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Wettstreit ums Haus Europa

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Mit dem Umbruch in Osteuropa ist Bewegung in den KSZE-Prozeß gekommen. Europäische Spitzen- politiker liegen im Wettstreit, um bei der Ausschreibung zum „Haus Europa" einen Preis zu erringen. Das Großprojekt steht noch im Bau- gerüst.

Ein gemeinsames Dach findet die Gesamtheit der europäischen Staa- ten vorerst nur im Forum der KSZE. Unter diesem Schirm sind nicht nur alle Staaten Europas willkommen, darunter finden auch alle Probleme Platz, die sie bewegen. Wieweit auf diplomatischer oder auch Exper- tenebene die Fülle der in Körbe auf- geteilten Probleme aber tatsächlich bewältigt werden kann, bleibt frag- lich. Allzuoft hat es schon politi- scher Impulse bedurft, um das KSZE-Rad wieder in Schwung zu versetzen. Die Neuordnung Euro- pas hat der KSZE ein gewaltiges Pensum an Aufgaben beschert.

Der Wirtschaftskorb wird nicht länger im Schatten anderer Körbe stehenbleiben dürfen. Es gilt, mit tatkräftiger westlicher Unterstüt- zung die verrotteten Volkswirtschaf- ten zu sanieren, dem Osten den Umstieg von Kommando- auf Marktwirtschaft zu erleichtern. Vom Westen, der sich neue Märkte er- hofft, wird dabei kein uneigennüt- ziges Handeln erwartet. Die Um- welt und ihre Gefährdung waren immer schon grenzenlos, nicht erst seit Stacheldrähte und Mauern fie- len. Zwar wird die gemeinsame Bedrohung immer klarer erkannt, zum Handeln scheint es oft schon zu spät, wie Umweltkatastrophen in der Sowjetunion zeigen.

Im Menschenrechtsbereich ist die Problemstellung eine andere gewor- den. Der vormals repressive Ost- block als solcher ist in Auflösung begriffen, allerorts sind Nationali- tätenkonflikte neu entflammt. Auf dem KSZE-Verhandlungstisch wur- den jahrelang Sträuße um Be- wegungs- und Ausreisefreiheit aus- gefochten. Jetzt sind die Schleusen geöffnet und ein unkontrollierba- rer Flüchtlingsstrom ergießt sich über die grünen Grenzen. Nach den westlichen machen nun auch die östlichen Staaten - voreinander - die Tore wieder dichter.

Auf dem Abrüstungssektor mi- schen sich durch das Auseinander- brechen des östlichen Militärbünd- nisses die Karten neu. Die Truppen der Roten Armee packen in Polen, Ungarn und der CSFR ihre Koffer. Gleichzeitig fühlt sich die NATO gestärkt und wirft in Richtung Warschauer Pakt Köder aus. Die USA verteidigen vehement ihren Platz und ihr Mitspracherecht im europäischen Sicherheitssystem.

Zum entscheidenden Baustein des neuen Sicherheitssystems ist die deutsche Frage geworden. Mit der territorialen Veränderung im Zen- trum Europas, in atemberauben- dem Tempo von BRD und DDR gleichermaßen vorangetrieben, geht eine Verschiebung der Sicherheits- potentiale einher. Die Abrüstungs- bemühungen in Genf und Wien, die noch vor wenigen Monaten von Hoffnung auf baldige Abkommen über strategische beziehungsweise konventionelle Abrüstung geprägt waren, sind ins Stocken geraten. Dabei stehen die START- und die VKSE-Verhandlungen angesichts der angepeilten Gipfel - Supermäch- te Ende Mai, KSZE im Spätherbst - unter massivem Erwartungsdruck.

Moskau, das bisher allen NATO- Allüren, sich den Warschau-Pakt- Staat strategisch einzuverleiben, ein „Njet" entgegengesetzt hatte, war- tete dieser Tage mit einer kalten Dusche auf. Verteidigungsminister Jasow forderte einen „neuen An- satz" für das konventionelle Abrü- stungsforum in Wien, zumal die DDR-Volksarmee ins NATO-Lager abwandern werde. Sollte es sich bei der VKSE (Verhandlungen über Konventionelle Streitkräfte in Eu- ropa) zwischen den beiden Militär- pakten spießen, so wären unwei- gerlich auch die WSBM-Gesprä- che (Verhandlungen über Vertrau- ens- und Sicherheitsbildende Maß- nahmen), die Klammer der 35 im Bereich Sicherheit und Vertrauens- bildung, blockiert.

Wien, das gewissermaßen zur KSZE-Hauptstadt avancierte, ist von dieser Entwicklung in mehrfa- cher Hinsicht betroffen. Im Ringen um den Austragungsort des KSZE- Gipfels, der Deutschland gewidmet sein wird, hat Wien bereits hinter Paris zurückgesteckt. Die österrei- chische Regierung überläßt dem Gegenkandidaten das spektakulä- re Stelldichein der Staats- und Regierungschefs und will sich nun- mehr die langfristigen KSZE-Insti- tutionen wie Sekretariat und Abrü- stungskontrollbehörde sichern. Der bei Blitzbesuchen Vranitzkys und Mocks in Frankreich ausgehandel- te Kompromiß soll im Juni beim Menschenrechtsforum in Kopenha- gen von den 35 KSZE-Staaten abgesegnet werden. Die Franzosen, die sich als Europa-Architekten profilieren möchten, gerade wenn es um die deutsche Einheit geht, versicherten ihren Ge- sprächspartnern, Wien bleibe auch ohne Gipfel KSZE-Metropole. Doch wo keine Abkommen, dort auch keine Institutionen.

Überraschungen verspricht die vorsichtige Öffnung Albaniens für die KSZE. Als nächster Programm- punkt böte sich im KSZE-Veran- staltungskalender das Menschen- rechtsforum im Juni an. Die heikle Materie würde Tirana einen „hei- ßen" Einstieg verschaffen. Für ei- nen Neuankömmling ist es nicht lustig, wenn ihm gleich der Platz auf der Anklagebank zugewiesen wird.

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