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Sozialdemokraten und Rußland

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Aus der Bürgerkriegszeit Finnlands stammt noch ein anderes Problem, das sich bis vor wenigen Jahren immer wieder bemerkbar machte, es ist dies das Gegensatzverhältnis zwischen der sozialdemokratischen Partei und der Sowjetunion. Nach dem für die Arbeiter und roten Bauern des Nordens so verlustreichen Bürgerkrieg flohen zahlreiche überlebende Sozialisten in die Sowjetunion, gründeten dort die Kommunistische Partei Finnlands, aus derem Schöße später die sogenannte finnische Kuusinenregierung in Terijoki entstand.

In Finnland selbst wurde die sozialdemokratische Partei unter

Väinnö Tanner reorganisiert, der alsbald in die harte Mannerheim-Linie einfiel und einen schonungslosen Kampf gegen alle kommunistischen und linkssozialistischen Tendenzen in der Partei führte. Tanner gab zwar einigemale Deklarationen über die Notwendigkeit guter Beziehungen zur Sowjetunion ab, wurde jedoch

von Moskau seit den Bürgerkriegstagen als ein Verräter an der Arbeiterklasse und unversöhnlicher Feind der Sowjetunion betrachtet Daß Tanner an dem Kriegseintritt Finnlands an der Seite Hitler-Deutschlands einen hervorragenden Anteil hatte, bestärkte mehr als zwei Jahrzehnte später die Russen in ihrer Auffassung über ihn. Die Forderung nach einer Brandmarkung Tanners als Kriegsverbrecher war auch eine der härtesten, die nach Beendigung des Krieges zwischen Finnland und der Sowjetunion im Jahre 1944 vorgebracht wurde. Noch im Jahre 1958 genügte das Wiederauftauchen Tanners in der Parteiführung der Arbei-

terpartei, um das Verhältnis Finnlands zur Sowjetunion katastrophal zu verschlechtern. Der Sturz der Koalitionsregierung Fao/erfiolm im Jahre 1958 kann in der Hauptsache auf das tiefverwurzelte Mißtrauen Moskaus gegenüber einigen sozialdemokratischen Führern zurückgeführt werden. Erst nach Bildung der Regierung Paasio ist hier eine klare

Wendung zum Besseren zu verzeichnen.

Einen anderen unglücklichen Umstand, die Fehlbeurteilung oder souveräne Mißachtung gegebener Machtverhältnisse, beleuchtet J. K. Paasi-kivi in seinen Memoiren in der Schilderung einer Episode, die sich im November 1939 abspielte. Paasikivi und Vainnö Tamner, der damals Finanzminister war und als der wirklich starke Mann der Regierung galt, standen im Hauptbahnhof von Helsingfors vor dem Zug, der sie zu wichtigen Verhandlungen nach Leningrad führen sollte. Man wußte damals schon, daß Rußland gewisse Gebietsabtretungen von Finnland wünschte, um seine strategische Position zu verbessern, und daß es auch bereit war, dafür mit eigenen Gebietsabtretungen oder in anderer Form zu bezahlen. Der Auftraggeber der finnischen Delegation war Außenminister Eljas Erkko, der auch der Besitzer der größten finnischen Zeitung, Heisingin Sanomat, war.

Als sich an diesem Novembertag 1939 der Zug nach Leningrad in Bewegung setzte, trat Erkko an den Wagen heran und rief seinen Unterhändlern zu: „Vergeßt, daß Rußland eine Großmacht ist!“ — Paasikivi aber notierte in seinen Memoiren kurz und trocken: „Er hätte rufen sollen: Vergeßt nicht, daß Rußland eine Großmacht ist!“ — Das waren die zwei grundverschiedenen Auffassungen über die von Finnland einzuschlagende Politik. Daß Väinno Tanner Erkko zuneigte und Paasiki-vis Einschätzung der Situation ablehnte, kostete Finnland fünf Jahre Krieg, 85.000 Gefallene, 220.000 Verwundete und brachte den Verlust breiter Landstreifen im Osten und im Norden des Landes.

Finnland hatte in einer historischen Stunde vergessen, daß die Sowjetunion eine Großmacht war!

Die Lehren aus dem Krieg

Es verdient festgehalten zu werden, daß Finnland schon aus dem Verlaufe des Winterkrieges wertvolle Schlüsse zog: Als es in einer äußerst bedrängten Situation zwischen der Annahme einer englisch-französischen Hilfe und den sowjetischen Friedensbedingungen zu wählen hatte, wählte es den Frieden mit der Sowjetunion. Heute wissen wir, daß diese Entscheidung richtig war, denn den Westmächten ging es niemals um die Rettung Finnlands, sondern um die Besetzung Narviks und der schwedischen Erzfelder.

Aber auch die Sowjetunion mußte eine Lehre hinnehmen: Finnland erwies sich als militärisch stärker und politisch gefestigter, als man angenommen hatte. Das kleine Volk war eine selbstbewußte und nach Selbständigkeit strebende Nation geworden.

Paasikävis Linie ist nun durch fast zwölf Jahre von Urho Kekkonen weitergeführt worden. Kekkonen hat in die finnisch-sowjetischen Beziehungen einen neuen Stil eingeführt. Seine Gegner begleiten zwar seine häufigen Besuche in die Sowjetunion immer noch mit der mißtrauischen Frage, was er nun wieder mit den Leuten im Kreml zusammenkochen wolle und welche Befehle er wohl empfangen werde. Die Anhänger Kekkonens und der Paasikivi-Linie aber bemerken beruhigend, daß Kekkonen sicher nur nach Moskau gefahren sei, um den Moskowitern zu sagen, was sie zu tun haben! Man steht sich nicht mehr an der Grenze schweigsam und feindlich gegenüber, man sitzt in der Sauna Kekkonens und schwitzt! Diese Vorstellung von den sowjetischen Führern wirkt irgendwie beruhigend, wenn man an das weitere Schicksal Finnlands, des lebenskräftigen Fünfzigjährigen, denkt!

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