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Neutralität: gestern - morgen

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Der 26. Oktober, Österreichs Nationalfeiertag, ist der Tag der immerwährenden Neutralität unseres Vaterlandes. Das ist Anlaß genug, um sich über die langen Wurzeln des völkerrechtlichen Status unserer Republik Rechenschaft zu geben.

Die Republik Österreich ist völkerrechtlich ein aus dem Zerfall des westlichen (cisleithanischen) Teils der Donaumonarchie 1918 entstandener Neustaait wie die Tschechoslowakische Republik. Aber nur ein Teil seiner Grenzen wurde 1919 durch den Vertrag von Saint-Ger- main neu bestimmt, die meisten gehen auf Jahrhunderte zurückliegende Grenzziehungen zurück. Die Donaumonarchie war 1526 von Österreich aus von den Habsburgem aus drei politischen Einheiten — Österreich, Böhmen und Ungarn — gebildet worden, und zwair zunächst mit Zustimmung der Stände dieser drei Ländergruppen als Staatenbund. Die österreichischen Länder umfaßten bereits seit 1363 alle Bundesländer der heutigen Republik Österreich mit Ausnahme Salzburgs und des Burgenlandes; dazu noch die Vorlande — Südellsaß und Breisgau sowie Krain und Triest; sie bildeten nach dem Konzept der Reichsreform Maximilians I. (1505) den österreichischen Kreis, während die böhmischen Länder (Böhmen, Mähren und Schlesien) und die Lande der Eidgenossen nicht in die „Kreiseinteilung“ einbezogen wurden.

Von diesem geopolitisch und strategisch überaus wichtigen Österreich aus hatten die Habsburger den Staat Burgund erworben und sich den Vorsitz im Römischen Reich und im deutschen Königtum gesichert, das längst ein völkerrechtlicher Bund von Staaten und Herrschaften war, die eine von Kaiser und Reich unabhängige Außenpolitk führten. Von Österreich aus wurde 1526 der Staatenbund mit Böhmen und Ungarn zur Abwehr der Osmanen geschaffen. Von Österreich aus griffen die Habsburger im Bündnis mit ihrer spanischen Linie nach Italien; das Gebiet der Republik Venedig mit Dalmatien konnte allerdings erst 1798 annektiert werden. Österreich war neben England und Rußland ein Hauptzentrum des Widerstandes gegen die Hegemonie Frankreichs, und der Wiener Kongreß stellte 1815 das Gleichgewicht im europäischen

Staatensystem wieder her. Frankreich mußte alle seit 1792 völkerrechtswidrig annektierten Gebiete räumen, kleine Gebietsteile an Preußen, Bayern, die Niederlande und Sardinien-Piemomt abtreten, hohe Reparationen bezahlen, sich eine Zeit der Kontrolle der Siegermächte unterwerfen und eine Besatzung von 150.000 alliierten Soldaten erhalten. Belgien und Luxemburg wurden zum Schutz vor einer neuerlichen Invasion durch Frankreich mit Holland vereinigt, die Schweiz erhielt zur Sicherung gegen Bedrohung durch Frankreich oder das Kaisertum Österreich den Status der dauernden Neutralität. Als sich Belgien 1830 von Holland losriß, erhielt es ebenfalls zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichtes in dieser neuralgischen Region den Status der dauernden Neutralität, in den inm 1867 Luxemburg folgte. Die Donaumonarchie behielt Oberitalien, Dalmatien und Galizien. Mit dem Wiener Kongreß begann die faktische Neutralität Schwedens, mit 1839 die der Niederlande, nachdem sie sich mit dem Verlust Belgiens ab- giefunden hatten.

deten Staaten Polen und Jugoslawien an.

Die Pariser Friedenskonferenz 1919 sicherte das neue Staatensystem Mitteleuropas durch die allgemeine Garantie der Völkerbundssatzung, durch Bündnisverträge vor allem Frankreichs mit den neuen Staaten und durch Artikel 88 des Vertrages von Saint-Germain ab, der bestimmte: „Die Unabhängigkeit Österreichs ist unabänderlich (inalienable), es sei denn, daß der Völkerbundrat zustimmt. Daher übernimmt Österreich die Verpflichtung, sich außer mit Zustimmung des Völkerbundrates, jeder Handlung zu enthalten, die mittelbar oder unmittelbar oder auf irgendwelchem Wege, namentlich im Wege der Teilnahme an den Angelegenheiten einer anderen Macht seine Unabhängigkeit gefährden köfmte.“

Das neue Gleichgewicht

Dieser Artikel 88 verpflichtete einerseits Österreich, seine — im Interesse des Gleichgewichts in Mitteleuropa so wichtige — Unabhängigkeit wieder aufzugeben noch zu gefährden — etwa durch einen Anschluß an Deutschland oder durch einen Zusammenschluß mit Ungarn; der letzte Kaiser, Karl, hat tatsächlich zwei Restaurationsversuche in Ungarn unternommen. Anderseits verpflichtete Artikel 88 des Vertrages von Saint-Germain die Vertragsstaaten aller Pariser Vororteverträge

— wieder im Interesse des politischen Gleichgewichts in Europa —, die Unabhängigkeit Österreichs zu achten und sich jeder Gefährdung derselben zu enthalten; dieses Verbot, Österreich politisch oder wirtschaftlich an sich zu binden, war außerdem in Artikel 80 des Friedensvertrages von Versailles Deutschland ausdrücklich auferlegt worden.

Der Vertrag von Saint-Germain enthielt also in seinem Artikel 88 wesentlich mehr als das Verbot des Anschlusses an Deutschland, sondern formulierte vielmehr einen besonderen Status Österreichs, ähnlich dem der Schweiz von 1815, von dem die Mächte des Wiener Kongresses i-n ihrer Erklärung vom 20. November 1815 betreffend die Anerkennung der Schweizer Neutralität festgestellt hatten: „Die Signatarmächte der Erklärung vom 20. März 1815 anerkennen durch die vorliegende Akte, daß die Neutralität und die Unverletzlichkeit der Schweiz und ihre Unabhängigkeit von jedem fremden Einfluß im wahren Interesse der Politik ganz Europas liegen.“

1919: bereits „neutralitätsähnlich“

Die Pariser Friedenskonferenz von

1919 verwendete für den besonderen internationalen Status Österreichs nicht den Ausdruck „dauernde Neutralität“, weil man am Beginn der Ära des Völkerbundes hoffte, daß es keinen Krieg geben werde. Aus dem gleichen Grund wurde keine Garantie der Mächte für den besonderen neu- tralitätsähnlidhen Status Österreichs ausgesprochen, weil Österreich alsbald in den Völkerbund auf genommen wuirde und allen Schutz genoß, der einem Mitglied des Völkerbundes hinsichtlich seiner politischen Unab hängigkeit und der Unversehrtheit seines Gebietes gemäß Artikel 10 der Satzung vom Völkerbund gewährt wurde. Jedenfalls war der besondere — neutralitätsähnliche — Status der Republik Österreich zum, Bestandteil der völkerrechtlichen Ordnung Europas nach dem ersten Weltkrieg geworden, der nicht nur Österreich, sondern alle Staaten zu achten verpflichtet waren. Zur Aufrechterhaltung dieses besonderen — neutralitätsähnlichen — Status Österreichs haben Signatare des Vertrages von Saint-Germain durch Gewährung von Anleihen Österreich geholfen, Schwierigkeiten beim wirtschaftlichen Wiederaufbau des Landes zu meistern. Anläßlich der ersten Völkerbundanleihe erklärten Großbritannien, Frankreich, Italien und die Tschechoslowakei — die beiden führenden Mächte des Völkerbundes und zwei Nachbarn Österreichs — im Genfer Protokoll, vom 4. Oktober 1922, ausdrücklich:

„In dem Augenblick, da sie es unternehmen, Österreich in seinem Werke der wirtschaftlichen und finanziellen Wiederaufrichtung des Landes zu helfen, einzig und allein im Interesse Österreichs und des allgemeinen Friedens und in Übereinstimmung mit den Verpflichtungen handelnd, welche sie beim Eintritt in den Völkerbund übernommen haben, erklären feierlich: daß sie die politische Unabhängigkeit, die territoriale Integrität und die politische Unabhänggkeit Österreichs achten werden;

daß sie keinerlei besonderen oder ausschließlichen Vorteil wirtschaftlicher oder finanzieller Art zu erlangen trachten werden, welcher diese Unabhängigkeit direkt oder indirekt beeinträchtigen könnte ..."

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