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Schweigen in Helsinki

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Von allen europäischen Demokratien hat erwartungsgemäß Finnland mit der stärksten Zurückhaltung auf die sowjetische Invasion in Afghanistan reagiert. Mit seiner Stimmenthaltung in der Generalversammlung der Vereinten Nationen, als dort der Einmarsch verurteilt werden sollte, hat sich Helsinki wieder einen kleinen Schritt aus der westlichen Gemeinschaft entfernt.

Auf die Invasion antwortete das offizielle Finnland zunächst mit ein paar Tagen völligen Schweigens. Erst am Silvestertag gab Außenminister Paavo Väyrynen die erste Stellungnahme ab: Lakonisch konstatierte er im Namen der finnischen Regie-.rung, daß die Sowjetunion ihre ..Truppenentsendung" mit einer „Bitte der afghanischen Führer motiviert" habe und daß die Sowjets „ausdrücklich" erklärt hätten, sie würden ihre. Soldaten wieder abziehen, „sobald die Situation es erlaubt".

Staatspräsident Urho Kekkonen erwähnte tags darauf in seiner traditionellen Neujahrsansprache Afghanistan mit keinem Wort. Die Linie, auf die Finnland schließlich einschwenken sollte, deutete als erster der Historiker Kejo Korhonen an, als Unterstaatssekretär im Außenministerium tätig, als er der Zeitung „Hufvudsstadsbladet" gegenüber erklärte, kleine Länder hielten sich aus großen Krisen am besten heraus.

Das wurde Helsinkis offizielle Lesart: In Afghanistan handelt es sich um einen Großmachtkonflikt, in dem Finnland nicht nur aus Überzeugung, sondern auch aus vertraglicher Verpflichtung neutral zu sein hat: Schließlich ist im finnisch-russischen Beistandspakt in der Präambel davon die Rede, daß Finnland bestrebt sei, „außerhalb der Interes-senskonflikte der Großmächte" zu bleiben.

Zwischen dem Friedens- und Freundschaftspakt Finnlands mit der UdSSR und jenem, den die Sowjets mit Afghanistan geschlossen haben, gebe es keine Parallele außer des Namens, beeilte sich Finnland zu ergänzen. Selbst die Kommunisten bekannten sich zu "den demokratischen Spielregeln, und es sei undenkbar, daß etwa eine Gruppe moskautreuer KPler eines Tages sich mit einer „Beistandsbitte" ä la Kabul an den Kreml wenden könnte.

Wenn dies so undenkbar ist, weshalb dann die Bemühung Helsinkis, jede Parallele mit Afghanistan zu leugnen? Es ist wohl der Wunsch Finnlands, ganz deutlich und vor aller Welt klarzustellen, daß ein solcher „Hilferuf mit dem Willen der finnischen Bevölkerung nichts zu tun hätte.

Während es Moskau gegenüber Finnland gar nicht nötig hatte, mit den Muskeln zu spielen, unternahm die Sowjetunion den Versuch, ihren

zweiten nordischen Nachbarn einzuschüchtern - Norwegen. Schon die erhöhte Bereitschaft der norwegischen Armee war für die offizielle Nachrichtenagentur TASS Anlaß, von Grenzprovokationen zu sprchen, die norwegische Generäle in Kooperation mit Washington zu begehen gewillt seien.

Norwegens Verteidigungsminister Thorvald Stoltenberg hat die Vorwürfe als .jeder Grundlage entbehrend" zurückgewiesen. Aber obwohl Oslo publizistisches Störfeuer aus Moskau gegen seine Verteidigungsbemühungen seit längerer Zeit gewohnt ist, sind die Angriffe jedesmal, unangenehm.

Norwegen hat sowohl als Sicherheitsratsmitglied wie auch in der UNO-Plenarversammlung den russischen Einmarsch verurteilt. Aber die Nachbarschaft zur UdSSR veranlaßt auch Norwegen zu besonderer Vorsicht. So hat man militärisch keine Maßnahmen ergriffen, die von Moskau als Gefährdung der gemeinsamen Grenze interpretiert werden könnten. Um so verbitterter ist man in Oslo über die unberechtigten Vorwürfe der TASS. Denn Norwegen hat weder seine Grenztruppen verstärkt noch um NATO-Hilfe zum Schutz der Nordflanke gebeten.

Die norwegische Verteidigungsdoktrin, daß es in Friedenszeiten auf norwegischem Grund weder fremde Truppenstationierungen noch

Atomwaffen geben dürfe, ist auch aufrecht, wenn Sowjetpanzer in Kabul stehen. Es sind dies Norwegens selbstauferlegte Militärrestriktionen, mit denen Oslo signalisieren will, daß Entspannung erstes Gebot ist.

Den von den USA ins Spiel gebrachten Handelsrestriktionen gegen die UdSSR bringt Norwegen nur wenig Sympathie entgegen. Ministerpräsident Odvar Nordli warnt vor einer Uberreaktion. Schließlich gibt es ungeklärte bilaterale Fragen zwischen Oslo und Moskau - wie die Grenzziehung in der Barentssee oder die Besitzverhältnisse um S valbard -, derentwegen Norwegen auch weiterhin eine Gesprächsbasis mit dem Kreml braucht.

Am deutlichsten von allen nordischen Ländern hat Schweden auf die sowjetische Intervention in Afghanistan reagiert und damit den Vorwurf entkräftet, auf dem „linken Auge" blind zu sein. In seinem ersten offiziellen Kommentar nannte Außenminister Ola Ullsten die „erzwungene militärische Präsenz in einem kleinen bündnisfreien Staat" eine flagrante Einmischung. Olof Palme verurteilte sie als „verwerflich", warnte aber gleichzeitig vor einem Rückfall in den kalten Krieg.

Das neutrale Schweden zählte zu den Mitantragstellern, als die UdSSR bei der UNO die Ablehnung des größten Teiles aller Länder zu spüren bekam.

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