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Die Angst vor Debatten

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Irgendwie tut es gut, wenn man nicht immer nur den Papst höflich an etwas erinnern muß, das auch andere immer wieder einmal nicht wahrhaben möchten: nämlich, daß es heute unmöglich geworden ist, für irgendein Thema von oben herunter ein Ende der Debatte zu verordnen.

Zuletzt hat diese Versuchung wieder einmal den österreichischen Bundeskanzler und einige seiner Parteifreunde befallen, die den lästigen Themenzwilling Neutralität und NATO vom Tisch wischen möchten - weil es „Wichtigeres gibt" und angeblich „derzeit kein Bedarf an dieser Debatte besteht".

Das mag stimmen, was rein parteipolitische Interessen betrifft. Aber im öffentlichen Interesse liegt so ein Diskutierverbot sicher nicht. Für diese Debatte ist es keineswegs zu früh. Wer sich ihr heute noch zu entziehen sucht, streut dem Volk Sand in die Augen - und sich selbst Reißnägel auf den Weg, denn daß ihn das A'olk dafür eines Tages belohnen sollte, ist Selbsttäuschung.

Um diese Debatte aber einigermaßen sachkundig führen zu können, ist es notwendig, einige Dinge im voraus klarzustellen. Darauf sollten Anhänger und Be-zweifler der Neutralität sich einigen können. Es würde die endgültige Entscheidung erleichtern helfen.

Erstens: „Immerwährende Neutralität" ist ein technischer Begriff des Aölker-rechts, der nicht wörtlich auszulegen ist. Jedes immerwährend neutrale Land kann die Selbstbindung lösen. Das ist weder unfair noch völkerrechtswidrig.

Zweitens: Es geht nicht darum, wieviele Kilometer Grenze Österreich zukünftig gegen mögliche Angreifer zu verteidigen haben wird - also nur gegen die Schweiz und Liechtenstein, wenn die anderen Nachbarn NATO-Mitglieder geworden sind. Das ist Humbug. Es geht darum, ob Österreich den Preis dafür zahlen will, daß es innerhalb der EU zu keinem Krieg mehr kommen wird. Der Preis besteht im Beitrag zur Verteidigung gemeinsamer europäischer Außen-grenzen. Das ist die Wahrheit.

Drittens: Was überhaupt nie diskutiert wird, aber auch diskussionswürdig ist, muß gleichfalls ausgesprochen werden. Wenn Kriegsgründe unter EU-Mitgliedern wegfallen, muß für die Gesamtverteidigung Europas ein insgesamt geringerer Aufwand genügen als in der Vergangenheit.

Das wär's. Warum scheuen sich manche Politiker vor einer solchen Diskussion?

Ob über das Ergebnis einer solchen Debatte dann eine Aolksab-stimmung stattfinden soll, ist politisch zu entscheiden. Über die Einführung der Neutralität 1955 hat man das Aolk aus guten Gründen nicht befragt.

Die Abstimmung wäre sicher negativ ausgegangen, weil die jahrelange wortreiche Gegnerschaft der SPÖ gegen die Neutralität damals noch stark zu spüren war.

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