Vor der Einführung des Faustrechts

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Neutralität bedeutete in der Geschichte dieses Landes nie, vor Krieg oder anderen Verbrechen die Augen zu verschließen.

Es gehört zur Vorgangsweise herrschender Eliten, die Zahl politischer Alternativen auf zwei einzuschränken. George Bush stellt die Staatenwelt vor die Wahl, Solidarität mit den USA zu üben oder sich in die Reihen des Terrors zu stellen. Diskussionen über die US-Außen-, Militär- und Wirtschaftspolitik - also mögliche Ursachen - sind unerwünscht.

Vom "Kreuzzug gegen den Terror" will man in der Alpenrepublik nichts wissen und wärmt behutsam die Suppe der österreichischen Neutralitätsdiskussion auf. Die Opposition ist nun bei der Frage des Nationalen Sicherheitsrates ins Boot der Regierung gekrochen. Auch die Abfangjäger-Debatte nimmt durch die Aufgabe des Widerstands von Finanzminister Grasser seinen Lauf. Unbeachtet von der Öffentlichkeit werden Kaufanbote für die Kampfflieger geprüft.

Österreich muss bei der Terrorbekämpfung mitarbeiten, denn es gäbe hier keine Neutralität, so SP-Chef Gusenbauer. Die Diskussion bei den Grünen verlief turbulenter. Alexander Van der Bellen sieht durch die UNO-Resolution keine österreichischen Überfluggenehmigungen gerechtfertigt. "Verlogene Beschwichtigungspolitik", konterte der Europaabgeordnete Johannes Voggenhuber.

Die Diskussion um Überflüge - und damit möglicherweise die Unterstützung von aggressiven Vergeltungsmaßnahmen, die Österreich als Kriegsunterstützung angelastet werden könnten - ist gerade in Österreich von so zentraler Bedeutung, weil sich auch in der EU die Zeichen mehren, dass die militärische EU-Eingreiftruppe auch für Kampfeinsätze in aller Welt nicht notwendigerweise ein Mandat des UNO-Sicherheitsrates einholt oder abwartet. Die Diskussion um das Mandat der UNO und dessen genauer Inhalt werden noch viele internationale Konfliktsituationen des neuen Jahrtausends prägen.

Bis zum Kosovo-Krieg gehörte es zu den Grundfesten der Nachkriegsgeschichte, für Militäraktionen über ein ausdrückliches Mandat des UNO-Sicherheitsrat zu verfügen. Und jetzt? Der unter US-Hegemonie stehende Militärpakt Nato hat - trotz kritischer Expertenmeinungen aus Völkerrecht und Friedensforschung - den militärischen Beistandsfall festgestellt. Die Vereinten Nationen (die OSZE für Europa) müssen aber die zentrale Organisation für den Weltfrieden bleiben. Die weitere Schwächung der Organisation durch sich selbst mandatierende Militärpakte kann in die Wiedereinführung des Faustrechts münden.

Die Unklarheiten in der Debatte über die künftige Sicherheitspolitik haben in der österreichischen Bevölkerung eine klare Reaktion hervorgerufen: drei von vier Österreichern (72 Prozent) befürworten den neutralen Status. Eine ähnlich hohe Zustimmung (81 Prozent) konnte die Neutralität während dem Kosovo-Krieg verbuchen. Besonders in Zeiten der Unsicherheit kann es sich bewähren, keine Kriegsparteien - wer oder wo auch immer diese sind - zu unterstützen.

Neutralität bedeutete in der Geschichte dieses Landes nie, vor Krieg, Menschenrechtsverletzungen oder anderen Verbrechen die Augen zu verschließen. Vielmehr bedeutet Neutralität, zwischen Konfliktparteien einen Dialog zu initiieren und nicht in Auseinandersetzungen undifferenzierte Parteistellungen einzunehmen, sich diese aufdrängen zu lassen oder zwischen Tätern und Opfern äquidistant zu sein.

Wie in der Weltpolitik wird auch hier die Sicherheitsdebatte nur auf zwei Optionen herabgebrochen. Die Neutralität des Kalten Krieges wird den scheinbar neuen Konzepten einer militarisierten EU oder der "neuen" Nato gegenübergestellt. Die Umfragen belegen, dass sich die Menschen in diesem Land für eine dritte Alternative entschlossen haben: Eine an den modernen Instrumenten und Methoden der zivilen Konfliktbearbeitung im 21. Jahrhundert orientierten aktiven Friedens- und Neutralitätspolitik, die gerade nach diesem 11. September ein besserer Garant für Frieden und Sicherheit ist.

Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Österreichischen Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung.

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