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Ein Verwirrspiel

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Endphase eines Monsterprozesses: In Linz forciert der Staatsanwalt strenge Strafen für die meisten der im Noricumprozeß Angeklagten. Worum ging es in den zehn Prozeßmonaten?

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Endphase eines Monsterprozesses: In Linz forciert der Staatsanwalt strenge Strafen für die meisten der im Noricumprozeß Angeklagten. Worum ging es in den zehn Prozeßmonaten?

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18 Managern der verstaatlichten Unternehmen Voest-Alpine, Nori-cum und Hirtenberger wird vorgeworfen durch Waffengeschäfte mit dem Iran, einem kriegführenden Land, Österreichs Neutralität gefährdet zu haben.

Im Paragraph 320 des Strafgesetzes geht es um die Gefährdung der Neutralität. Stellt sich sofort die Frage, wer zuständig ist, dar-

über zu befinden, ob die Neutralität gefährdet worden ist. Der Staatsanwalt vertritt die Ansicht, im Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung sei es für jedermann offenkundig, daß Lieferungen von Kriegsmaterial in ein Kriegsgebiet eine solche Gefährdung darstellen. Dagegen die Verteidigung: Es sei Sache der Behörden, insbesondere die des Außenministeriums, sich über die internationalen Konsequenzen ein Bild zu machen und entsprechend zu entscheiden. Die Behörden verfügten über einen Ermessensspielraum bei der Beurteilung dieser Frage. Das sei dem Kriegsmaterialgesetz zu entnehmen. .

In seiner ursprünglichen Fassung aus 1977 sah dieses Gesetz vor, daß das Innenministerium die Ausfuhr von Kriegsmaterial zu bewilligen habe, wenn nicht taxativ aufgezählte Gründe zur Ablehnung des Antrags vorliegen. Der zunächst in der Regierungsvorlage vorgesehene Ermessensspielraum der Behörde wurde damals nicht in den Gesetzestext aufgenommen. 1982 wurde das Gesetz novelliert, in jener Zeit übrigens, in der das erste große Kanonengeschäft mit Jordanien über die Bühne ging: Die Verletzung der Menschenrechte in einem Staat wurde als weiterer Grund, Waffenexporte zu verbieten, einbezogen. Durch eine weitere Änderung sei aber den Behörden nun ein Ermessensspielraum eingeräumt worden, meint die Verteidigung: Statt sich an taxativ aufgeführte Gründe zu halten, sei nur mehr darauf „Bedacht zu nehmen", daß die Lieferung „nicht in ein Gebiet erfolgen soll, in dem ein bewaffneter Konflikt herrscht..." Der jetzige Nationalratspräsident Heinz Fischer damals: Die Waffen-Exporte seien als „Regierungsentscheidungen sui generis zu betrachten, wo eine richterliche Nachprüfung keine Berechtigung hat..."

Ist es aber völkerrechtlich denkbar, daß Neutrale in ein Kriegsgebiet Waffen liefern? Nein, sagt der Staatsanwalt, während die Verteidigimg auf die Haager Landkriegsordnung verweist. Sie verlangt von Neutralen zwar, sich aus bewaffneten Konflikten herauszuhalten. Was die Belieferung Kriegsführender mit Kriegsmaterial anbelangt, wird gefordert, keine der Parteien zu benachteiligen. Das Kriegsma-

terialgesetz optiert nicht ausdrücklich für das Nichtbeliefern als einzige Variante, die Gleichbehandlung zu verwirklichen. Die Richtung der Gesetzesno vellierung spreche eher für eine freiere Handhabung, argumentiert daher die Verteidigung.

Die Rechtslage ist aber, wie gesagt, nicht geklärt. Eine Reihe von Rechtsgutachten und Aussagen (der Professoren Raschauer, Khol, Weg-scheider und Zehetmayer) hat jedoch die Position der Verteidigung unterstützt. Diese argumentiert daher auf der Linie, daß es einen Ermessensspielraum der Behörde gäbe, solange dem Grundsatz der Gleichbehandlung Rechnimg getragen wird.

Tatsächlich hat das Innenministerium schon vor dem Irangeschäft Lieferungen in Kriegsgebiete bewilligt: 1980 etwa den Export von Rüstungsmaterial der Firma Hirtenberger in den Libanon. Auflage war nur eine Bestätigung der Regierung, daß die Güter ausschließlich für die Armee des Landes verwendet würden. Damals haben Israel und Syrien in diesem Land gekämpft. Auch die Genehmigung des ersten großen Kanonen-Exportes nach Jordanien ist im Grunde genommen sehr zweifelhaft, wenn man berücksichtigt, daß Jordanien und Israel immer noch keinen Frieden geschlossen haben.

Die Verteidigung führt daher ins Treffen, daß für den Staatsbürger aus dem Verhalten der Behörde zu erkennen war, daß die Regierung sich bei der Beurteilung der außenpolitischen Relevanz eines Waffenexportes einen Ermessensspielraum offenhielt, der andere als die im Gesetz aufgeführten Interessen zu berücksichtigen schien.

Damit ist die Argumentationslinie im Prozeß vorgezeichnet: Weil das Faktum der Lieferungen an den Iran bei Prozeßbeginn außer Streit gestellt worden war, ging es also um folgende Frage: Ist es von Gesetzes wegen gestattet, in kriegführende Länder Kriegsmaterial zu exportieren? Und: Wenn es eine solche Möglichkeit gibt, wer trägt dann

die Verantwortung für das Geschäft?

Der Staatsanwalt versuchte herauszuarbeiten, daß das Gesetz strikt j eden Waffenexport in kriegführende Länder verbietet. Daher sei die Behauptimg der Manager unhaltbar, sie hätten geglaubt, ihr Vorgehen sei politisch, also von den vom Gesetz zur Interpretation dieser Frage vorgesehenen Instanzen, genehmigt.

Die Verteidigung verfolgte die Absicht zu zeigen, daß das Gesetz sehr wohl einen politischen Ermessensspielraum eröffnet, daß die Behörden diesen Spielraum durchwegs nutzten und daß alle äußeren Anzeichen dafür gesprochen hätten, daß die politischen Entscheidungsträger hinter dieser Entscheidung standen.

Was hat nun der Prozeß an Hinweisen über die Beteiligung der Politik zutage gefördert? Die Beweisführung war in dieser Hinsicht von Anfang an dadurch erschwert, daß gegen Alt-Kanzler Fred Sinowatz und die Ex-Minister Leopold Gratz und Karl Blecha ein eigenes Verfahren läuft und diese daher vor Gericht die Aussage verweigern durften. Was sie auch taten.

Daß es eine politische Beteiligung gegeben hatte, war schon durch den parlamentarischen Untersuchungsausschuß geklärt worden. Offen war aber: Ab wann war die Regierung informiert? Der Staatsanwalt geht davon aus, daß dies erst seit Sommer 1985 (damals hatte der österreichische Botschafter in Griechenland detaillierte Information über das Iran-Geschäft nach Wien geschickt) der Fall gewesen sei. Die Politiker hätten nur zuzudecken versucht, was die Angeklagten eigenmächtig in die Wege geleitet hätten.

Dagegen die Verteidigung: Die Regierung sei von Anfang an informiert, ja initiativ gewesen. Folgende Indizien werden angeführt:

Schon aus dem Jahr 1980 gibt es einen Brief an Außenminister Willibald Pahr, in dem erwähnt wird, daß die Voest-Alpine Anstrengungen unternähme, Kanonen in den Irak zu liefern. Dieses Waffengeschäft werde vom Irak direkt an den Bundeskanzler herangetragen werden. 1981 läßt sich Bruno Kreis-ky über die Rechtslage hinsichtlich eines Exportes von Kanonen und Munition nach Jordanien informieren

Im April 1982 trifft dann Erwin Lanc, damals Innenminister, mit Saddam Hussein in Bagdad zusammen. Georg Lenkh, Beamter im Bundeskanzleramt, der den Minister nach Bagdad begleitet hatte, hielt in einer Aktennotiz über das Gespräch folgendes fest: Saddam „stelle die Frage nach der Artillerie... Wenn Lieferungen nicht sofort eintreffen, sondern sogar schon seit einiger Zeit überfällig seien, so sei das im Bereich der Politik eine wichtige Frage... Jedenfalls möchte er den Herrn Bundeskanzler sehr schön grüßen lassen und ihm sagen, daß er ein Verhältnis des gegenseitigen Vertrauens sehe. Grundlage dafür sei, die beidseitigen Verpflichtungen zu erfüllen.... Bundesminister Lanc weist weiter darauf hin, daß die Artilleriestücke für Jordanien bestimmt seien... Saddam Hussein fragt nun, ob nicht die Lieferung beschleunigt werden könne, wenn sie an ein anderes Land als Jordanien gingen..."

Dieses Protokoll war für die Lesemappe von Bundeskanzler Bruno Kreisky, für das Innen- und das Außenministerium bestimmt. Im Prozeß spielen Lanc und Lenkh die Bedeutung des Papiers herunter: Man könne das auch anders verstehen. Lanc habe diplomatisch Kanonenlieferungen abgelehnt. Warum Lanc in Bagdad war, kann nur vermutet werden. Dazu die Kronenzeitung: Als Innenminister könnte er bei Saddam Hussein interveniert haben, um eine Einstellung der Terroranschläge in Österreich (bei der Synagoge, am Flughafen Schwechat, bei der Opec) zu erreichen.

Die Verteidigung bezweifelt die Interpretation von Lanc. Denn nur 14 Tage später wird Lenkh ein (vermutlich angefordertes) Aide Memoire übergeben, in dem die Firma Noricum festhält: „Wir haben im Februar 1981 ... vom Headquarter of the Jordan Armed Forces einen Auftrag über Lieferung von 200 Kanonen plus Ersatzteilen erhalten." Verschiedene Komponenten dazu seien aus den USA bestellt worden. Die US-Behörden hätten in Jordanien wegen der Endverwendung für diese Kanonen rückgefragt und als Antwort bekommen, sie seien für eine befreundete Nation bestimmt („They are for a friendly nation"). Daraufhin hätte es von den US-Behörden keine Exportbewilligung gegeben, was zu einem Verzug bei den Lieferungen geführt habe.

Die Verteidigung argumentiert: Zu diesem Zeitpunkt war noch keine einzige Kanone an Jordanien geliefert worden. Das Geschäft sei der Regierung offensichtlich bekannt gewesen und hätte damals leicht gestoppt werden können. Aus sicherheits- und beschäftigungspolitischen Gründen sei man aber an den Kanonen-Exporten interessiert gewesen.

20. Jänner 1983: Der iranische Geschäftsträger spricht in der Nahost-Abteilung des Außenmin-steriums vor und verlangt, Österreich möge auch an den Iran Kanonen und Kettenfahrzeuge liefern, da auch der Irak über Jordanien solche Waffen bezogen habe.

Österreich sei also unter iranischen Druck geraten, argumentiert die Verteidigung. Es sei mit der Einstellung der Wirtschaftsbeziehungen und möglicherweise mit Terror gedroht worden. Diese Interpretation wird durch eine Äußerung von Ex-Ministerin Herta Firnberg unterstützt:

Am 27. Februar 1990 stellt sie im „Standard" fest: „Es kann doch nicht unbekannt geblieben sein, daß Österreich durch König Hussein von Jordanien in eine Neutralitätsfalle gebracht wurde.... Mit Recht verlangte ja der Iran von einem Neutralen, daß er seinen Kriegsgegner nicht begünstige. Was hätten wir denn gemacht, wenn die Iraner in ihrer bekannten Art, alle Mittel eingesetzt hätten, die sie zum Beispiel gegen Frankreich eingesetzt haben?... Aus meiner Sicht haben die Politiker in der kleinen Koalition, die unter ungeheueren Schwierigkeiten handeln mußten, ihr Bestes getan, um einen Staatsnotstand von Österreich abzuwenden."

Firnberg erscheint aus Krankheitsgründen nicht vor Gericht. Der Redakteur des „Standard" bestätigt, daß ihm dieser Text schriftlich von Firnberg zugegangen ist.

Die Geschworenen müssen nun eine umstrittene Rechts- und eine nach allen Regeln der Kunst verschleierte Tatfrage in einem Prozeß klären, in dem drei Angeklagte (die Politiker) fehlen und in dem offenkundig wurde:

In den Ministerien ist nicht nur viel Aktenmaterial verschwunden und nach 1985 auch eingestandenermaßen gefälscht worden. Dort müßte auch bis in die Spitze hinein eine unfaßbare Vergeßlichkeit und ein erschreckender Dilettantismus geherrscht haben - wenn man den Aussagen glaubt.

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