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Ende der Illusion

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Der belgische Außenminister im Jahr 1955, Paul-Henri Spaak, zögerte eine Weile, als bei einem offi- ziellen Essen inBrüssel im Dezember 1955 das Glas auf das Wohl des soeben neutral und damit frei gewordenen Österreich erhoben wurde - dies berichtet Lujo Toncic in seinen Memoiren. Schließlich schiaß er sichmit dem Wort „quand-meme“ - „trotzdem“ - an.

Warum tönen gerade aus Belgien von Zeit zu Zeit so skeptische oder verständnislose Stimmen ins neutrale Österreich?

Belgiens Status einer vertraglich festgelegten Neutralität, mit einer Garantiepflicht für Belgien seitens der Großmächte verbunden, wurde 1914 durch Deutschlands Angriff auf Belgien zerstört. Als Reaktion darauf suchte Belgien zunächst Schutz nicht nur im Völkerbund, in einem belgisch-französischen Militärabkommen von 1920 und den Locarno-Verträgen von 1925.

Hitlers Einmarsch ins Rheinland 1936 und sein Bruch der Locarno- Verträge führten neuerlich zu einer radikalen Umorientierung der belgischen Außenpolitik. Belgien de- solidarisierte sich von Frankreich und England, und teilte diesen Ländern im Herbst 1936 mit, daß es auf jedes Bündnis zu verzichten beabsichtige. Im Oktober 1936 gab König Leopold m. eine Erklärung ab, die die neue Politik bekräftigte. Der Außenminister des Jahres 1936 -kein anderer als Paul-Henri Spaak I - sprach damals von einer „ausschließlich und integral belgischen Außenpolitik“. Das Abrücken von der französisch orientierten Bündnispolitik sollte Belgien gegenüber Hitlers Reich besseren Schutz gewähren. Hitlers Einmarsch in Belgien 1940, noch dazu unter dem Vorwand, „Belgiens Neutralität zu schützen“, zerstörte diese Hoffnung.

Es ist kein Wunder, daß die zweimalige Eroberung Belgiens innerhalb von 26 Jahren, und der zweimalige Mißerfolg einer auf das Statut der Neutralität beziehungsweise auf das Prinzip der Allianzfreiheit gegründeten Politik tiefe Spuren in jener Generation hinterließen, die nach 1945 die internationale Position Belgiens im Rahmen und unter dem Schutz kollektiver Verteidigungsorganisationen und multinationaler Institutionen verankerte; im Falle der besonders deutlichen Antipathie Spaaks gegen die Neutralität mag die Erinnerung an den Mißerfolg seiner eigenen Politik eine Rolle gespielt haben.

Belgien bedeutete aber auch für Staatsmänner von Weltmächten ein Symbol für die Riskendes Neutralitätsstatus. In einem Gespräch mit Leopold Figl und Bruno Kreisky am 16. Februar 1954 in Berlin führte John Foster Dulles den Österreichern deutlich die Gefahren einer Nichtteilnahme an „collective se- curity arrangements“ vor Augen und verwies auf das Beispiel Belgiens von 1914: Dulles sagte, daß „Österreich eine einladende Invasionsroute in den Süden (nach Italien) werden könnte, vergleichbarBelgien 1914“. Dulles’ eindringliche Warnungen an die Österreicher im Februar 1954 erwähnten allerdings bestimmte Tatsachen nicht, die für die historischen und geostrategischen Grundlagen der österreichischen Neutralität von größter Bedeutung waren - und hier dürfen wir unsere belgischen Freunde einladen, sich intensiver mit der Entstehungsgeschichte der österreichischen Neutralität zu befassen: Österreich war 2m etwa einem Drittel seines Staatsgebiets von der Sowjetunion besetzt -man stelle sich vor, daß zum Beispiel die belgischen Provinzen Lüttich und Limburg derart besetzt gewesen wären und es die Aufgabe derbeigischen Staatskunst gewesen wäre, die Einheit Belgiens zu sichern.

Es spricht übrigens für den damaligen amerikanischen Außenminister John Foster Dulles, daß er trotz seiner bekannten Skepsis gegenüber der Neutralität bereit war, Österreichs Situation und Wünsche anzuerkennen. In einem Vieraugengespräch mit dem russischen Außenminister Molotow am 13. Februar 1954 sagte Dulles (seiner eigenen Aufzeichnung zufolge): „…if Austria wants to be a Switzerland, US will not stand in the way, but this shouldnot be imposed“ - „wenn Österreich eine Schweiz sein möchte , werden sich die Vereinigten Staaten nicht in den Weg stellen, aber dies sollte nicht auferlegt werden“.

Und auch die folgenden Worte 0ulles’ vor der Außenministerkonferenz am 13. Februar 1954 mögen der Aufmerksamkeit des belgischen Außenministers Mark Eyskens, der bezüglich der österreichischen Neutralität garso eifrig in Richtung Moskau zu blicken schien, empfohlen werden: „Ein neutraler Status ist ein ehrenwerter Status (,an ho- norable status’), wenn er von einer Nation freiwillig gewählt wird. Die Schweiz hat sich entschieden, neutral zu sein und als Neutraler hat sie einen ehrenwerten Platz in der Völkerfamilie errungen. Unter dem Österreichischen Staatsvertrag wie bisher konzipiert würde Österreich frei sein, selbst die Wahl zu treffen, ein neutraler Staat wie die Schweiz 2m sein. Sicherlich würden die Vereinigten Staaten seine Wahl in dieser Hinsicht respektieren, wie sie voll die Wahl der schweizerischen Nation respektiert.“

Dulles bekämpfte damals erfolgreich den sowjetischen Vorschlag, einen Neutralisierungsartikel im Staatsvertrag zu verankern. Daß Österreichs Neutralität eben nicht mit einem internationalen Vertrag, sondern mit dem Bundesverfassungsgesetz vom 26. Oktober 1955 begründet wurde, geht nicht zuletzt auf die entschiedene Ablehnung jeglicher vertraglicher Verankerung durch die Westmächte zurück.

Eines wird bei den österreichischen Überlegungen der Jahre 1953 bis 1955 über Österreichs zukünftigen internationalen Status deutlich:

Die zwei wesentlichen immer wieder vonösterreich hervorgehobenen Punkte waren Freiheit von Militärbündnissen und Verbot der Zulassung ausländischer Militärbasen auf österreichischem Territorium. So erklären sich auch Julius Raabs Worte in seiner das Neutralitätsgesetz interpretierenden Rede vom 2 6. Oktober 1955 vor dem Nationalrat: „Ich will weiters hervorheben, daß die militärische Neutralität, die Sie, meine Damen und Herren, heute beschließen werden, keinerlei Verpflichtungen und Bindungen auf wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet beinhalten wird.“

Daß Österreichs Neutralität, unbeschadet des immer wieder angerufenen Schweizer Musters (FURCHE 16/1985), eine eigenständige ist, geht auch daraus hervor, daß Österreich von Anfang an entgegen den damaligen schweizerischen Üb erlegungenNeutralitätund UN-Mitgliedschaft für vereinbar hielt. Im britischen Staatsarchiv findet sich eine Aktennotiz vom September 1955, wonach der damalige schweizerische Botschafter in London gemeint habe, wenn Österreich einmal bei den Vereinten Nationen sein werde, könne es nicht länger beanspruchen, vollkommen neutral zu sein. Auch Frankreich hielt übrigens zuerst UN-Mitgliedschaft und Neutralität für imvereinbar, hat jedoch später den Antrag des neutralen Österreich auf UN-Mitgliedschaft unterstützt.

Damit sollen die großen und neuartigen rechtlichen Probleme, die der Antrag des neutralen Österreich an die EG stellt, keineswegs geringgeachtet werden. Doch darf man daran erinnern, daß gerade ein Belgier, Senator Paul Struye, in einer früheren Phase des Integrationsgeschehens (1962/63) besonders bemüht war, Wege der Annäherung zwischen den Neutralen und den EG-Ländem zu erkunden.

Für Österreich gibt es vielleicht zweierlei Lehren aus den Mißtönen zu ziehen: einmal mehr Einfühlungsvermögen in die spezifischen historischen Voraussetzungen, aus welchen Politiker anderer Länder Österreichs Neutralität sehen - und vielleicht mißverstehen.

Zweitens gilt es, ein Phänomen klar zu erkennen, das ich als „Affinitäts-Paradox“ der Neutralität bezeichnet habe: Gerade jene Länder und Regierungen, die uns gesellschaftspolitisch und wirtschaftspolitisch nahestehen, sind enttäuscht, wenn ein neutrales Land nicht alles „mitmachen“ kann. Eine solche „Enttäuschungshaltung“ ist nach 1955 in manchen westlichen Ländern festzustellen. Wir haben das nur jahrelang in der Illusion - „wir sind so klein und so lieb und jeder hat uns gern“ - nicht wahrgenommen. Eine ebenso geduldige wie intensive Informationsarbeit muß vorrangiges Postulat einer österreichischen Westpolitik sein.

Der Autor ist Professor für neuere politische Geschichte an der Universität Wien.

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