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Die Abrechnung Finnlands

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Nichts haben die Finnen bisher so ungern gehört wie den mit "Finn-landisierung" fixierten Begriff einer Teilsouveränität ihres Staates von Kremls Gnaden. Slogans und manche Begriffe - auch "Neutrali-tät" fällt darunter - haben es so an sich, daß sie griffig sind und im Gedächtnis haften bleiben. Finnland hatte Jahrzehnte damit zu kämpfen, in der europäischen Staa-tengemeinschaft für nicht ganz voll genommen zu werden. Und das obwohl es für seine Unabhängigkeit im Winterkrieg 1939/40 einen fast aussichts-, aber im Endeffekt nicht ganz erfolglosen Krieg mit der Sowjetunion Stalins ausfocht.

Während den Finnen dieses hi-storische Ereignis im nationalen Gedächtnis unauslöschlich haften blieb, hat die europäische Gemein-schaft bloß die Einschränkungen der finnischen Souveränität durch den Pariser Friedensvertrag von 1947 mit den Sowjets zur Kenntnis genommen, der vor allem auf dem Hintergrund des Kampfes der Fin-nen im Zweiten Weltkrieg auf deut-scher Seite zu sehen ist. Dem Kreml ging es - wie Historiker jetzt belegen - trotz des Hitler-Stalin-Paktes seinerzeit darum, Finnland aus einer sich abzeichnenden deutsch-sowjetischen Konfrontation her-auszuhalten; ein Militärpakt und Gebietsforderungen zur Sicherung Leningrads, die Finnland aber ab-lehnte, sollte den Finnen diesen Weg schmackhaft machen. Die Ge-schichte hat gezeigt, daß die in dieser Frage nachgiebigen baltischen Republiken sehr rasch von der Sowjetunion kassiert wurden, während sich Finnland die Unab-hängigkeit bewahren konnte.

Bayerns verstorbener Minister-präsident Franz Josef Strauß, der den Begriff "Finnlandisierung" prägte und damit vor einem zuneh-menden Einfluß der Sowjets in Europa warnen wollte, hat einmal vom Bonner Korrespondenten des finnischen Rundfunks und Fernse-hens ein bitterböses Schreiben erhalten, das Strauß allerdings nicht beantwortet hat. "In meinem Land gibt es keinen Stacheldraht, der das Land teilt", hatte der Journalist geschrieben, "und es gibt auch keinen Minengürtel, in meinem Land trampeln nicht die Stiefel fremder Soldaten durch die Straßen, in meinem Land wird auch nicht auf Bürger geschossen, die von einem Teil des Landes in den anderen wollen. Warum also, Herr Strauß, verwenden Sie nicht den Begriff Deutschlandisierung, wenn Sie das schildern, was Ihnen offenbar vorschwebt?"

Vor diesem Bewußtseinshinter-grund sind jene Maßnahmen der finnischen Regierung vom 21. Sep-tember dieses Jahres zu sehen und zu bewerten, mit denen sie die Deutschland betreffenden Bestim-mungen des 47er Friedensvertrages aufgehoben hat, die eine Einschränkung der finnischen Souve-ränität bedeuteten. Nach dem Pa-riser Friedensvertrag war es Finnland verboten, Kriegsmaterial oder Zivilflugzeuge deutschen Ursprungs oder deutschen Modells zu beschaffen oder herzustellen. Au-ßerdem wurde der Staat darauf verpflichtet, die deutsche Wieder-bewaffnung in Zusammenarbeit mit der Sowjetunion zu verhindern.

Die letzten Grundlagen für diese die finnische Souveränität ein-schränkenden Bestimmungen sind mit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten entfallen. Damit sah sich Finnland offenbar genötigt, ein Zeichen seiner - oft an-gezweifelten - Souveränität zu set-zen und auch die quantitativen be-ziehungsweise qualitativen Be-schränkungen der finnischen Streit-macht als weitere Substanz des Friedensvertrages aufzuheben. Wie im Falle des österreichischen Staatsvertrages hatten diese Ein-schränkungen durch eine still-schweigend akzeptierte Praxis bereits weitgehend ihre Bedeutung verloren. Anders als durch "Gschaftlhuberei" - wie Österreich sie jetzt mit dem Staatsvertrag vor-exerzierte - gab Finnland ein wirk-liches Beispiel seiner Unabhängig-keit: Über den Beschluß der finni-schen Regierung wurden Großbri-tannien und die Sowjetunion im voraus informiert.

Bisher konnte sich Finnland dar-auf verlassen, daß die politischen und militärischen Beschränkungen durch den Pariser Frieden und durch den 1948 geschlossenen Freundschaftsvertrag mit den Sowjets weitgehend durch das na-tionale und internationale Vertrauen in Finnlands bewaffnete Neutralität ausgeglichen wurden. Die finnische Neutralitätspraxis war bisher Maßstab der Glaubwürdigkeit, da Finnlands Neutralität -anders als die schweizerische oder österreichische - nicht durch völkerrechtliche Formulierungen oder Verträge abgesichert ist. Deswegen hat sich Helsinki auch so stark im Prozeß der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) engagiert; in der KSZE sah es den für Neutrale optimalen Ort außenpolitischer Bestätigung und Zusammenarbeit.

Für Finnland, das - wie Österreich in der Pentagonale mit der CSFR, Ungarn, Jugoslawien und Italien - in eine Initiative "Ostseeraum" des schleswig-holsteinschen Ministerpräsidenten Björn Engholm eingebettet ist, werden sich in naher Zukunft enorme Probleme ergeben: Das Baltikum pocht ans Tor des Westens. Die Sowjetunion wird demnächst Paßgesetze verab-schieden, die eine Flut von "West"-Touristen auch nach Finnland bringen wird. Es ist zu befürchten, daß Finnland dann den noch bestehenden 1.200 Kilometerlangen "Eisernen Vorhang" zur Sowjetunion, die "letzte Mauer in Europa", wie eine finnische Zeitung unlängst schrieb, schätzen lernen wird: denn Finnland fühlt sich für eine Völkerwanderung nicht gewappnet.

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