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Wirtschaftliche Neutralität?

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Es wird oft behauptet, daß Oesterdeich nur zur militärischen, nicht aber auch zur wirtschaftlichen Neutralität verpflichtet sei. Diese Formulierung unserer Neutralitätspflichten ist aber ungenau und daher auch irreführend, da unsere Republik als ein immerwährend neutraler Staat gehalten ist, in allen Kriegen, die zwischen anderen Mächten ausbrechen sollten, die Grundsätze des Neutralitätsrechtes einzuhalten, die für den Landkrieg im Haager Abkommen vom 18. Oktober 1907 niedergelegt sind. Dieses Abkommen enthält aber nicht nur militärische, sondern auch wirtschaftliche Verpflichtungen, wie sich aus den Artikeln 7 bis 9 einwandfrei ergibt.

Diese lauten:

ARTIKEL 7

Eine neutrale Macht ist nicht verpflichtet, die für Rechnung des einen oder des anderen Kriegführenden erfolgende Ausfuhr oder Durchfuhr von Waffen, Munition und überhaupt von allem, was für ein Heer oder eine Flotte nützlich sein kann, zu verhindern.

ARTIKEL 8

Eine neutrale Macht ist nicht verpflichtet, für Kriegführende die Benützung von Telegraphen- oder Fernsprechleitungen sowie von Anlagen für drahtlose Telegraphie, gleichwohl, ob solche ihr selbst oder ob sie Gesellschaften oder Privatpersonen gehören, zu untersagen oder zu beschränken.

ARTIKEL 9

Alle Beschränkungen oder Verbote, die von einer neutralen Macht in Ansehung der in den Artikeln 7, 8 erwähnten Gegenstände angeordnet werden, sind von ihr auf die Krieg- führenden gleichmäßig anzuwenden.

Daraus ersehen wir, daß ein neutraler Staat im Kriegsfälle die Wahl hat, entweder überhaupt keine Ausfuhrverbote zu erlassen oder aber solche Verbote und Beschränkungen gleichmäßig für beide Kriegsteile anzuordnen. Bedenkt man nun, daß im modernen Krieg alle Waren, mit Ausnahme von Luxusgütern und Kunstgegenständen, für eine Armee nützlich sein können, so bedeutet jedes Ausfuhrverbot von Kriegsartikeln eine nahezu vollständige Einstellung des Wirtschaftsverkehrs mit dem Staat, gegen den das Verbot erlassen wurde.

Während aber ein Staat, der sich erst im Kriegsfälle zur Neutralität entscheidet, in Friedenszeiten eine beliebige Wirtschaftspolitik betreiben kann, ist ein immerwährend neutraler Staat schon in Friedenszeiten verpflichtet, keine sol-hen wirtschaftlichen Bindungen einzugehen, die es ihm im Kriegsfälle unmöglich machen würden, die gerade angeführten Verpflichtungen zu erfüllen. Ein dauernd neutraler Staat kann daher keiner solchen zwischenstaatlichen wirtschaftlichen Organisation wie der EWG beitreten, da diese auf eine Verschmelzung der verschiedenen Volkswirtschaften der Vertragsstaaten hinzielt und daher ihren zentralen Organen die ZuständigKeit einräumt, eine einheitliche Wirtschaftspolitik mit bindender Wirkung für die Mitgliedsstaaten zu verfolgen. Denn im Falle der Vollmitgliedschaft bei einer solchen Organisation würde der dauernd neutrale Staat,

wenn die anderen Mitglieder der Organisation in einen Krieg verwickelt werden und aus diesem Grund den Wirtschaftsverkehr mit dem Feind abbrechen, von der Organisation nach Ablauf der Uebergangszeit den Auftrag erhalten können, ebenfalls den Wirtschaftsverkehr zum Feind jener Staaten einzustellen, mit ihnen aber in normaler Weise fortzusetzen. Durch eine Befolgung eines solchen Auftrages würde aber der neutrale Staat gegen seine Neutralitätspflicht verstoßen, da ein neutraler Staat alle wirtschaftlichen Beschränkungen auf die Kriegführenden gleichmäßig anwenden muß. Wenn er aber umgekehrt, um seine Neutralitätspflicht zu erfüllen, auch den Wirtschaftsverkehr zu den anderen Mitgliedern der Organisation unterbräche, dann würde er seine eigene Existenz gefährden, da seine Volkswirtschaft mit der der anderen Mitglieder der Organisation so verflochten ist, daß ihm eine rasche Umstellung seiner Wirtschaft unmöglich gemacht wird.

Das zeigt uns, daß ein dauernd neutraler Staat die rechtlichen Voraussetzungen seiner Wirtschaftspolitik so einrichten muß. daß er sie im Kriegsfälle im wesentlichen fortsetzen kann. Das wäre aber unmöglich, wenn er keine selbständige Wirtschaftspolitik mehr betreiben kann, da er sich den Weisungen einer mehrere Staaten umfassenden Wirtschaftsorganisation zu unterwerfen hat.

Die Republik Oesterreich hat nun vor wenigen Tagen den Gründungsvertrag der Europäischen Freihandelsassoziation ( &FTA) unterzeichnet, der die wirtschaftliche Souveränität Oesterreichs nicht beeinträchtigt. Es wird daher die Aufgabe dieser neuen Organisation sein, in Verhandlungen mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft eine solche Lösung zu finden, welche die Wirtschaftsinteressen unseres Staates mit seiner Stellung als dauernd neutraler Staat in Einklang bringt. Eine solche Lösung kann natürlich nur gefunden werden, wenn den anderen Staaten klargemacht wird, daß eine dauernde Behauptung unserer Unabhängigkeit auch eine gesunde österreichische Volkswirtschaft zur Voraussetzung hat.

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