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„Zu viel Ironie für einen einzigen Korb

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Zum Beitrag „Moskau und die großen Fortschritte seit Helsinki“ unseres Redaktionsmitgliedes Burkhard Bischof sandte Wladimir Lomejko, politischer Beobachter der APN, der FURCHE eine Darstellung aus seiner Sicht.

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Zum Beitrag „Moskau und die großen Fortschritte seit Helsinki“ unseres Redaktionsmitgliedes Burkhard Bischof sandte Wladimir Lomejko, politischer Beobachter der APN, der FURCHE eine Darstellung aus seiner Sicht.

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Wladimir Lomejko

Als ich in der FURCHE einen Beitrag über meinen Artikel las, dessen Thema die Erfüllung der Vereinbarungen von Helsinki durch Moskau war, mußte ich dem Verfasser als Polemiker Gerechtigkeit widerfahren lassen. Durch den unkomplizierten Vergleich der Bevölkerungszahl zweier Länder - der Sowjetunion und Österreichs - hat er ziemlich geschickt die Schwerfälligkeit des Moskauer Gulliver im Land der Liliputaner lächerlich gemacht. Das wäre alles ganz schön, aber darum geht es nicht. Es ging nicht darum, wer - die Sowjetunion oder Österreich - den anderen in irgendwelchen Kennziffern übertrifft, seien es jetzt ausländische Touristen oder Journalisten. Solche Vergleiche wären angebracht, wenn es um vergleichbare Dinge unter Berücksichtigung aller Faktoren ginge. Sonst könnte man beweisen, daß es zum Beispiel in der Sowjetunion mehr Schallplatten mit Walzern von Strauß als in Österreich gibt.

In meinem Artikel wollte ich jedoch nachweisen, daß nach Helsinki unsere kulturellen Verbindungen mit westlichen Ländern wesentlich ausgebaut worden sind. Das bedeutet keineswegs, daß wir mit dem Erreichten zufrieden sind und nicht Größeres anstreben. Im Gegenteil: wir sind der Meinung, daß dies nur der Anfang einer großen positiven Änderung im Bereich der gegenseitigen Verständigung und Annäherung der Völker Europas ist.

Es ist ein Anfang, zu dem Helsinki beitrug, und der, wie wir hoffen, durch die gemeinsamen Anstrengungen in Belgrad wie auch danach eine Fortsetzungfinden wird. Ich betonte das Wort „gemeinsame“. Zu solchen Anstrengungen gehören unter anderem auch die gegenseitige Achtung und ein bestimmtes Niveau• des Vertrauens wie auch der Korrektheit im Umgang miteinander und - nicht zuletzt - das gegenseitige Interesse. Manchmal ist hier auch eine gesunde Dosis Ironie und - natürlich - Selbstkritik nützlich.

Nun zu den Argumenten meines Kollegen. Ironisches „leises Lächeln“ ruft bei ihm die Tatsache hervor, daß ebenso viele Sowjetbürger wie Österreicher ins Ausland reisen. Wir schickten uns jedoch gar nicht an, in den nächsten Jahren Österreich oder andere Länder mit alten Fremcjenver- kehrstraditionen, mit entwickelter tou ristischer Industrie, zu überflügeln. Für uns ist es wichtig, daß von Jahr zu Jahr immer mehr Sowjetbürger ins Ausland reisen und daß die Entwicklung des Auslandstourismus, die bei uns vor Verhältnismäßig kurzer Zeit begann, im Laufe von 15 bis 20 Jahren einen steilen Aufstieg nahm: von einigen zehntausend auf drei Millionen. Ist das keine positive Tendenz? Oder wäre die Alternative des „kalten Krieges“ mit eingefrorenen Kontakten besser?

Für die Jahre 1976 bis 1980 ist mindestens ein anderthalbfaches Wachstum des Fremdenverkehrs vorgesehen. Unerwähnt blieb von der FURCHE, daß verhältnismäßig hohe Preise für die touristische Betreuung im Westen (ich kann hinzufügen, daß sie jedes Jahr im Zusammenhang mit dem allgemeinen Preisanstieg wachsen) für Sowjetbürger Reisen ins westliche Ausland sehr kostspielig machen.

Der Vergleich aus dem Bereich des Filmverleihs ist wieder ein Vergleich verschiedener Dinge. Ich schrieb über westliche Filme (die Sowjetunion kauft jährlich 50 bis 60 solcher Filme), während Herr Bischof über ausländische Filme in Österreich (327) sprach. Wenn man die ausländischen Filme in der UdSSR zählt, darf man auch die 60 bis 70 Filme aus sozialistischen Ländern nicht vergessen (also sind es 110 bis 130 ausländische Filme im Jahr). Aber auch das ist nicht das wichtigste. In der Sowjetunion werden jährlich 250 ei gene Spielfilme gedreht, was die österreichische Filmproduktion wesentlich übersteigt. Außerdem ist unsere Filmindustrie nicht auf Profit orientiert. Sie ist eine Kunst, die berufen ist, den Menschen die Ideen des Humanismus, des Friedens und der gegenseitigen Verständigung zu vermitteln. Wir möchten (leider gelingt uns das nicht immer), daß der Zuschauer nach einer Filmvorführung den Kinosaal geistig bereichert verläßt.

Herr Bischof ironisiert, daß in der UdSSR weniger ausländische Korrespondenten als in Österreich tätig sind. Er erwähnt jedoch nicht, was ich geschrieben habe: in der UdSSR bestehen keine Begrenzungen, keine Quoten für die Vertreter ausländischer Massenmedien. Zum Unterschied von vielen westlichen Ländern, die die Zahl der akkreditierten sowjetischen Journalisten begrenzen. Das bedeutet aber: zu uns kommt jeder, der kommen will. Also verfehlt die Ironie ihre Adresse. Dasselbe gilt auch für die Bemerkung über die Gemeinschafts- und Einzelreisen ausländischer Journalisten. Ich zählte nicht jene auf, die aus eigenem Antrieb reisen, sondern diejenigen, die uns um Hilfe bei der Veranstaltung spezieller Reiseprogramme und Begegnungen ersuchten.

Abschließend möchte ich den Anfang des zweiten Absatzes aus dem Beitrag von Herrn Bischof zitieren: „Lassen wir die Körbe 1 und 2 beiseite, konzentrieren wir uns voll und ganz auf den ,dritten Korb1.“ Es wäre interessant, was darauf die Teilnehmer der Konfe renz von Helsinki antworten würden, die übereingekommen sind, die Schlußakte als eine Gesamtheit zu betrachten, ohne aus ihr willkürlich einzelne Teile nach eigenem Geschmack herauszureißen.

Man kann sich natürlich vorstellen, daß für manch einen die gegenseitige Verständigung und Zusammenarbeit in Europa auf dem Gebiet der Politik und Wirtschaft im Vergleich zur Zahl ausländischer Touristen und Filme nichts bedeutet. Daß die Schlußakte überhaupt nicht aus drei Körben, sondern aus einem Korb besteht. Wird aber der dritte Korb, in den jeder seiner Verehrer so viel wie möglich hineinstecken will, von all dem nicht platzen?

Gerne, Herr Kollege Lomejko, gibt die FURCHE auch Ihrer Gegendarstellung Raum. Ehrlich gesagt, sind wir sehr erfreut, daß die Kreml-Führung so sichtbar - wie Sie es darstellen - eine Phase der Liberalisierung eingeleitet hat. Hoffentlich geht sie auch so weit, daß ein westlicher Staatsbürger ebenso in den Kaukasus oder nach Baku reisen kann, wie Sie ins Salzkammergut oder nach Bregenz. Wir wollen ja schließlich auch die Völkerverständigung! Das „leise Lächeln“ ist aber dennoch geblieben. Wir kommen nicht umhin, Ihre Argumentation mit Zahlen und Ziffern als schwerfällig zu bezeichnen. Denn Ihre Beispiele fortschrittlicher Politik sind für die Bürger demokratischer Staaten längst eine Selbstverständlichkeit.

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