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Auf dem Weg zum Zweiten Weltkrieg

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In diesem Beitrag legt Antonin Rusek seine Gedanken zum vierzigsten Jahrestag des Hitler-Einmarsches in die Tschechoslowakei dar. Rusek wurde 1926 geboren, war seit 1963 Dozent für politische Ökonomie an der Technischen Hochschule in Brünn, wurde 1968 Abgeordneter und beteiligte sich an den Vorbereitungen der Wirtschaftsreform. 1970 wurde er mit Berufsverbot belegt, von Jänner 1972 bis Ende 1976 büßte er eine fünfjährige Gefängnisstrafe ab. Nachher durfte er nur als Hilfsarbeiter angestellt werden. Im Juni 1978 wurde ihm als Unterzeichner der „Charta 77“ die Ausreise gestattet.

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In diesem Beitrag legt Antonin Rusek seine Gedanken zum vierzigsten Jahrestag des Hitler-Einmarsches in die Tschechoslowakei dar. Rusek wurde 1926 geboren, war seit 1963 Dozent für politische Ökonomie an der Technischen Hochschule in Brünn, wurde 1968 Abgeordneter und beteiligte sich an den Vorbereitungen der Wirtschaftsreform. 1970 wurde er mit Berufsverbot belegt, von Jänner 1972 bis Ende 1976 büßte er eine fünfjährige Gefängnisstrafe ab. Nachher durfte er nur als Hilfsarbeiter angestellt werden. Im Juni 1978 wurde ihm als Unterzeichner der „Charta 77“ die Ausreise gestattet.

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Vor nicht einmal einem Jahr erinnerte man sich des zehnten Jahrestages der sowjetischen Okkupation der Tschechoslowakei. Am 15. März 1979 gedenken wir einer weiteren Okkupation - vor genau 40 Jahren fand die Besetzung der Tschechoslowakei durch Hitler statt. Der Unterschied bestand darin, daß Prags Massenmedien diesmal von „Okkupation“ und nicht von „brüderlicher Hilfe“ sprachen.

Die damalige Okkupation der Reste von Böhmen und Mähren gemeinsam mit der gleichzeitigen Bil-

dung eines mit dem „Dritten Reich“ verbundenen slowakischen Staates stellte einen wichtigen Schritt auf dem Weg zum Zweiten Weltkrieg dar. Noch wichtiger wird jedoch der 15. März 1939 dadurch, daß er das Ergebnis einer Politik war, die sich außerstande zeigte, dem Aggressor Widerstand zu leisten.

Das Endresultat ist bekannt: Deutschland wurde zwar vernichtet, aber die Sowjetunion ging aus dem Krieg militärisch und politisch gestärkt hervor. Der Zuwachs an politischem Prestige und militärischer Macht führte dazu, daß die führende sowjetische Machtgruppe die Träume von der proletarischen Revolution in der Welt in eine reale Expansionspolitik umwandelte.

Der Grund dafür, daß sich die Sowjetunion zu einem Aggressor und Störenfried in der Welt entwickelte, liegt darin, daß sich die soziale Revolution von 1917 nicht zu einer Herrschaft des Volkes, nicht zu einem neuen, höheren Typus der Demokratie weiterentwickelt hat. Im Gegenteil, es bildete sich eine neue Herrschaftsgruppe heraus, die unter den Losungen des Sozialismus und des Kommunismus die größte Despotie der Weltgeschichte aufbaute, einen Staat, in dem auch die elementarsten Menschenrechte und Freiheiten in maximalem Ausmaß verletzt werden.

„Die sowjetische Führung nimmt die Haltung eines Feudalherren ein, der keine Einmischung in seine Herrschaft über seine Leibeigenen duldet.“

Ähnliches bezeugt die Haltung der Sowjetunion zur Erfüllung der Schlußakte von Helsinki. Der negative sowjetische Standpunkt bezüglich jeder Möglichkeit der Kontrolle der Erfüllung dieser Bestimmungen im Sowjetblock liquidiert praktisch die Bedeutung der ganzen Schlußakte. Die sowjetische Führung nimmt die Haltung eines Feudalherren ein, der keine Einmischung in seine Herrschaft über seine Leibeigenen duldet. Sie wehrt sich dagegen, daß der Kampf für Menschenrechte zu einer internationalen Angelegenheit geworden ist.

Die Sowjetunion und ihre Satellitenstaaten unternahmen seit Helsinki keine einzige Maßnahme zur wirklichen Durchsetzung der Menschenrechte. Durch die formelle Vortäuschung von Friedfertigkeit wollen sie mögliche Gegner betören. Breschnjews Vorschlag eines Nichtangriffspaktes zwischen allen 35 Teilnehmerstaaten der Konferenz von Helsinki klingt wie ein Hohn.

Gleichzeitig bemühen sich die Sowjets, vom Westen das zu bekommen, was der Sowjetunion zur weiteren Aufrüstung fehlt: moderne Tech-

nologie und die neueste wissenschaftliche Information.

Die heutige Lage stellt die demokratischen Staaten vor die Wahl, entweder weiter zurückzuweichen und die sowjetische Auslegung der Menschenrechte hinzunehmen, so wie in Belgrad, wo der harte Standpunkt der Sowjets genügte, um die

„Die demokratischen Staaten haben in der oppositionellen Bewegung im Ostblock einen natürlichen Verbündeten.“

Menschenrechte aus dem Belgrader Dokument auszulassen - oder aber nicht mehr zurückzuweichen und tatsächlich im Sinne der Schlußakte von Helsinki vorzugehen.

Die demokratischen Staaten haben in der oppositionellen Bewegung im Ostblock einen natürlichen Verbündeten. Man will jedoch bislang die Tatsache nicht begreifen, daß in den Regimes der absoluten Unfreiheit die Formen der Opposition anders sein müssen als in einer Demokratie.

Würde beispielsweise die tschechoslowakische Opposition solche Existenzbedingungen haben wie die

Kommunistische Partei Österreichs oder die DKP in der Bundesrepublik, würde es bestimmt ausreichen, um eine überwältigende Mehrheit zu erringen. Aus diesem Grund wird bei Wahlen im Ostblock niemals eine Opposition zugelassen. Muß man dies aber im Westen einfach zur Kenntnis nehmen?

Die allseitige (geistige und moralische) Unterstützung der oppositionellen Tätigkeit in denjenigen Staaten, in denen keine Meinungsfreiheit herrscht, sollte zu einem Bestandteil jedweder Bestrebung um Realisierung der Menschenrechte im Sinne der Schlußakte von Helsinki werden.

Darüber hinaus handelt es sich um Unterstützung jener Kräfte, die tatsächlich um ein friedliches Zusammenleben bemüht sind. Ihr Sieg würde überall dort eine demokratische Gesellschaftsstruktur bilden, wo heute aggressive volksfeindliche Gruppen an der Macht sind, sie wür-

den dann zum friedlichen Zusammenleben beitragen.

Der 40. Jahrestag der Okkupation der Tschechoslowakei sollte also nicht nur historischen Reminiszenzen, sondern gleichzeitig der Aufforderung zu einer aktiven Friedenspolitik dienen.

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