Die schwarz-blaue Koalition hat Österreichs Landesverteidigung auf eine neue Basis gestellt. Ohne jede öffentliche Diskussion wurde diese Woche im Ministerrat eine neue Verteidigungsdoktrin beschlossen. Damit ist de facto die Neutralität außer Kraft gesetzt, auch wenn der Koalition zur offiziellen Abschaffung die dafür nötige Zweidrittel-Mehrheit fehlt.
Dass die Koalition die Diskussion über das heiße Eisen Neutralität vermeidet stellt ihr weder ein gutes demokratiepolitisches Zeugnis aus, noch beweist es Vertrauen in die Vernunft der Bürger. Auch wenn die Meinungsumfragen derzeit noch das Gegenteil zu beweisen scheinen - die Bürgerinnen und Bürger haben längst eingesehen, dass die Neutralität ein Relikt des Kalten Krieges und damit heute ohne politische Substanz ist. Was in der Öffentlichkeit fehlt, ist die Diskussion über eine Alternative zur Neutralität. Der NATO-Beitritt ist nicht die zwingende Alternative, als die ihn die Koalition darzustellen beliebt. Nicht erst die uranverseuchten Waffen haben die NATO unpopulär gemacht, auch die Loslösung der NATO-Politik von jeglicher UNO-Legitimation macht das Bündnis in seiner jetzigen Form problematisch.
Indirekt unterstützt die SPÖ diese Debattenverweigerung, indem sie ohne wenn und aber eisern an der Neutralität festhält. Die SPÖ verteidigt die Neutralität in der Opposition umso heftiger, je tiefer sie sie als Regierungspartei selbst ausgehöhlt hat. Heute sollte die SPÖ den Mut haben, das offizielle Aufheben der Neutralität aus staatspolitischer Verantwortung mitzutragen. Allerdings mit einer wichtigen Auflage: die Neutralität nicht zugunsten des NATO-Beitritts aufzugeben, sondern nur zugunsten eines neuen europäischen Sicherheitssystems.
Wie ein solches europäisches Sicherheitssystem ausschauen könnte, welche Aufgabe den kleinen, welche den großen Staaten darin zukäme, welche Konsequenzen ein solches System für Bundesheer und Wehrpflicht hätte, darüber ist eine große nationale Debatte zu führen - nicht nur zwischen Opposition und Regierung, auch in der breiten Öffentlichkeit.
Trautl Brandstaller war langjährige ORF-Journalistin und Dokumentarfilmerin.
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