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Angst vor der Information

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Welche Erfolgschancen hat eigentlich jener „Botschafter-Salon“ in Helsinki, wie nun die vorbereitenden Gespräche für eine Europäische Sicherheitskonferenz allgemein genannt werden? Nach Beginn der zweiten Verhandlungsrunde sind die früher so wortreichen Berichte der „eigens nach Helsinki entsandten Sonderberichterstatter“ auffallend dürftig und in ihrem Ton gedämpft. Manche Beobachter befürchten, daß man sich auf den Weg in eine Sackgasse befindet; andere — es ist eine Minderheit — behaupten, daß sie nie etwas anderes erwartet hätten, denn die Verhandlungen hätten ganz einfach im Zeichen falscher Prämissen begonnen.

Es ist notwendig, im Protokoll-buch der west-östlichen Beziehungen ein paar Seiten zurückzublättern.

Die Forderung nach Einberufung einer Konferenz ist von der Sowjetunion seit etwa zwölf Jahren erhoben worden. Offenbar dachte man ir Moskau vom Anfang an, neben einei Zementierung des Status quo, ar eine Verstärkung der Zusammenarbeit auf den Gebieten des Handels der Forschung und der Kultur, in gewissen Maße auch an eine westliche Hilfe beim Ausbau der sowjetischen Industrie. Man kam deshalb der Forderung des Westens nach Beteiligung auch der USA und Kanadas nach. Nun begann der Westen von der Notwendigkeit einer sehr gründlichen Vorbereitung zu sprechen und schließlich auch von der Garantie, daß eine solche Konferenz zu einem Erfolg führen müsse.

Als man endlich zur Vorkonferenz in der finnischen Hauptstadt zusammenkam, wurde mit großem Nachdruck von Sprechern des Westens die freie Bewegung von Menschen, Ideen und Informationen über alle Grenzen verlangt.

Die Sowjetunion sieht sich damit vor eine Forderung gestellt, der sie nicht nachgeben will und kann. Wer etwas anderes behauptet, zeichnet ein falsches Bild der Wirklichkeit. Gegenüber den westlichen Kpmmu-nikationsmitteln fühlt sich die Sowjetunion politisch und idologisch in der Defensive. In der Forderung nach einer freien Bewegung von Personen und Informationen über die Grenzen erkennt sie immer mehr die Gefahr, daß die ja keineswegs hart betonierte Einigkeit des Ostens von innen her aufbrechen könnte.

Die logische Folge ist der Aufbau einer ideologischen Abwehrfront im Osten. Für den Fall, daß man gezwungen sein sollte, einer „gewissen Liberalisierung“ der Bewegung über die Grenzen zuzustimmen, aber auch für den Fall, daß es abermals zu einer Verhärtung der idologischen Frontlinien kommen sollte.

Es ist interessant, zu lesen, daß der bekannte finnische Politiker Max Jakobson in seinem Buch „Auf eigenen Wegen“ viele der bedeutenderen Handlungen der Sowjetunion der letzten Jahre als reine Reaktion auf westliche Handlungen oder Absichten bezeichnet: das Mißtrauen gegenüber den Absichten des Westens ist immer vorhanden.

Auch die sowjetische Zustimmung zu Verhandlungen über die Reduzierung der Truppenstärken und der Waffenlager in Zentraleuropa kann als eine solche Reflexhandlung angesehen werden. Man stimmte den NATO-Vorschlägen und auch der Beteiligung von Ländern wie Frankreich, Rumänien, Jugoslawien und auch Schweden (das gar nicht besonders daran interessiert ist) zu, weil man die Diskussion weiterführen will, auch wenn man in Helsinki in eine Sackgasse geraten sollte. Man kann darin einen Versuch sehen, in Genf oder in Wien zu retten, was in Helsinki in die Brüche gegangen ist. Im Augenblick jedenfalls.

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