Seit dem Krieg um den Kosovo ist die Neutralität wieder hoch im Kurs. 70 Prozent der Österreicher wollen weiterhin neutral bleiben, laut jüngsten Meinungsumfragen. Ob aus immer edlen Gründen, darf bezweifelt werden.
70 Prozent der Österreicher - für Politiker offenkundig ein unwiderstehliches Signal, ihre Fahne nach dem Wind zu hängen. Ein besonders hilfloses Beispiel solcher Windfahnenpolitik lieferte jüngst Andreas Khol, aber auch Ursula Stenzel ließ beim Eiertanz zwischen Neutralität und NATO-Beitritt Eleganz vermissen. Wenn es um Opportunismus geht, schießt aber, wie meistens, die SPÖ den Vogel ab. Viktor Klima begrüßt in Brüssel den NATO-Einsatz, distanziert sich davon in Wien, um darauf die Neutralität für fünf Jahre außer Streit zu stellen, worauf er oder seine Spin-Doktoren via Zeitungskleber eine Pseudo-Volksbefragung "Neutralität oder NATO-Beitritt" initiieren.
Der Krieg in Jugoslawien als Wahlkampfstimulans - ein beschämenderes Schauspiel hat die Politik hierzulande schon lange nicht geliefert. Die Entscheidung, wie es mit Österreichs Sicherheitspolitik weitergehen soll, wird durch den Krieg nicht suspendiert, sie wird im Gegenteil aktualisiert.
Die Großzügigkeit der Spenden, der Einsatz der vielen Helfer für die Flüchtlinge sind ein ermutigendes Zeichen, daß der Wohlstand noch nicht jedes Mitgefühl abgetötet hat. Ein Ersatz für Politik sind sie nicht. Noch immer bedeutet Politik "leadership", Entwicklung von politischen Zielen, statt auf Meinungsumfragen zu starren, Bilden einer öffentlichen Meinung, statt ihr hinterherzulaufen.
In den Neunzigern sind Neutralität und NATO Relikte des Kalten Krieges. Die Umgestaltung der NATO steht derzeit nur auf dem Papier; bis sich daraus ein europäischer Sicherheitspakt entwickelt, bedarf es noch langwieriger und schwieriger Auseinandersetzungen. Österreich kann dabei nicht abseits stehen, im Schmollwinkel der Weltpolitik. Um das Land auf seine Rolle im größeren Europa vorzubereiten, braucht es allerdings mehr als Lügen, Lavieren und Schielen nach den letzten Meinungsumfragen.
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