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Finnische Neutralität ist keine Importware
Als optimale Linie Tür uns hat sich im Laufe der Zeit eine auf finnischem Grund und Boden entstandene und einzig auf finnischen Entscheidungen beruhende Neutralitätspolitik herauskristallisiert.
Ehrlicherweise muß man jedoch zugeben, daß das Wahrnehmen der Folgerichtigkeit in der Neutralitätspolitik von Zeit zu Zeit Glauben an und Vertrauen in die Richtigkeit unserer Grundsatzentscheidung fordert, denn man kann es sich nicht leisten, mit dem Schicksal einer Nation von der relativen Größe der finnischen zu spielen - weder jetzt noch irgendwann.
Noch mehr als zu seiner Zeit trifft heute das zu, was Talleyrand gesagt hat: „In unseren Tagen sind alle politischen Fehler gefährlich.“ Wenn die politischen Bedingungen in ein Stadium der Veränderung einzutreten scheinen, dann besteht aller Grund, an jenen wesentlichen Faktoren festzuhalten, die permanent bedeutungsvoll und weitausgreifend sind. Mit ihrer Hilfe muß die Politik dann gestaltet werden.
In Finnland hat die Außenpolitik Vorrang vor der Innenpolitik, und sie muß ihn haben. Wenn wir keine Außenpolitik führen können,dieunserennatio- nalen Interessen entspricht, dann wird die Frage nach guter oder schlechter Innenpolitik völlig akademisch.
Hauptaufgabe unserer Verteidigungskräfte ist es, nach Geist und Buchstaben der von uns abgeschlossenen Staatsverträge die Verteidigung des Staatsgebiets vorzubereiten und dessen Neutralität zu schützen.
Die Verteidigungsstreitkräfte sind mithin ein Mittel der Staatsmacht zur Abstützung unserer außenpolitischen Linie. Die Verteidigungsstreitkräfte unterstützen diese Linie schon allein durch ihr Vorhandensein, aber natürlich um so stärker, je effektiver sie sind. Ihre Bedeutung wächst aber entscheidend erst dann, wenn von uns aus gesehen alle anderen Mittel zur Streitschlichtung erschöpft sind.
Gerade die neutralen Länder sind verpflichtet, die Verletzung ihres Luftraumes zu verhindern.
Eine erfolgreiche Linie der Neutralitätspolitik setzt voraus, daß der Fähigkeit und dem Willen des Landes zur Durchführung dieser Politik Vertrauen entgegengebracht wird. Dieses Vertrauen ist mit politischen Mitteln zu wecken, indem man eine klar profilierte und konsequente Außenpolitik führt sowie die Verträge einhält, die man abgeschlossen hat.
An den Neutralitätswillen schließt sich die Fähigkeit an, eventuelle Verletzungen der Neutralität zu verhindern. Dies ist der Grund, warum die Aufgaben der'Verteidigungsstreitkräfte eng mit der allgemeinen außenpolitischen Orientierung des Landes verzahnt sind.
Zuweilen, wenn man die von Finnland gewählte außenpolitische Linie verächtlich zu machen wünscht, sagt man, die finnische Außenpolitik sei vom Unvermeidlichen diktiert worden. Aber wird denn der Wert einer Friedenspolitik dadurch herabgesetzt, daß nationale Notwendigkeit zu ihr geführt hat und daß ihr Fundament wohlverstandenes Nationalinteresse ist? 1st nicht Friedenspolitik in unseren Tagen nationale Notwendigkeit für alle Völker?
Was Finnland angeht, so war das Entstehen einer Politik des Friedens und der Freundschaft zwischen Finnland und der Sowjetunion unleugbar eine nationale Notwendigkeit. Und gerade darin bestehen die Kontinuität ihrer Stärke und ihre unerschütterliche Festigkeit. Getragen wird sie von breiten Volksschichten ebenso wie von den führenden Persönlichkeiten unseres Landes.
Wir Finnen haben gelernt, daß das Bemühen, gegen die Sowjetunion politisch anzuspekulieren, gleichzusetzen ist mit einem völligen Mangel an Verständnis für die existierende Situation. Aktivität in dieser Richtung wäre gleichbedeutend mit dem schlimmsten Bärendienst an unserem eigenen Land.
Von Zeit zu Zeit geht ein sehr merkwürdiger Gedanke um, wonach friedliche Koexistenz und enge Nachbarschaftsbeziehungen mit der Sowjetunion mit der Zeit dazu führen würde, daß Finnland sich Schritt für Schritt in einen kommunistischen Staat verwandelt.
Was mich angeht, so bin ich nach wie vor davon überzeugt: Selbst wenn ganz Europa zum Kommunismus übergehen würde, dann würde Finnland auf dem
Boden der traditionellen nordischen Demokratie bleiben, wenn die Mehrheit des finnischen Volkes dieses will - was ich persönlich glaube.
Überraschend ist wohl nicht, daß man nicht überall Geschmack an der internationalen Hochachtung gewinnt, die Finnland erreicht hat. Mit Hinweis auf die Grundsatzentscheidung, die wir für unsere Außenpolitik gefällt haben, wurde jener Begriffsspuk geschaffen, der den Namen „Finnlandisierung“ (siehe Stichwort S. 2) trägt.
Indem man Finnland als warnendes Beispiel benutzte, hat man zu beweisen versucht, daß ein Staat, der sich um gegenseitiges Vertrauen mit der Sowjetunion bemüht und zu weitgespannter Zusammenarbeit bereit ist, mit der Zeit in ein Verhältnis der Unterordnung kommt. Obwohl er die äußeren .Symbole seiner Unabhängigkeit bewahrt, kann er keine selbständige Innen- und Außenpolitik mehr führen.
Unsere Antwort darauf ist eindeutig. Wir haben einen politischen Ausgleich mit unserem Großmachtnachbarn getroffen, der ein verschiedenartiges Kulturerbe und Gesellschaftssystem hat. Wir haben in reichlich dreißig Jahren erkannt, daß die Zusammenarbeit mit der Sowjetunion nicht nur möglich,
sondern auch für uns von erheblichem Vorteil ist...
Der Begriff „Finnlandisierung“ hilft nicht, die internationalen Probleme unserer Tage zu begreifen, und noch weniger hilft er, für diese Probleme tragbare und gerechte Lösungen zu finden. Darum ist unser Rat an die Finnlandisie- rungs-Theoretiker eindeutig: Wählt irgendein anderes Wort, wenn ihr schon unbedingt jemanden zu beleidigen wünscht!
Unsere Neutralitätspolitik ist keine Importware. Sie folgt auch nicht irgendeinem fertigen Schema. Sie ist auf dem Grund und Boden der eigenen Geschichte Finnlands gewachsen und findet Anwendung auf die Bedingungen, unter denen wir leben.
(Aus: „Gedanken eines Präsidenten - Finnlands Standort in der Welt." Von URHO KEKKONEN. Econ-Verlag, 1980.)
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