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URHO KEKKONEN DER „FIGL“ DES NORDENS

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Ganz stimmt die Parallele natürlich nicht: Der heutige Präsident Finnlands ist mit seinen einundsechzig Jahren etwas älter als der Präsident des österreichischen Nationalrates. Der Bauernführer und Bauerndemokrat aus dem Norden stammt auch nicht wie Figl aus dem wohlhabenden Agrargebiet seines Vaterlandes, sondern ist der Sohn einer sehr armen Kleinbauernfamilie aus der notleidenden Nordprovinz Finnlands. Aber in ihrer geistigen Profilierung, in ihrem politischen Weg weisen die beiden neutralen Staatsmänner erstaunliche Parallelen auf.

Am Anfang steht hier wie dort der von klarem weltanschaulichem Kampf her geführte Kampf gegen den Faschismus. Der kaum dreißigjährige Rechtsanwalt der Bauernvereinigung und Beamte des Landwirtschaftsministeriums, der sich sein Fachstudium mühsam erkämpfen mußte, nahm ihn an zwei Fronten zugleich auf: gegen den Schwarzhemden-Faschismus im Innern, dem er 1938 in einer außenpolitisch nicht ungefährlichen Zeit als Innenminister sehr drakonisch entgegentrat, und gegen die bedrohliche Aktivität Hitler-Deutschlands, die er bei einem Studienaufenthalt in Deutschland gleich bei der „Machtübernahme“ voraussah und der er schon 1934 seine Schrift „Die Selbstverteidigung der Demokratie“ entgegensetzte. Während des Krieges hatte es Kekkonen unter dem autoritären Regime Mannerheims verhältnismäßig leichter als Figl unter der unmittelbaren Gewaltherrschaft. Haft und KZ

blieben ihm erspart. Aber er schied aus dem politischen Leben seines Landes freiwillig aus und beschränkte sich darauf, als der

Schriftsteller „Pekka Peitsi“, Finnland auf die unausweichliche Katastrophe Hitlers vorzubereiten.

Als 1944 das Land zusammenbrach. war der Bauer Kekkonen an der Seite seines großen Freundes und Mentors Paasikivl zur Stelle. Hatte er sich schon während des ersten finnisch-russischen Krieges als Organisator der Hilfe für die zwangsausgesiedelten Karelier bewährt, so galt es nun, die Situation nach dem vollständigen Zusammenbruch zu bewältigen. Als Paasikivi 1950 Staatspräsident wurde, folgte er ihm als Chef von einander ablösenden fünf Regierungen auf dem Sessel des Premierministers. Die Aufgaben waren denen Nachkriegsösterreichs nicht unähnlich: Stabilisierung des Preis- und Lohngefüges, Ausweitung der Produktion und Förderung der vom Krieg am meisten betroffenen Gebiete Nord- und Ostfinnlands. Drei seiner Regierungen waren Koalitionskabi nette mit den Sozialdemokraten. Bereits 1930 hatte sich der Bauernführer für eine sachliche Verständigung mit der in Finnland stark rechtsgerichteten Arbeiterpartei eingesetzt. Das „Ökonomische Waffenstillstandsabkommen“ von 1954 gab dieser Staatspolitik das praktische Fundament. Der Name allein schon sagt, daß es sich um keine Verbrüderung, sondern um ein sachlich abgegrenztes Vertragswerk handelte, das die Gegensätze zwischen den Parteien nicht verwischte oder verharmloste.

Aber noch auf einem anderen Gebiet hatten die beiden patriotischen Bauerndemokraten ihre Bewährungsprobe zu bestehen: Für

Wien wie für Helsinki war die kommunistische Welt zum übermächtigen Nachbarn geworden. Man mußte sie als eine Realität zur Kenntnis nehmen und mit ihr verhandeln, ohne die eigenen Grundsätze und Lebensinteressen zu gefährden. Man mußte „es mit ihnen können“. Was nun für Österreich der Heurige ist, ist für Finnland das Schwitzbad, die Sauna. Figl handelte in den schweren Jahren nach dem Krieg manche Atemfreiheit, manche Erleichterung für Österreich beim Heurigen aus. Kekkonen rang dem ob solcher Zähigkeit erschöpften Chruschtschow die Genehmigung zum EFTA-Beitritt nach einer ausge- ■dehnten Nachtsitzung in der Sauna ab.

Das war im Vorfahr, als er schon vier Jahre Präsident seines Landes war. Aber die finnische Verfassung überträgt dem Staatsoberhaupt ausdrücklich die Führung der Außenpolitik. Und so konnte er seinen Kurs selbstbewußter, der inneren Kraft des Landes mehr als allen äußeren Bindungen trauenden Neutralitätspolitik auch von dieser Position aus fortsetzen. Präsident Kekkonen kommt also in ein Land, das ihn in seinen Sorgen verwandt berühren muß. Und er wird mit Politikern sprechen, die ihn zumindest ebenso gut verstehen, wie manche seiner nordischen Nachbarn.

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