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Mühsame Historie

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Wie wird sich Finnlands Lage nach der Abwanderung Dänemarks und Norwegens in das EWG-Lager in einem zersplitterten und geschwächten Norden gestalten? Wie wird die Sowjetunion auf die in der letzten Zeit sichtbar werdenden Rüstungsverstärkungen der NATO reagieren? Fragen, die über das Schicksal des kleinen Landes entscheiden.

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Wie wird sich Finnlands Lage nach der Abwanderung Dänemarks und Norwegens in das EWG-Lager in einem zersplitterten und geschwächten Norden gestalten? Wie wird die Sowjetunion auf die in der letzten Zeit sichtbar werdenden Rüstungsverstärkungen der NATO reagieren? Fragen, die über das Schicksal des kleinen Landes entscheiden.

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In seiner berühmten Romantrilogie „Söhne eines Volkes“ („Täälle Poh-jandähden Alla“) schildert Finnlands bekanntester heute lebender Dichter, Väinö Linna, das Schicksal einer kleinen Dorfgemeinschaft in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts. Als Mitspieler wider Willen und als wehrlose Opfer werden die einfachen, schlichten Menschen hineingezogen in den oft erbarmungslosen Kampf zwischen Ideen und Mächten, die, Hoffnungen erweckend und Verderben bringend, das Land überfluten. Sozialismus und Kommunismus, roter Aufruhr und rote Niederlage, weißer Terror und die ersten kraftlosen Versuche einer demokratischen Neugestaltung der Gesellschaft, daneben der unvorstellbar schwere Kampf um des Lebens Notdurft in einer kargen menschenfeindlichen Umwelt — alles dies läßt das Leben oft unerträglich erscheinen und hoffnungslos.

Finnland hat niemals vergessen, unter welchen Vorzeichen es seine ersten unsicheren Schritte als selbständiger Staat getan hat. Als es 1920 mit der Sowjetunion den Frieden zu Dorpat geschlossen hatte, standen dem Lande zwei Wege offen: der Weg der außenpolitischen Neutralität nach schwedischem Muster und der Weg der Annäherung an jene Großmächte, die eine harte antisowjetische Politik eingeschlagen hatten. Da man eben selbst einen von Rußland unterstützten (und dann vom gleichen Rußland im Stich gelassenen!) Aufruhr niedergeschlagen hatte, wählte man die antirussische Linie. Man war durch 110 Jahre ein Großfürstentum im russischen Zarenreich gewesen, man mißtraute dem großen Nachbar und man mochte auch nicht recht an einen längeren Bestand dieses bolschewistischen Staates glauben.

Der heutige Anschluß an den neutralistischen Norden bedeutete für Finnland, den Standpunkt einer absoluten Neutralität zu wahren. Es gibt Gründe, anzunehmen, daß auch Moskau die Ehrlichkeit der finnischen Neutralitätsbestrebungen anerkannte, obwohl es durch lange Zeit eine Verstärkung des deutschen Einflusses im nördlichen Teil der Ostsee befürchtet hatte.

Von den großen finnischen Problemen vor dem Jahre 1940, der Errin-gung der Selbständigkeit, der Uber-

Windung der Folgen dea blutigen Bürgerkrieges, der Überwindung der faschistischen Laippo-Bewegung und der Regelung des Verhältnisses zur Sowjetunion war bei Beginn des fünften Jahrzehntes nur das letztere übriggeblieben. Dieses allerdings drängte auf eine endgültige Lösung, die nicht eine Lösung durch Waffengewalt sein konnte.

Obwohl es Urho Kekkonen war, der so zuerst vor einem internationalen Auditorium für eine Neutralitätspolitik Finnnlands nach dem Kriege eintrat, führt eine vorherrschende Meinung in Finnland die Initiative zu dieser Politik auf den Konservativen und „Altfinnen“ J. K. Paa-sikivi zurück, der die Meinung vertrat, daß ein Kleinstaat mit der geographischen Lage Finnlands ohne das Vertrauen der benachbarten Großmacht keine Chance hatte, seine Selbständigkeit zu bewahren. Als bei den ersten Nachkriegswahlen der von den Kommunisten beherrschte „Demokratische Verband des finnischen Volkes“ 49 von 200 Mandaten erobern und wichtige Reglerungsstellen besetzen konnte, wurde noch deutlicher, daß es eine Rückkehr zur antisowjetischen Vorkriegspolltik nicht geben konnte. Schon 1948 entsandte Paasikivi eine Delegation nach Moakau, um über den Abschluß eines Freundschafts- und Beistandspaktes zu verhandeln. Es kam zur Anerkennung des Freundschafts- und Beistandsvertrages zwischen Finnland und der Sowjetunion im April 1948 durch das finnische Parlament.

Der Sozialdemokrat Rafael Paasio naihm in seine am 27. Mai 1966 gebildete Regierung drei Volksdemokraten und einen Linkssozialisten auf. Das erregte großes Aufsehen und man beschuldigte in der westlichen Presse Paasio, daß er ein „Spiel mit dem Feuer“ betreibe, das nur in eine Bolschewisierung Finnlands ausmünden könne. Auf einer zur gleichen Zeit in Stockholm stattfindenden Konferenz der Sozialistischen Internationale wurden von einem Parteiführer — der heute eine hervorragende Stelle in seinem Land einnimmt — unmißverständliche Versuche gemacht, die Bildung dieser Regierung ziu verhindern.

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