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Die Neutralen sprechen ein gewichtiges Wort

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Einen Zwischenspurt legten die Delegationen der 35 KSZE-Staaten im Belgrader Konferenzpalais ein, um den überschrittenen Zeitplan der Folgekonferenz ins Lot zu bringen. Das Ende der Vorschlagphase und der Implementierungsdebatte konnte erst in der sechsten Konferenzwoche erreicht werden, sodaß die Arbeitskommissionen die Formulierung der weit auseinandergehenden Vorschläge in Angriff nehmen konnten. Mehr als 50 Vorschläge zur Durchführung und Verbesserung des Abkommens von Helsinki wurden eingebracht: 18 zu ökonomischen und handelspolitischen Fragen, 11 zu Menschenrechten und humanitären Belangen, 8 zur Verbesserung des Informationsflusses und zum Schutz der Korrespondenten, 5 zu vertrauensbildenden Maßnahmen auf dem militärischen Sektor. Die Verbesserungswünsche des Westens, der Neutralen und Blockfreien sind mit Abstand ausgeprägter als jene des Ostens, der mit dem Status quo durchaus zufrieden ist und wiederholte Male zu erkennen gab, daß er ja auch an Erscheinungen im Westen Kritik üben könnte, aber wozu? Nach dem Motto „wasch ich dir den Pelz, wäschst du mir den Pelz”. Nur scheint dieses unübersehbare Angebot des Ostens bei den übrigen 29 Unterzeichneten der Schlußakte von Helsinki keine entsprechende Gegenliebe geweckt zu haben. Daß die Sowjets deshalb zu immer massiveren Drohungen Zuflucht nehmen mußten, hat die Glaubwürdigkeit ihrer Argumentation nicht erhärtet.

Wieso die Erörterung von den Sowjets und ihren Satelliten nicht genehmen Problemkreisen die Konferenz gefährden sollte, wie es der aufgebrachte ■ sowjetische Chefdeligierte Woronzow zu suggerieren versuchte, ist nicht einzusehen. Im Gegenteil stellt der Versuch der Sowjets und ihrer fünf kommunistischen Verbündeten im Ost block, sich den vertraglichen Verpflichtungen von Helsinki zu entziehen, eine Gefährdung des von ihnen immer zitierten „Geistes von Helsinki” in Europa dar. Darüber hinaus offenbar auch ein untaugliches Mittel, etwa die Erörterung der Menschenrechte abblocken zu wollen, wie die Reaktionen der erdrückenden Mehrheit der Konferenz von Belgrad bewiesen hat. Selbst die in einer besonders heiklen Lage befindlichen jugoslawischen Gastgeber stellten im Plenarsaal fest, daß Berufung auf Souveränität kein Hindernis für eine Diskussion sein könne. Jedenfalls keine Einmischung in innere Angelegenheiten eines anderen Staates in Fragen, die durch die Dokumente von Helsinki gedeckt werden, wie der amerikanische Chefdelegierte Goldberg betonte. Die Prager Prozesse sind keine westliche Erfindung, auch nicht die Verfolgung von Bürgern im Osten, die eine Einlösung der Unterschriften ihrer Regierung unter Helsinki fordern, oder

Schikanen gegen aussiedlungswillige Deutsche in Polen, der UdSSR und der Tschechoslowakei. Schließlich lautet das Mandat der Belgrader Folgekonferenz: Bilanz ziehen und Verbesserungsvorschläge ausarbeiten. Hierin sind sich die EG-Staaten, die USA, Kanada, die Neutralen, ja selbst die Blockfreien einig, wie ja der bisherige Verlauf der Belgrader Tagung eine ganz unerwartete Homogenität der Freien Welt gezeigt hat, welcher der Osten nur noch mit Drohungen zu begegnen weiß.

Für den weiteren Verlauf stimmt dies nicht allzu optimistisch, weshalb sich die Frage aufdrängt, wie es nun weitergehen soll. Zu Ergebnissen in Belgrad gehören schließlich 35 Punkte, da ja Konsens vereinbart ist, den die mittleren, kleinen und kleinsten Staaten Europas voll auszuschöpfen gewillt sind. Wie schon während der Vorkonferenz, spielen die Neutralen eine bedeu tende Rolle und es hätte nicht erst der Kritik am Mangel von Fortschritt in Abrüstungsfragen und der Anhäufung des erschreckenden militärischen Potentials in Europa bedurft, um die Weltöffentlichkeit aufhorchen zu lassen.

Daß die neutralen Staaten dabei feststellten, Belgrad sei ein Diskussionsforum, während Verhandlungen und Ergebnisse den Runden in Wien und Genf vorbehalten bleiben müßten, hat den Großmächten nur das Verantwortungsbewußtsein dieser Europäer vor Augen geführt. Auch, daß diese bisherigen Domänen der Supermächte den Rest Europas wohl tangieren. Expertenkommissionen und sonstigen neu zu schaffenden Ausschüssen für Probleme, die gerne auf die lange Bank geschoben werden, haben die europäischen Staaten übrigens einen Riegel vorgeschoben. Das Rezept der Großmächte, das Begrader Treffen „auszudünnen”, um so das Heft wieder fester in die Hand zu bekommen, zieht in Europa nicht mehr.

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