In Richtung Neutralität light

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Spezielle Vorschriften jüngeren Datums beseitigen Pflichten aus dem Neutralitätsgesetz.

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Spezielle Vorschriften jüngeren Datums beseitigen Pflichten aus dem Neutralitätsgesetz.

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In der gegenwärtigen politischen Diskussion nimmt die Neutralität einen prominenten Platz ein. Österreichs Neutralität sei zu bewahren, aktiv zu schützen, dürfe nicht aufgegeben werden, heißt es aus dem Mund einiger Funktionsträger. Meinungsumfragen zeigen: Die Neutralität ist vielen Österreichern kostbar. Indessen: Zwischen dem, was als Neutralität ausgegeben wird, und dem, was rechtlich vorhanden ist, besteht eine erheblich Diskrepanz. Rechtlich betrachtet gibt es nämlich in puncto Neutralität nur noch wenig zu wahren, weil sich die verfassungsrechtlichen Grundlagen in den letzten fünf Jahren unter Mitwirkung der Entscheidungsträger wesentlich verändert haben.

Neutralität ist ein schillernder Begriff geworden. Klärung tut Not. Im Kern geht es um die immerwährende oder dauernde Neutralität. Zu dieser hat sich Österreich - im Unterschied zu Neutralen wie Finnland und Schweden - verfassungs- und völkerrechtlich verpflichtet. Verfassungsrechtliche Grundlage ist das Bundesverfassungsgesetz über die Neutralität vom 26. Oktober 1955. Völkerrechtlich entstand die Bindung durch Anerkennung oder widerspruchslos angenommene Notifikation zahlreicher Staaten.

Der Inhalt der Neutralität ergibt sich aus verschiedenen Rechtsquellen des Völkerrechts. Zu diesem gehören Verbote von verschiedenen Verhaltensweisen: das Verbot der Beteiligung an Kriegen anderer Staaten, der Lieferung von Kriegsmaterial oder der Gewährung von Krediten an kriegführende Staaten, ferner das Verbot der Duldung des Transports von Kriegsmaterial durch das eigene Territorium. Im Bereich des Handels mit anderen als militärischen Zwecken dienenden Waren ist es dem Neutralen verwehrt, einen kriegführenden Staat durch einseitige Embargomaßnahmen zu benachteiligen.

Diese Neutralitätspflichten, bestehen nach Völkerrecht nur für den Konfliktfall. Mit Erklärung der immerwährenden Neutralität im Jahr 1955 hat sich Österreich aber darüberhinaus dazu verpflichtet, bereits in Friedenszeiten die Einhaltung der Neutralitätspflichten im Konfliktfall sicherzustellen, insbesondere durch Vorkehrungen gegen die Verwicklung in einen zukünftigen Krieg. (Vorwirkungen der Neutralität) Ausdruck dessen ist die Anordnung im Neutralitätsgesetz, daß Österreich "in aller Zukunft keinen militärischen Bündnissen beitreten und die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Gebiet nicht zulassen" wird.

Verpflichtungen ade!

Von diesen Verpflichtungen ist Österreich - im Gefolge von Wandlungen im Neutralitätsverständnis auch im Hinblick auf die Vereinten Nationen - mit dem EU-Beitritt und Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages abgegangen. Bereits anläßlich der Beitrittsverhandlungen erklärte Österreich in einer Erklärung zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) die entsprechenden Bestimmungen "vollständig und vorbehaltlos" zu übernehmen. Ein neuer Artikel der Bundesverfassung bestätigt, daß Österreich an der GASP mitwirkt, wozu kraft verfassungsgesetzlicher Anordnung die Mitwirkung an Wirtschaftsembargos gehört. Damit wurde für einen Teilbereich die Neutralitätsverpflichtung durch ein späteres Verfassungsgesetz eingeschränkt.

Mochte man diese Beschränkung für sich gesehen noch als Modifikation der immerwährenden Neutralität in ihrem Randbereich sehen, so treffen der Vertrag von Amsterdam und flankierende verfassungsrechtliche Maßnahmen den Kernbereich der Neutralität, nämlich militärische Maßnahmen. Mitten im Kampf um die Wahl für das EU-Parlament traten diese Rechtsvorschriften in Kraft - sie brachten wesentliche Neuerungen mit sich, mögen sie auch bisher weniger Beachtung erhalten haben als manche Wahlkampfrhetorik.

Im einzelnen: Der Vertrag von Amsterdam erweitert die Aufgaben der GASP in wesentlichen Belangen. Dazu gehören jetzt nicht nur humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze, sondern friedenserhaltende Aufgaben sowie Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung einschließlich friedensschaffender Maßnahmen (sogenannte Petersberg-Aufgaben). In der Bundesverfassung wurde die Mitwirkung Österreichs an der GASP ebenfalls um diese Aufgaben erweitert. Was im Jahr 1995 begann, findet 1999 seine Fortsetzung: Spätere spezielle Bestimmungen im Verfassungsrang stehen mit dem früheren allgemeinen Neutralitätsgesetz im Widerspruch. Versuche, diesen Widerspruch interpretatorisch zu beseitigen, entbehren der rechtlichen Grundlage.

Was aber bedeutet dieser Widerspruch? Er bedeutet, daß die jüngere spezielle Vorschrift Pflichten aus dem Neutralitätsgesetz schlicht beseitigte. Daß das Neutralitätsgesetz scheinbar unverändert blieb und in den Textausgaben des Verfassungsrechts so abgedruckt ist, ändert nichts daran. Eine formelle Aufhebung mag für mehr Rechtsklarheit sorgen. Verfassungsrechtlich geboten ist sie nicht.

Ist Österreich jetzt noch immerwährend neutral? Die Antwort lautet für das Verfassungsrecht: Nein. Die Verpflichtung zu den Vorwirkungen der Neutralität in Friedenszeiten wurde 1995 für Wirtschaftssanktionen, mit Wirkung vom 1. Mai 1999 auch für die neue GASP, vor allem aber für bestimmte militärische Maßnahmen beseitigt. Das verträgt sich nicht mit dem Institut der immerwährenden Neutralität. Völkerrechtlich ist die Antwort weniger klar, da man ein contrarius actus zur Notifikation der Neutralität 1955 bisher nicht setzte. Wird Österreichs neuer Status aber von der Staatengemeinschaft längere Zeit widerspruchslos hingenommen, wird dieser durch Zeitablauf zum Bestandteil des Völkerrechts.

Dieser Befund hindert Österreich nicht, sich in künftigen Konflikten neutral zu verhalten und die völkerrechtlichen Neutralitätspflichten einzuhalten. Darin unterscheidet sich Österreich aber nicht von anderen Staaten, die eine Politik der Neutralität üben. Das Attribut "immerwährend" hat Österreichs Neutralität jedenfalls verloren.

Der Autor lehrt Verfassungs- und Verwaltungsrecht an den Universitäten Wien und Linz.

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