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Den Frieden kann man nur politisch sichern

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Ein NATO- oder WEU-Beitritt vergrößert Österreichs Risiko in einen Konflikt zu geraten. Machtpolitik hat keine Zukunft.

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Ein NATO- oder WEU-Beitritt vergrößert Österreichs Risiko in einen Konflikt zu geraten. Machtpolitik hat keine Zukunft.

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Es ist das große Verdienst der KSZE, daß sich während des West-Ost-Konfliktes eine europäische Sicherheitskultur entwickeln konnte, die auf der Ächtung des Krieges als Mittel der Konfliktlösung beruht. Die EU, geschützt durch das atlantische Bündnis nach außen, konnte diese friedliche Konfliktkultur so perfekt umsetzen, daß Kriege zwischen EU-Mitgliedern heute undenkbar erscheinen. Im Jahre 1989 hat sich die europäische Sicherheitskultur der KSZE insofern bewährt, als entgegen allen geschichtlichen Erwartungen der Zusammenbruch eines Weltimperiums friedlich verlief.

Der Rückfall in die Barbarei des Krieges, wie er unter Mitverantwortung der Großmächte im ehemaligen Jugoslawien stattfindet, könnte diese Sicherheitskultur jedoch in Frage stellen. Denn der Krieg in Bosnien gibt jenen Auftrieb, die in. die Normalität der traditionellen Machtpolitik (gern als Realpolitik bezeichnet) zurückkehren wollen. Jene Machtpolitik, von welcher der Philosoph Karl Popper in seinem letzten Werk verzweifelt meinte, sie sei die Geschichte von nationalen und internationalen Verbrechen und Massenmorden.

Es besteht daher die Gefahr, daß die Weichenstellung bei der EU-Regierungskonferenz 1996 mehr in Richtung Macht- als Friedenspolitik geht. Solange es keine klaren Zielvorgaben für eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik gibt, sollte es daher auch keine großen Strukturänderungen geben. Die entscheidende Frage ist, ob die EU ihren erfolgreichen Weg der friedlichen

Kooperation und Integration fortsetzen will oder ob unter dem Deckmantel einer gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik die EU von einer kooperativen Zivilmacht in eine konfrontative Militärmacht umgewandelt werden soll.

Nicht nur Österreich und die EU-Mitglieder, sondern ganz Europa ist von dieser Weichenstellung betroffen, bei der es nicht so sehr um Konföderation oder Bundesstaat, Neutralität oder Solidarität, mehr oder weniger Vergemeinschaftlichung, sondern um das künftige Sicherheitsverständnis geht, das dem der UNO und der KSZE entspricht, ich meine damit eine Sicherheit, die nicht zum Krieg, sondern zum Frieden führt.

Anders ausgedrückt: Europa braucht eine resultatorientierte Sicherheitspolitik, die nicht nach der militärischen Stärke, sondern deren Erfolg danach bemessen wird, inwieweit sie den Frieden ohne militärische Kriegsführung sichern kann.

Gerade Österreich ist ein Land, das durch seine Neutralitätspolitik, die sich immer als aktive und solidarische Friedenspolitik verstanden hat, prädestiniert erscheint, für eine Sicherheitspolitik einzutreten, die sich am Frieden und nicht an Machterweiterung und Machtlösungen orientiert. Besondere Bedeutung kommt hierbei der sogenannten gemeinsamen europäischen Verteidigung und in diesem Zusammenhang auch der österreichischen Landesverteidigung zu.

Niemand kann ernsthaft behaupten, daß dem EU-Territorium und Österreich eine militärische Gefahr von außen droht. Es kann daher keine Rede sein, daß dem Aufbau einer gemeinsamen Verteidigung der EU besondere Dringlichkeit zukomme.

Hinzu kommt, daß es gar nicht so sehr um den Aufbau einer gemeinsamen Verteidigung, sondern um die Beistandspflicht bei Interventionen „out of area” geht. Natürlich hängt die Sicherheit der EU-Länder auch von der Sicherheit anderer Länder ab. Daher hat sich Österreich hervorragend an den Blauhelmeinsätzen beteiligt, die Ausfluß einer kooperativen Sicherheitspolitik sind.

Der Aufbau europäischer Interventionsstreitkräfte, die jederzeit und überall auch ohne UNO- und OSZE-Beschlüsse über Auftrag von NATO, WEU und EU zum Einsatz kommen könnten, dient aber nicht der Sicherheit Osteuropas, sondern wirkt kontraproduktiv, da die politische und militärische Ausgrenzung Bußlands nur Konflikte provoziert. Die neutralen und kleinen Staaten haben daher ein Interesse, daß die EU zu .keinem konfrontativen Militärblock wird, der allein schon durch seine Existenz zum gefährlichen Bisikofaktor in den Beziehungen zum übrigen Europa wird. Vor allem wollen sie nicht in Konflikte hineingezogen werden, die keinen Verteidigungsfall darstellen.

Die Gefahr, die aus der Mitgliedschaft in einer solchen Sicherheitsgemeinschaft droht, ist jedenfalls größer als die Gefahr eines militärischen Angriffs auf Österreich. Der Beitritt zur NATO/WEU bedeutet daher nicht nur eine gänzliche Aufgabe der Neutralität, sondern auch eine Verschlechterung der österreichischen Sicherheitslage; ganz abgesehen davon, daß so der NATO/-WEU das grundsätzliche Recht eingeräumt wird, in Österreich Truppen zu stationieren, militärische Stützpunkte zu errichten und Atombomben zu lagern.

Österreich und die EU haben aber zweifellos ein Interesse, daß die KSZE-Sicherheitskultur des Gewaltverzichtes und der friedlichen Konfliktlösung auf das übrige Europa ausgedehnt werden soll. Dazu ist aber mehr gefragt als das sicherheitspolitische Einmaleins der ' „strategisch-realistischen Schule”. Wie kann Sicherheit in einer komplexen Welt wirklich hergestellt werden?

Es gibt keine umfassende militärische Sicherheit, aber sehr wohl die Herstellung von Sicherheit mit politischen, ökonomisch-ökologischen und kulturellen Mitteln sowie einer strikt defensiven Organisation von militärischen Machtmitteln. Hier läge der nächste Schritt einer europäischen Sicherheitskultur: Das Verbot einer offensiven Militärstrategie.

Vor dem Hintergrund der Tatsache, daß Österreich unter dem Titel „Raumverteidigung” beachtliche Beiträge zur Operationalisierung der Idee einer defensiven Verteidigung geleistet hat, sollte das Bundesheer mit Stolz seine eigenen Erfahrungen einbringen und nicht nach Anpassung an die NATO rufen.

Eine solche vertrauensbildende Verteidigung würde nicht nur den Verzicht auf ein grenzüberschreitendes Offensivpotential, sondern auch einen Verzicht auf jene Großtechnik bedeuten, die nur zu Störmaßnahmen eines militärischen Gegners einlädt. Eine solche Verteidigung wäre ein solides Fundament für eine gesamteuropäische Sicherheitsstruktur.

Auf der Basis dieser defensiven Sicherheitsarchitektur ließen sich auch die Kosten für Rüstung und Militär wesentlich verringern. Für das österreichische Bundesheer könnten durch den Verzicht auf Großtechnologien bei der defensiven Verteidigung jene Mittel eingespart werden, die zum Ausbau ziviler und militärischer Friedenseinsätze notwendig sind, sodaß sich, wie Militärexperten versichern, das Verteidigungsbudget Österreichs auf dem jetzigen Stand einfrieren ließe.

Wann wird sich ein österreichischer Verteidigungsminister finden, der den Mut hat, vertrauensbildende defensive Verteidigung in Verbindung mit kooperativen Friedenseinsätzen den Sicherheitspolitikern der EU als Grundlage einer europäischen Sicherheitsstruktur anzubieten? Der Autor ist

Präsident des Österreichischen Studienzentrums für Frieden und Konflikt-förschung in Schlamins und ehemaliger bwgenländischer Landesrat

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