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Weichensteller in Finnland

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Seit dem 22. November bemühten sich in der Hauptstadt Finnlands die Vertreter von 34 Ländern, herauszubekommen, ob einige Aussicht darauf besteht, in einer großen europäischen Sicherheitskonferenz zu einer „Verminderung der militärischen Spannung und zu einer Verstärkung der friedensfördernden Zusammenarbeit“ in Europa zu kommen. An dieser Botschafterkonferenz nehmen alle europäischen Staaten (außer Albanien), die USA und Kanada, teil.

Die Konferenz ist auf wiederholte finnische Anregungen und auf ein direkt an alle berührten Staaten gerichtetes Memorandum der finnischen Regierung vom 24. November 1970, und schließlich auf die Einladung zu dieser Vorkonferenz vom

9. November 1972 zurückzuführen. Das sind die trockenen historischen Daten, die nichts aussagen über die Fülle von Konsultationen zwischen den einzelnen Regierungen, über das Auf und Ab der Meinungen, die diesen finnischen Plan von der ersten Stunde an begleiteten.

„Wir hoffen, daß die Konsultationen von Helsingfors über eine europäische Sicherheits- und Zusammenarbeitskonferenz uns von der Bürde der Vergangenheit befreien und zur Einleitung einer neuen Ära führen werden“, sagte Finnlands Präsident Dr. Urho Kek-konen, und die Delegierten sagten, was die Welt von ihnen erwartete.

Zu welchen Resultaten die eigentliche Konferenz aber wirklich kommen wird, steht noch in den Sternen geschrieben, eines aber steht heute schon fest: die Vorkonferenz führte zu einer Festigung der Stellung Finnlands und zur Anerkennung Helsinkis als internationaler neutraler Konferenzplatz; ein vorläufiger Gewinner ist also Finnland.

Es gibt mehrere erstmalige oder einmalige Erscheinungen rund um das Kongreßhaus Dipoli, neun Kilometer westlich von Helsinki gelegen und vom Studentenkorps der Technischen Hochschule verwaltet. Vor allem trifft man sich hier in einem der eigenartigsten Häuser Finnlands, das wahrlich nicht arm an sonderbaren Schöpfungen der Baukunst ist. Das Haus ist unsymmetrisch, erbaut aus Glas, Naturholz, Beton und roh behauenen Steinen, enthält zwar ausgezeichnete Versammlungsräume verschiedener Größe und hochmoderne Simultananlagen, dürfte aber so manchen Delegierten zu einem Kopfschütteln verleitet haben.

Erstmalig war bei der Vorkonferenz die Teilnahme eines Vertreters des Vatikans an einer gesamteuropäischen Konferenz, erstmalig saßen Vertreter der Bundesrepublik und der DDR gleichberechtigt nebeneinander und saßen — wegen der Anwendung der französischen Länderbezeichnung — wirklich nebeneinander! Erstmalig dürfte es auch passiert sein, daß (um den Charakter der Botschafterkonferenz zu wahren!) ganze Gruppen von Diplomaten gleichzeitig zu Botschaftern ernannt und hohe Regierungsmitglie-der, wie Valerian Sorin aus Moskau, denselben Status erhielten.

Allgemein war man sich darüber im klaren, daß die gegen Ende Jänner 1973 beginnenden Verhandlungen über die Verminderung der Truppenstärken und die nächste SALT-Runde entscheidend auch das Resultat dieser Konferenz beeinflussen werden. Wenn sich eine Frontenbildung abzeichnet, dann jene, daß eine Gruppe von kleineren und mittleren Staaten zwischen oder außerhalb der großen Machtblöcke sich dafür einsetzen wird, die Abrüstungsfrage auf die Tagesordnung der Sicherheitskonferenz zu setzen, während der Westen die Verstärkung der allgemeinen Zusammenarbeit in den Vordergrund rücken dürfte und nicht gewillt ist, in Helsinki — weder jetzt noch später — direkte Abrüstungsfragen zu diskutieren. Auch die an die Namen Kekkonen und Unden geknüpften Pläne auf Schaffung atomfreier Zonen wird man kaum diskutieren wollen. Erklärungen des NATO-Generalsekretärs Luns, in denen von einer „Politik der Stärke“ gesprochen wird, entsprechen nicht den Hoffnungen des Ostens.

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