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Moskau und die „großen Fortschritte“ seit Helsinki

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Da flatterte doch dieser Tage eine Aussendung der sowjetischen Presseagentur ,Nowosti“ durch die Lande, die sicherlich starkes Interesse auf sich zog. Wladimir Lomejko, seines Zeichens politischer Beobachter, gibt Antwort auf jene Frage, die westlichen Journalisten und Politikern schon seit längerer Zeit Kopfzerbrechen bereitet hat, weil sie diese krampfhaft zu beantworten versucht haben. Lomejko zeigt nämlich auf, „wie Moskau die Vereinbarungen von Helsinki erfüllt“. Er kommt schon im vorhinein zu dem Schluß, daß die Sowjetunion in dieser Hinsicht „die größte Beharrlichkeit an den Tag legt“.

Lassen wir die Körbe I und II beiseite, konzentrieren wir uns voU. und ganz auf den ,firitten Korb“, in dem besonders die humanitäre Zusammenarbeit festgehalten wird. Die Men schenrechtsbewegung in den Ostblockstaaten hat - was diesen Punkt der Helsinki-Vereinbarungen anlangt - viel Staub in Ost und West aufgewirbelt. Die Bürgerrechtler und Dissidenten haben in Frage gestellt, daß die kommunistischen Regime die Verwirklichung des Dokumentes von Helsinki diesbezüglich vorantreiben. Wie dem auch sei, Wladimir Lomejko weiß es besser und behauptet, daß „ein Verzeichnis dessen, was auf diesem Gebiet geleistet wurde, sehr lang wäre“. Er führt auch Beispiele an, die es wert sind, durchleuchtet zu werden. Interessant wird die Argumentation Lomej- kos vor allem dann, wenn man seine Zahlen mit österreichischen Verhältnissen vergleicht:

• Nach Helsinki habe die Sowjetunion mit anderen Ländern zwischenstaatliche Abkommen über die Entwicklung des Fremdenverkehrs beschlossen: „Zu uns kommen Gäste aus 155 Ländern der Welt, während sowjetische Touristen in 130 verschiedene Länder reisen“, führt Lomejko an. Nach Österreich kommen Gäste aus allen’Ländern der Welt und österreichische Staatsbürger dürfen auch überallhin ausrei- sen, soviel sie wollen und solange sie können.

• 2975 besuchten über drei Millionen Ausländer die UdSSR, 1976 mehr als vier Millionen. Das vergleichsweise winzige Österreich besuchten 19 75 rund 11,5 Millionen und 1976 waren es 11,6 Millionen. 2(2 Millionen Sowjetbürger durften 1975 in Axisland reisen, 19 76 waren es drei Millionen. Ebenfalls drei Millionen Österreicher haben 19 75 das Ausland besucht. Aber in der Sowjetunion leben 250 Millionen

Menschen, in Österreich eben nur sieben Millionen.

• Jede Woche läuft in der UdSSR ein neuer westlicher Film an. Wahrhaftig ein Beitrag zur kulturellen Völkerverständigung! In Österreich sind im vergangenen Jahr 327 neue ausländische Filme angelaufen, in den Spitzenmonaten bedeutet das einen neuen ausländischen Film pro Tag. Darunter waren auch vier neue Werke aus den sowjetischen Filmstudios.

• „Wie wirkte sich Helsinki auf die Arbeit der ausländischen Journalisten in der Sowjetunion aus?“ fragt der Autor schlußendlich und gibt auch gleich selbst die Antwort: „ln Moskau sind gegenwärtig 260 Korrespondenten aus 50 Ländern ständig akkreditiert“. Wie pflegt man in Österreich doch zu sagen? ,(Nu na, nicht!“ - Beim Bundes-_ Pressedienst sind 320 Auslandskorre- pondenten aus 49 Ländern gemeldet. Die Sowjetunion ist eine Weltmacht, Österreich ein neutraler Kleinstaat. Aber lassen wir Lomejko weitere Beweise anführen: „Die Zahl der Pressekonferenzen (1976 waren es fast 100) und Gemeinschaftsreisen (etwa 40) ausländischer Korrespondenten durch die Sowjetunion nahm zu. Außerdem unternahmen sie mehr als 800 Einzelreisen.“ Es ist kaum möglich, festtustel- len, wie viele Pressekonferenzen in ganz Österreich in einem Jahr stattfinden. Nur ein Vergleichswert: Im Presseclub Concordiafanden 1976 allein an die 100 Pressekonferenzen statt! Und was die Reisen betrifft: Bei uns wird nicht gezählt, wie viele Einzelreisen oder Gemeinschaftsreisen die ausländischen Journalisten in unserem Lande antreten. Bei uns packt halt jeder noch seinen Koffer und reist soviel und solange er will…

Für Lomejko mögen diese Zahlen einen großen Fortschritt veranschaulichen, für die drei Millionen Sowjetbürger, die 1976 ins Ausland reisen durften, sicherlich auch. Wenn die „Praw- da“ diese Fortschritte auf der Titelseite aufzeigt, dann sollen sich die Parteimitglieder angesichts solcher Vertragstreue auch ruhig freuen. Dann muß es aber auch Bürgern einer westlichen Demokratie gestattet sein, daß ihnen bei der Argumentation Lomejkos ein leises Lächeln über das Gesicht huscht…

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