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Finnischer Balanceakt

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Mitteleuropäische Kommentatoren haben sich an gewöhnt, die Nase zu rümpfen, wenn von Finnlands A ußenpolitik die Rede ist. Neutralität ä la Helsinki scheint vielen nicht ganz geheuer zu sein. Da klingen dann A ndeutungen durch, Präsident Kekkonen spiele das Spiel Moskaus. Solche Töne gipfelten darin, daß man das Wort „Finnlandisierung“ erfand, um Länder zu brandmarken, die ihre eigenen Interessen der Rücksichtnahme auf große Nachbarn opfern. Helsinki ist über diese Wortschöpfung indes zu Recht empört.

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Mitteleuropäische Kommentatoren haben sich an gewöhnt, die Nase zu rümpfen, wenn von Finnlands A ußenpolitik die Rede ist. Neutralität ä la Helsinki scheint vielen nicht ganz geheuer zu sein. Da klingen dann A ndeutungen durch, Präsident Kekkonen spiele das Spiel Moskaus. Solche Töne gipfelten darin, daß man das Wort „Finnlandisierung“ erfand, um Länder zu brandmarken, die ihre eigenen Interessen der Rücksichtnahme auf große Nachbarn opfern. Helsinki ist über diese Wortschöpfung indes zu Recht empört.

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Finnlands Außenpolitik ist von geo­grafischen Realitäten geprägt. Da die Finnen ihre Lage auf der Weltkarte nicht ändern können, haben sie sich mit ihr abgefunden und das Beste daraus gemacht. Das verdient Anerkennung und nicht Verdächtigung.

Heute ist Finnland eine Demokratie, deren Bürger trotz 1269 Kilometer ge­meinsamer Grenze mit der Sowjet­union all die Freiheiten und den Le­bensstandard genießen, die die west­liche Welt auszeichnen. Die Bürger der übrigen sowjetischen Nachbarstaaten würden wohl gerne mit den Finnen tau­schen.

Daß Finnland eine Demokratie nach westlichem Muster werden konnte, war nicht immer klar. Als Stalin 1948 den finnischen Präsidenten Paasikivi auf­forderte, Verhandlungen über ein künf­tiges, besseres Nachbarschaftsverhält­nis aufzunehmen, da bezeichnete er den Vertrag, den er mit Finnland schließen wollte, offen als Freundschaftspakt nach dem Beispiel jenes mit Ungarn oder Rumänien.

Paasikivi und der finnische Reichs­tag aber gaben den Unterhändlern Di­rektiven nach Moskau mit, die die Un­abhängigkeit sichern sollten:

Finnland werde an keinem Militär­bündnis teilnehmen, ein militärisches Eingreifen der Sowjetunion dürfe nur auf finnischen Wunsch erfolgen und müsse sich auf den Kriegsfall beschrän­ken, Finnland müsse sein selbständiges Entscheidungsrecht wahren und werde sich nicht zu politischen Konsultatio­nen verpflichten.

Das Ergebnis der Verhandlungen war der Vertrag über „Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand“, der seit damals die Grund­lage der sowjetisch-finnischen Bezie­hungen darstellt. Zieht man die Aus­gangslage in Betracht, dann war er das Optimum des Erreichbaren.

Dennoch legt dieser Vertrag den Fin­nen Beschränkungen auf. So kann die finnische Neutralität in einem be­

stimmten, vertraglich festgelegten Fall aufhören: Wenn nämlich die Sowjet­union durch einen Angriff via Finnland bedroht ist. Dann sind sowjetisch-finni­sche Konsultationen über sowjetische „Militärhilfe“ an Finnland vorgesehen.

Erstes Ziel der finnischen Außenpo­litik ist es daher, das Eintreffen einer solchen „Bedrohung“ zu verhindern.

Dieses vitale Eigeninteresse - und nicht Unterwerfung unter sowjetische Gedankengänge - ist der Grund für Kekkonens vielfältige Aktivitäten, die aus Nordeuropa eine Zone des Friedens und der Abrüstung machen wollen.

Daher auch Kekkonens Proteste, wenn die nordischen NATO-Staaten, vor allem Norwegen, über den Ausbau ihrer Verteidigung sprechen. Denn eine Aufrüstung dort könnte die UdSSR zum Anlaß nehmen, sich bedroht zu er­klären und jene „Konsultationen“ zu verlangen, die Finnland bisher vermei­den konnte.

Finnland versteht sich als Partner­land der Neutralen Europas. Das hat Außenminister Vaeyrynen erst kürzlich in Wien deutlich unterstrichen. Zu den Blockfreien hält man trotz guter Bezie­hungen Abstand.

In internationalen Fragen agiert Finnland betont zurückhaltend: „Mein Land betreibt eine Außenpolitik, die danach strebt, Finnland aus den inter­nationalen Konflikten herauszuhalten. Das ist ihm gelungen“, sagt Präsident Urho Kekkonen. „Finnlands Sicher­heit beruht auf keinem Militärbündnis, sondern auf der friedlichen Neutralität und den guten und vertrauensvollen Be­ziehungen, die wir mit unseren Nach­barn knüpfen konnten.“

Kekkonen weiß, daß die finnische Neutralität nur so lange etwas wert ist, solange Finnland das Vertrauen des Kreml genießt. So vermeidet er alles, was Moskau provozieren könnte.

Das Ergebnis dieser Politik ist der finnische Balanceakt, der danach strebt, nach außen hin völlig gleichwer­tige Beziehungen nach Ost und West vorzuweisen, während gleichzeitig die Bevölkerung keinen Augenblick im Zweifel ist, daß sie sich dem Westen zu­gehörig fühlt.

Typisch dafür sind wohl die Wirt­schaftsbeziehungen: das der EFTA as­soziierte Finnland hat Handelsabkom­men sowohl mit der EG wie mit dem RGW (COMECON). Während aber der Vertrag mit den östlichen Handels­partnern ein Rahmenabkommen ohne konkreten Inhalt ist, ist jener mit der EG ein Freihandelsabkommen, das für Finnlands Wirtschaft von größter Be­deutung ist.

Gleichzeitig mit dem Bestreben, sich aus Konflikten herauszuhalten, ver­sucht Finnland - gleich Österreich - sich als Stätte internationaler Begeg­nung zu profilieren.

Die Ergebnisse der KSZE mögen spärlich geblieben sein. Aber der Name Helsinki ist seither in aller Welt un­trennbar mit den Begriffen Sicherheit und Zusammenarbeit verbunden. Der „Geist von Helsinki“ ist zum Schlag­wort geworden. Den psychologischen Wert dieser Tatsache kann man für eine Stadt in derart ausgesetzter Lage gar nicht hoch genug einschätzen.

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