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Österreich und die Sicherheitskonferenz

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Am 1. August 1975 wurde in Helsinki die Schlußakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) von den Staats- und Regierungschefs der 35 Teilnehmerländer unterzeichnet. Damit fand die Europäische Sicherheitskonferenz ihren Ab schluß und Höhepunkt. In ihrem Abschnitt über die Folgen der Konferenz - dem „Korb IV“ - sieht die Schlußakte Zusammenkünfte zwischen Vertretern der Teilnehmerstaaten vor. Als erste dieser Zusammenkünfte wird 1977 in Belgrad ein Treffen stattfinden.

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Am 1. August 1975 wurde in Helsinki die Schlußakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) von den Staats- und Regierungschefs der 35 Teilnehmerländer unterzeichnet. Damit fand die Europäische Sicherheitskonferenz ihren Ab schluß und Höhepunkt. In ihrem Abschnitt über die Folgen der Konferenz - dem „Korb IV“ - sieht die Schlußakte Zusammenkünfte zwischen Vertretern der Teilnehmerstaaten vor. Als erste dieser Zusammenkünfte wird 1977 in Belgrad ein Treffen stattfinden.

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Zur Vorbereitung dieses Belgrader Folgetreffens, mit dessen Beginn in der zweiten September-Hälfte 1977 zu rechnen ist, wird am 15. Juni, ebenfalls in Belgrad, ein Vorbereitungstreffen beginnen, das die Aufgabe hat, Datum, Dauer, Tagesordnung und die sonstigen Modalitäten des Haupttreffens festzulegen. Die Tagesordnung des (ersten) Belgrader Treffens ist bereits weitgehend durch die einschlägigen Bestimmungen der Schlußakte vorgezeichnet. Es soll ein vertiefter Meinungsaustausch

• über die bisherige Durchführung der Bestimmungen der Schlußakte und

• über die Entwicklung des Entspannungsprozesses in der Zukunft jStattfinden.

Die KSZE hat nach mehr als dreijährigen Verhandlungen Ergebnisse gebracht, die sich nicht unwesentlich von den Erwartungen des Ostens und den Befürchtungen des Westens unterscheiden.

„Festschreibung der Grenzen?“

Bekanntlich geht die Idee einer europäischen Sicherheitskonferenz auf Vorschläge der Sowjetunion schon in den fünfziger Jahren zurück. Damals hatte man damit vor allem die völkerrechtliche Anerkennung der DDR und die Festschreibung der aus dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangenen Grenzen in Europa im Auge. Diese Ziele waren, als die Konferenz schließlich zustande kam, nicht mehr wirklich aktuell: Die nach 1969 eingeleitete Ostpolitik der BRD hat zu weltweiter Anerkennung des zweiten deutschen Staates und der deutschen Ostgrenzen - allerdings unter Anmeldung des Vorbehaltes einer möglichen künftigen friedlichen Wiedervereinigung - geführt. Eine „Festschreibung der Grenzen“, eine „Anerkennung des territorialen Status quo“ ist durch die KSZE schon deshalb nicht erfolgt, weil die Schlußakte keinen völkerrechtlich bindenden Vertrag, sondern eine politische Absichtserklärung darstellt und gerade die Schlußakte ausdrücklich die Möglichkeit friedlicher Grenzänderungen vorsieht.

Die KSZE, eine Generalbestandsaufnahme sämtlicher Bereiche der Ost-West-Beziehurigen dreißig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges, hat einen Verhaltenskodex, eine Ne,u- formulierung der Spielregeln im Ost-West-Verhältnis als Ergebnis gebracht. An der Einhaltung oder Nichteinhaltung dieser Regeln wird künftighin der Verständigungswille zwischen den Teilnehmerstaaten und der Grad der Entspannung gemessen werden. Die Gipfelkonferenz von Helsinki im August 1975 war somit nicht das Ende einer Tagungsserie, sondern der Beginn einer neuen Entwicklung, einer qualitativ neuen Dimension im Entspannungsprozeß, der seit über zwanzig Jahren im Gange ist.

Der „Korb III“

Es ist den pluralistischen Demokratien, einschließlich der Neutralen, gelungen, ihr Gedankengut weitgehend, vor allem im humanitären Teil der Schlußakte, dem „Korb III“, zur Geltung zu bringen. Er stellt letztlich einen mit den Unterschriften der höchsten Repräsentanten der Teilnehmerländer versehenen Katalog von Rechten des Individuums dar. Hier sind Begriffe und Ideen enthalten, über die zum ersten Male auf multilateraler Ebene zwischen Ost und West verhandelt und Einigung erzielt wurde.

Allerdings wird von den Oststaaten speziell im humanitären Bereich das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten der anderen Länder geltend gemacht und festgestellt, die Verwirklichung der Menschenrechte sei eine rein innerstaatliche Angelegenheit. Dieses Argument ist spätestens seit Helsinki nicht mehr haltbar: Zum ersten Male haben die Menschenrechte in der KSZE- Schlußakte den Status eines Prinzips erhalten, das die Beziehungen der Teilnehmerstaaten zueinander leitet. Daraus ergibt sich die Berechtigung, auch zu Menschenrechtsverletzungen in anderen Teilnehmerländern Stellung zu nehmen.

Entspannung bedeutet keineswegs Ruhigstellung, sondern schafft, wie besonders auf kommunistischer Seite immer wieder festgestellt wird, günstige Voraussetzungen für die Weiterführung der ideologischen Auseinandersetzung. Gerade die KSZE-Ver- handlungen haben gezeigt, mit welcher Hartnäckigkeit unter den Bedingungen der Entspannung der Wettstreit der Ideen geführt wird. Es hat sich dabei erwiesen, daß sich unser demokratisches Gedankengut durchsetzen kann, wenn wir uns nicht unter Zeitdruck setzen lassen, da wir letztlich über die stärkeren ideologischen Positionen und die besseren Argumente verfügen.

Die Realisierung der Schlußakte in ihrer Gesamtheit braucht Zeit. Es wäre eine Illusion zu glauben, daß unmittelbar nach Helsinki in den kommunistischen Ländern eine umfassende, ganz den westlichen Vorstellungen entsprechende Liberalisierung eintreten würde. Keiner der Teilnehmerstaaten hat die Absicht verfolgt, die politischen Systeme in anderen Ländern zu ändern.

Österreich wird im Rahmen des vertieften Meinungsaustausches die Dinge beim Namen nennen müssen. Wir können uns, schon angesichts unserer ideologischen Grundpositionen, nicht verschweigen. Österreich hat die meisten Bestimmungen der' Schlußakte schon lange vor Beginn der Konferenz in Gesetzgebung und Praxis verwirklicht. Auch das wird im Rahmen einer Bilanzziehung gesagt wer den müssen. Hiebei wird aber jede überflüssige Emotionalisierung zu vermeiden sein, um nicht denen, die manche Bestimmungen der Schlußakte schon heute als Belastung empfinden, Anlaß zu geben, die Weiterführung der Entwicklung in Frage zu stellen.

Zwei Verhandlungsziele werden im Vordergrund stehen: Einerseits eine eingehende und detaülierte Bestandsaufnahme dessen, was von der Schlußakte schon verwirklicht ist und was noch der Realisierung harrt, anderseits sicherzustellen, daß die durch Helsinki eingeleitete Entwicklung weitergeführt wird und neue Impulse erhält.

Vertrauensbildende Maßnahmen

Auch an den in der Schlußakte vorgesehenen „vertrauensbildenden Maßnahmen“ auf militärischem Gebiet und bestimmten Aspekten der Sicherheit und Abrüstung besteht bei einem neutralen Staat in der geopoliti- schen Lage Österreichs vitales Interesse. Österreich hat stets den Standpunkt vertreten, daß die politische Entspannung, um auf die Dauer glaubwürdig zu bleiben, von entsprechenden Maßnahmen auf militärischem Gebiet begleitet sein muß. Diese grundsätzliche Position hat die österreichische Bundesregierung schon in ihrem Memorandum von 1970 an die Regierungen der KSZE-Teil- nehmerstaaten zum Ausdruck gebracht.

Zwar steht bei der KSZE die Abrüstung nicht im Zentrum der Bemü hungen. Dies geschieht in anderen Gremien, den SAL-Gesprächen und den Wiener Verhandlungen über die gegenseitige Verminderung von Streitkräften und Rüstungen in Mitteleuropa. Dennoch sind gerade die neutralen und paktungebundenen Staaten bestrebt, Vertrauensbildung durch geeignete Initiativen auch innerhalb der KSZE glaubwürdig zu machen.

Der zweite Korb der Schlußakte, der umfangreiche Texte zu Fragen des Handels, der industriellen Kooperation der Wissenschaft und Technik, der Umwelt, des Verkehrswesens, des Fremdenverkehrs, zu den sozialen und wirtschaftlichen Aspekten der Wanderarbeit und zu Fragen der Ausbildung von Fachkräften enthält, ist für die marktwirtschaftlich orientierten ebenso wie für die Staatshandelsländer gleichermaßen von Interesse. Die dort enthaltenen Bestimmungen sehen konkrete Maßnahmen für die Verbesserung der wirtschaftlichen Kontakte und Möglichkeiten der Information in Handel und Wirtschaft sowie für die Verbesserung der Handelsförderung vor und harren, ebenso wie eine Reihe anderer Bestimmungen, zum Teil noch ihrer Verwirklichung.

Die kommunistischen Länder fordern vom Westen ständig „Nichtdiskriminierung“ und sehen eine „Dis-! kriminierung“ in mengenmäßigen Beschränkungen für Einfuhren aus den ( RGW-Ländem sowie in Vorteilen, die sich die Mitglieder von Freihandelszonen und Zollunionen gegenseitig einräumen. Mit der Forderung nach Nichtdiskriminierung möchten die

Staatshandelsländer alle Vorteile in Anspruch nehmen, die das marktwirtschaftliche System bietet, ohne zu entsprechenden Gegenleistungen bereit zu sein.

Die Sowjetunion hat Konferenzen auf hoher Ebene über Fragen des Umweltschutzes, über Transport und Energie vorgeschlagen. Nach anfänglicher Reserve steigt auch das westliche Interesse an solchen Veranstaltungen, nachdem der Osten zunehmend bereit scheint, diese Konferenzen im Rahmen der Europäischen Wirtschaftskommission (ECE) durchzuführen. Die grundsätzlich bejahende Haltung Österreichs zu dieser Idee wurde wiederholt betont.

Was die Behandlung von Fragen, die den Mittelmeerraum betreffen, anlangt, so war Österreich seit jeher den Wünschen derjenigen Anrainerstaaten, die nicht Teilnehmerländer der KSZE waren, aber dennoch den Dialog mit der Sicherheitskonferenz gesucht haben, sehr aufgeschlossen, ist doch die Sicherheit Europas verknüpft mit der Sicherheit in der Mittelmeerregion. Wir sind daher der Ansicht, daß den interessierten Ländern, ähnlich wie im Rahmen der zweiten KSZE-Phase in Genf, auch in Belgrad eine Möglichkeit geboten werden sollte, ihre Auffassungen darzulegen. Einigen Mittelmeerstaaten scheint die Helsinki-Schlußakte offenkundig so attraktiv, daß sie Überlegungen anstellen, sie von sich aus freiwillig zu übernehmen.

Erste Schritte positiv

Für die neutralen Staaten wie Österreich stellt sich in Belgrad, wie auch schon in Genf und Helsinki, die nicht einfache Aufgabe, unter Wahrung ihrer im Demokratiebegriff westlicher Prägung verwurzelten ideologischen Positionen ausgleichend zu wirken und zu einem positiven Ergebnis des Treffens beizutragen. Hiebei wird objektiv festzustellen sein, daß seit Helsinki in manchen Bereichen der Schlußakte Fortschritte gemacht wurden. Der gute Wille vieler Teilnehmerstaaten in den Bereichen der Familienzusammenführungen und äüch in anderen humanitären Belangen muß anerkannt yverden. bei Weg bis zu einer vollständigen Realisierung der Schlußakte ist allerdings noch weit.

Die Entspannung als günstige Vorbedingung für den friedlichen Ideenwettstreit, aber frei von Wunschdenken kann durchaus erfolgreich weitergeführt werden. Soll sie wirksam und dauerhaft sein, dann muß sie aber auf den Menschen bezogen werden und dem einzelnen in Ost und West fühlbare Erleichterungen bringen. Sie ist kein abstrakter politischer Begriff oder ein Vorgang, den man nur zu definieren und auf einer Konferenz zu beschließen braucht, sondern gleichzeitig Ausgangspunkt und Ergebnis eines allmählichen Prozesses, der auf ganz konkreten Faktoren beruht. Wenn den humanitären Anliegen der Menschen Rechnung getragen wird und sie die Früchte der Entspannungspolitik genießen können, dann werden sie die Notwendigkeit einer solchen Politik immer besser verstehen.

Ohne übertriebenen Optimismus

Seit der Unterzeichnung der Schlußakte von Helsinki sind etwa eineinhalb Jahre vergangen. Ein abschließendes Urteü darüber, ob die großen Erwartungen, die in die Konferenz gesetzt worden sind, wirklich gerechtfertigt waren, wird auch anläßlich des Belgrader Folgetreffens noch nicht möglich sein. Erst die vorbehaltlose Durchführung des gesamten Konferenzergebnisses wird einen echten und wirkungsvollen Beitrag zum Entspannungsprozeß leisten. Man würde der Entspannung einen schlechten Dienst erweisen, wenn der Meinungsaustausch in Belgrad über die Durchführung der Schlußakte durch übertriebenen Optimismus in der Öffentlichkeit unserer Länder Fehleinschätzungen des tatsächlichen Standes oder durch überflüssige Polemik eine Gefährdung der KSZE zur Folge hätte.

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