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Die Adressaten des Neutralitätsrechtes

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5. Subjekete, Aaressaten aes weu- . traiitätsrechtes sind die politischen . Gebilde als solche, Staaten oder t staatenähnliche Erscheinungen und . deren verfassungsmäßigen Organe , (gesetzgebende, regierende, reoht- ! sprechende „Gewalten"). Weder der [ Einzelmensch noch die öffentliche Meinung, die Verbände und Parteien i — sofern sie nicht im Sinne der Verfassung Staatsorgane sind —

können als unmittelbare Subjekte,

Adressaten des Neutralitätsrechtes angesprochen werden. Rechte und , Pflichten, die dem Neutralitätsrecht entfließen, gehen unmittelbar und : von Rechts wegen nur den Staat und seine von der Verfassung eingesetz- , ten Organe an. Die Meinung des einzelnen, etwa das, was er für seine Gewissenspflicht hält, wird in keiner Weise berührt. Das geht so weit, daß in der Lehre keine einhellige Mei-

nung bisher über die Frage . zustande gekommen ist, ob der Staat ; als Wirtschaftsuntemehmer unter . den Pflichtkreis des Neutralitäts rechtes fällt. Ich neige allerdings zur Meinung Prof. Verdrossens, daß der Staat nicht einer doppelten Moral frönen kann; als Obrigkeit neutral, als Wirtschaftstreibender parteiisch.

Obwohl gegenwärtig im allgemeinen Völkerrecht und in der Lehre mehr und mehr der Zug durchbricht, nicht allein den Staat, vielmehr den Einzelmenschen, den Menschen als solchen, und Gruppen von Menschen zu unmittelbaren Subjekten des Völkerrechts zu erheben, waltet im Bereich des besonderen Völkerrechts, namentlich des Neutralitätsrechts, darüber kein Meinungsstreit, daß unmittelbare Adressaten, Subjekte, ausschließlich die Staaten und deren Organe sind.

6. Hier mag ein Gedanke eingeschoben werden, der systematisch noch nicht hierher gehört, doch unmittelbar das vorher Gesagte erhellt. Es kann die Frage einer Neutralitätspolitik sein, daß ein Staat, der seine immerwährende Neutralität erklärt, der öffentlichen Meinung,dem einzelnen, seinen Grundrechten,

gewisse Schranken auferlagt. Das erfordert nicht das Neutralitätsrecht, das kann aber das Gebot einer vorsichtigen Neutralitätspolitik sein.

Pflicht zur Bewaffnung

7. Für einen Staat, der seine immerwährende Neutralität erklärt, sofern die adressierte Staatenwelt sie annimmt, folgt unmittelbar nach herrschender Lehre die Rechtspflicht zur Bewaffnung, zur Aufrüstung, und zwar nicht nur zu einer symbolischen, sondern zu einer effektiven Wehrhaftigkeit. Eingangs ist gesagt worden, daß die immerwährende Neutralität mit der Absicht konkurrierender Mächte zusammenhängt, das Gebiet des Staates, der den Status eines immerwährend Neutralen genießt, von jedem Ein- und Angriff, von jeder Integration freizuhalten. Der immerwährend neutrale Staat und seine von der Verfassung eingesetzten Organe können nach geltendem Völkerrecht (Neutralitätsrecht) keine Politik des absoluten Pazifismus verfolgen. Der einzelne, ebenso die öffentliche Meinung können freilich, was das Neutralitätsrecht anüan-gt, auf jedes beliebige politische Ziel lossteuern, auch auf einen absoluten Pazifismus, der das politisch denkbar höchstwertige und -rangige Ziel ist. Damit ist gesagt: Wenn einmal eine Weltrechitsordnung zustande gekommen, wenn sie durch eine Weltgerichtsbarkeit verbürgt sein wird, dann wird mit der immerwährenden Neutralität keine Pflicht zu Bewaffnung mehr verbunden sein; sie wird allerdings dann vermutlich überhaupt ihre raison d’etre verloren haben. Die Weltrechtsordnung anzustreben, ist nicht nur jedermanns gutes Recht; ich würde sagen, das gebietet das Menschenrecht jedermann. Die Antinomie zwischen der Gegenwart und Zukunft mißfällt uns, berechtigt uns aber noch keineswegs, eine der Hauptrechtspflichten des immerwährend neutralen Staates zu bestreiten, nämlich die zur wirksamen Selbstbewaffnung.

Ich verfechte den Standpunkt, daß Österreich als immerwährend neutraler Staat, daß seine gesetzgebenden und regierenden Organe in der Weltpolitik hinwirken sollen auf eine möglichst rasche Herstellung der Weltrechts- und Friedensordnung; was sie aber im Augenblick von Rechts wegen nicht können, ist, Österreichs Selbstbewaffnung und Selbstbehauptung zu vernachlässigen. Nach herrschender Lehre ist es der Regierung nicht einmal gestattet, sich auf die mangelnde Bereitschaft des Parlaments auszureden, Budgetmittel für die nötige Bewaffnung bereitzustellen.

Das Recht des Protestes

8. Da die Würde des Menschen, die Menschenrechte, als letzter Sinn des Friedens, dieser wiederum als Sinn der immerwährenden Neutralität gilt, verletzt es meines Erachtens weder das Neutral'itätsrecht noch die Neutralitätspolitik, wenn nicht nur die öffentliche Meinung, sondern ein Staatsorgan, etwa die Regierung, dort, wo ein anderer Staat offenkundig Menschenrechte mißachtet, Protest erhebt. Konkret meine ich Griechenland.

9. Unter Neutralitätspolitik versteht man jenen Raum freien Ermessens, den das Neutral'itätsrecht als Teilordnung des Völkerrechts dem immerwährenden neutralen Staat zur Bewegung und Gestaltung öffnet und offen läßt. Unter Neutralitätspolitik im engeren Sinn versteht man den Inbegriff aller Maßnahmen, die ein immerwährend neutraler Staat zur Sicherung seines Status ergreift, sofern sich diese Maßnahmen als geeignete Mittel zur Erreichung des Zieles empfehlen und sofern sie nicht die Grenzen des Neutralitätsrechts überschreiten.

Die „geistige Landesverteidigung"

10. Die Pflicht zur Selbstbehauptung beschränkt sich freilich keineswegs auf die Bewahrung der territorialen Unabhängigkeit, also auf die militärische Selbstbehauptung. Im Gegenteil, a priori erfaßt diese Pflicht die geistige Substanz, die Kultur, den politischen Lebensstil, die Wertordnung des Volkes, das der immerwährend neutrale Staat birgt. Die „geistige Landesverteidigung“ gibt der militärischen Landesverteidigung Halt und Sinn.

Das Prinzip Österreich, woran festzuhalten nicht nur die Verfassung uns verpflichtet, sondern auch der

Wiener Staatsvertrag (Art. 1 und 8) anhält, ist unantastbar als harter Kern der Unabhängigkeit, die es auf Geheiß des Art. 1 des Bundesverfassungsgesetzes über die Neutralität dauernd zu behaupten gilt: Rechtsstaat, Freistaat, Demokratie, Republik, Parlament, Mehrparteien-

System und frede Wahlen, Menschenrechte und Grundfreiheiten verbürgt kraft der Verfaissungsgerichtsbarkeit Das sind Fragen der Institutionen wie Fragen der geistigen Haltung, die wie das Staatsgebiet unverletzlich ist und die es wie die Staatsgrenzen verteidigen heißt. Österreich steht offen, um sein Prinzip in die Welt zu tragen: da können wir nicht genug Aktivität entfalten. Rückte aber Österreich als Verfassungsordnung von seinem Prinzip ab, verschöbe sich das Gleichgewicht des Friedens, der der Sinn unserer Neutralität ist.

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