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Hammarskjöld und die Religion

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Dag Hammarskjöld lernte ich im Sommer 1930 in der kleinen Stadt Sigunta kennen. Er war damals gerade Lizentiat der Philosophie geworden und ging nun schnell und methodisch auf das juridische Referendarexamen los — oft sah ich ihn in den Arkaden der Sigtuna-Stiftung mit den Kompendien in der Hand auf und ab wandern. Er studierte systematisch, ruhig und ohne Hetzjagd, und daher äußerst erfolgreich. In Uppsala hatte er Pech gehabt und mußte daher seine Studien in Stockholm fortsetzen. Man darf überhaupt nicht glauben, daß seine Siege leicht errungen waren. Als ich ihm im Jahre 1934 zu seiner Promotion gratulierte, antwortete er mit einem recht ernsten, um nicht zu sagen verbitterten Brief — er hatte bloß die zweitbeste Note bekommen und war der Ansicht, der Professor hätte seine Abhandlung nicht begriffen! Ich dachte im stillen, es könnte ihm nützlich sein, wenn er einmal eine schlechtere Note als die allerbeste erhielte, es würde ihm nicht schaden, wenn auch er — hin und wieder — die Ungerechtigkeit der Welt an sich erführe.

Während des Sommers 1930 hatte ich entdeckt, daß Hammarskjöld Christ war. Wir sprachen eingehend über diese Dinge. Er war der erste, der meinen Roman „Im Wartezimmer des Todes“, den ich damals schrieb, kennenlernte, und als ich mich dann den französischen christlichen Autoren zuwendete, die ich in den beiden Bänden „Die christliche Phalanx“, 1934 bis 1936, behandelt habe, erwies es sich, daß er recht viele von ihnen kannte. Ich war verblüfft. Aus der Schweiz gekommen, wo ich lange in einem Sanatorium gelebt hatte, hatte ich auf eigene Faust meine Studien betrieben; es gab unter meinen Studienfreunden in Stockholm keinen einzigen, der sich nur im geringsten dafür interessierte, was ich schrieb. Hammarskjöld war der erste Schwede, der meine Interessen teilte, diese mir h?i1ien Bücher ernsthaft las und über ihren Inhalt nachdachte.

Die innere Hemmung

Er hatte damals noch nicht die Mystiker gelesen, die später so starken Eindruck auf ihn machen sollten, aber er las Pascal und Jacques Rivieres Buch „A la trace de Dieu“, das er als eines der „großen“ Bücher betrachtete.

Hammarskjöld wurde Beamter und zwar — ein kühler Beamter. Ich besitze Briefe von ihm aus jener Zeit, die seiner förmlichen Verzweiflung darüber Ausdruck verleihen, daß' er nicht imstande war, etwas von iener Wärme auszustrahlen, die er im Herzen trug. Er nannte dies „einen Fluch“. Er war auch so zugeknöpft, so schüchtern in gewisser Hinsicht, daß es nicht leicht war, ihm näherzukommen, so sehr auch unsere Interessen übereinstimmten. Er hatte die „Unart“ — sein eigener Ausdruck — jedes Gespräch auf wesentliche Themen hinzuleiten. Zu gewöhnlichem Geplauder war er unfähig, außer mit seiner Mutter, der er vorbildlich höflich und aufmerksam begegnete. Als im Jahre 1937 die Oxfordgruppe nach Schweden kam. setzte ich mich mit ihm in Verbindung, um zu hören, ob er zu einer der ersten Versammlungen kommen wolle. Er antwortete, er wünsche der Gemeinschaft „aus der Ferne“ anzugehören — eine für ihn typische Ausdrucksweise.

Ich habe den Eindruck, er sei in den letzten Jahren in Schweden nicht sehr glücklich gewesen. Zwar hatte er Freunde, doch pflegte er zu sagen, mit seinen Kollegen müsse er sich „kindlicher Ausdrucksweise“ bedienen. Er meinte damit, daß keiner von ihnen Interesse an den religiösen Grundfragen hatte, die thn ständig beschäftigten. Als sich ihm die große Chance seines Lebens bot, wurde er ein anderer. Die Hemmungen verschwanden ebenso wie die Gegensätze. Das Dilemma, in dem er gefangen saß, hörte auf — loyal eine Regierungspolitik zu unterstützen, die er in vieler Hinsicht mißbilligte. Nun konnte er seine ganze Kraft auf ein einziges, durchaus vernünftiges Ziel, konzentrieren. Mit einem Male reifte er als Mensch; er war kaum mehr wiederzuerkennen. Seine Verschlossenheit und Melancholie waren verschwunden. Er lebte durch seine Berufung förmlich auf und wurde „begnadet“. Einige Jahre vorher war er ein recht ernster Mann gewesen, der in die Bergwelt floh oder sich anspruchsvoller Poesie hingab, weil er starke Hemmungen im Verkehr mit Menschen hatte und selten auf jemanden stieß, der die gleichen Interessen besaß wie er.

Von der Kameradschaft zum Opfer

Das Bewußtsein seiner Sendung bekam natürlich bei ihm gleich religiösen Charakter. Es war so als habe er mit einem Male den Sinn seines Lebens entdeckt. Er gestand, er habe sich bisher mit der Kameradschaftlichkeit begnügt. Er sah ein, daß er das Glück eines Privatlebens in gewisser Hinsicht opfern müsse, um seine weltgeschichtliche Aufgabe bewältigen zu können. Er löste dieses Problem seines Lebens im Sinne des christlichen Opfergedankens. Und damit gelangte er zu wirklicher Größe. Er vertiefte sich in die christlichen Klassiker und fand, daß der einzig beschreitbare Weg mit der Forderung des Evangeliums und der Heiligenliteratur auf das Opfer innig verknüpft sei. „Man kann sich nur dann vorbehaltlos einer Sache hingeben, wenn man keinen anderen dadurch bestiehlt.“ Ja, er weigerte sich zu heiraten, wenn er seiner Frau nicht alles geben könne; gäbe er aber seiner Frau alles, könne er sich dem Werk nicht aus voller Kraft widmen. Also war das Opfer unvermeidlich.

In den Evangelien kommen gewisse hochtrabende Worte vor, für die man heutzutage kaum Anwendung hat, wie etwa „seine Feinde lieben“, „für seine Feinde sterben“... Wir wissen, daß Christus und seine Apostel, aber auch manche spätere Heilige, bekannte oder unbekannte, so handelten. Sonst aber...?

Auf Dag Hammarskjöld lassen sich diese Worte seltsamerweise wirklich anwenden. Er begann damit, sein eigenes persönliches Leben fast zu unterdrücken, um ein idealer Beamter zu werden; das war ein gewagtes Unterfangen. Erst als er seine weltgeschichtliche Aufgabe vor sich sah, als seine persönliche Schicksalslinie hervorzutreten begann, gewann dieses Training an Bedeutung: was er früher gelernt, gelitten und getan hatte, waren Vorbereitungen zu seiner Leistung als Vorkämpfer des Friedens. Jetzt brauchte er das alles — seine Disziplin und Loyalität — jetzt hatte er Verwendung für seine Fähigkeit, sich der Sache . unterzuordnen, vor allem aber war er nun in eine

Stellung versetzt, die entweder den Menschen als groß erweist oder ihn entlarvt: er mußte leiden, er wurde verhöhnt und verfolgt, ja als bestochener Lakai im Dienste des amerikanischen Kapitalismus bezeichnet. Es gibt Bilder, auf denen er diesen Roheiten und Lügen lauscht, die fast unerträglich waren: so deutlich zeugen seine Züge von seinem Leiden. Es gibt andere Bilder von ihm — etwa zusammen mit Einheiten der UNO-Truppe -auf denen sein Gesicht feierlich und stolz erscheint, stolz jedoch nicht auf sich selbst, sondern auf die große Sache, der er diente. Und kaum einer Photographie aus der letzten Zeit fehlt ein gewisser Zug von Schwermut und Schmerz, wenn auch gepaart mit größter Selbstbeherrschung. Viele dieser Photographien und seine eigenen Briefe ließen seine schwedischen Freunde immer wieder förmlich Furcht vor seinem Schicksal empfinden — besonders wenn er selbst andeutungsweise vom entscheidenden „Opfer“ sprach. Er wußte, wessen er sich zu versehen hatte — davon zeugte die Erkennungsmarke an seinem Handgelenk. Er scheute sich nicht, die Sache beim rechten Namen zu nennen. Er war zi)m Sterben bereit.

„Wer sein Leben hingibt“

Und er starb. Für wen? Für seine Feinde! Die großen Worte des Evangeliums, die jemals anwenden zu können, wir fast schon zu-hoffen aufgehört hatten, erhalten plötzlich Inhalt. Er gab sein Leben hin, um Frieden und Ordnung in einem Land zu schaffen, in dem er verfolgt, gehaßt und gekränkt worden war.

Und TÄele fallen im Kriege gegen ihre Feinde. Viele fallen, um ihre Freunde zu erlösen Dag Hammarskjöld aber fiel, um auch seine Feinde zu erlösen und zu retten, die ihn verfolgten und haßten. Wenn man nicht sein Leben von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet, versteht man kaum seine wahre Größe. Als er das „Meditationszimmer“ der UNO einweihte — er plante ein ähnliches Zimmer stillen Nachdenkens auch in seiner Sommerwohnung — knüpfte er an die spanische Mystik an und legte ein eindeutig christliches Bekenntnis ab. Er zitierte: „Glaube ist die Vereinigung der Seele mit Gott“ und setzte hinzu:

„Es dauerte gewisse Zeit, bis ich begriff, was das bedeutet. Als ich schließlich so weit war, wurde dieser Glaube, in dem ich einstmals erzogen worden war und der meinem Leben die Richtung gegeben hatte, wenn auch mein Verstand seine Gültigkeit anzweifelte, von mir als mein eigener Glaube erkannt... Ich fühle, daß ich diese Überzeugung, die der wahre Schlüssel zur Reife ist, bestätigen kann, ohne mit der Forderung des Intellekts auf Ehrlichkeit einen Kompromiß einzugehen.“

In der gleichen Ansprache sagte er: „Die Erklärung dafür, wie ein Mensch ein Leben im aktiven Dienst für die Menscheit in voller Übereinstimmung mit sich selbst als Mitglied einer geistigen Brüderschaft leben kann, fand ich in den Schriften der großen Mystiker des Mittelalters, bei ienen, denen Selbstverleugnung der Weg zur Selbstverwirklichung wurde.“

Dag Hammarskjölds Leben ist eine Herausforderung jener, die meinen, die Pflicht des Menschen bestehe darin, sich nicht zu bescheiden, sich nicht zu opfern. Diesen Menschen muß seine Leistung als krankhafte Askese und Arbeitsbesessenheit erscheinen. In Wirklichkeit aber hat er den uralten Weg des christlichen Realismus beschritten — er beschied sich, um größere Möglichkeiten zu gewinnen, anderen zu helfen, er opferte, um mehr zu geben als der Selbstsüchtige zu geben vermag, ja er enthielt sich sogar der edelsten menschlichen Freuden und Anregungen, um sich ganz und gar seiner Aufgabe hinzugeben.

Er opferte sein persönliches Glück und fiel für seine Feinde. Vielen erscheint dies als krankhafte Lebensbahn. Der christlichen Denkungsweise aber bedeutet dies den einzig wahren, großen und vorbildlichen Weg.

Das letzte Buch, das Dag Hammar-skiöld las, war „Die Nachfolge Christi“.

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