814/15? Internationale Verhaltensregeln und Normen können einen Beitrag zur Sicherung des Friedens leisten, aber nicht ohne Beteiligung der Großmächte und nicht für sehr lange.

Bei andauernden Ost-West-Spannungen besteht außerdem die Gefahr, daß die KSZE zu einer reinen Konferenzhülse wird, die sich von Konferenz zu Konferenz schleppt.

Sollten die Supermächte nicht in der Lage sein, Entspannungspolitik zu betreiben, könnten die Europäer die Chance wahrnehmen, die KSZE wieder zu einem Faktor der Entspannungspolitik zu machen.

Europa demonstriert allerdings nicht Einheitlichkeit, sondern Divergenz. Die Vorstellungen über eine einheitliche europäische Friedensordnung gehen weit auseinander. Sie reichen von der Hoffnung von einem Europa, das einen „dritten Weg“ zwischen den Supermächten beschreitet, über ein eigenständigeres europäisches Sicherheitssystem bis zu einer stärkeren Integration Westeuropas als „europäischer Pfeiler“ in die NATO.

Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß der KSZE-Prozeß zwar abhängig ist vom Gesamtsystem der Öst-West-Beziehun-gen, er kann aber wegen seiner bereits erreichten Eigenständigkeit für eine gewisse Zeit als Platz der Auseinandersetzung und Verständigung von zum Teil widersprüchlichen Interessen dienen.

Der Autor ist Mitarbeiter am Osterreichischen Institut für Internationale Politik.

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