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Rot-grüne Sterne über Finnland

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Als nach siebenmal sieben Tagen schwerer Verhandlungen die bevorstehende Bildung einer finnischen Volksfrontregierung bereits angekündigt worden und in der Weltpresse als sicher bevorstehend gemeldet worden war, kämpfte man im Parteirat der finnischen Sozialdemokraten noch durch volle sieben Stunden um die Zustimmung zur Regierungsbildung auf Grund des von Rafael Paasio vorgelegten Programmes! Schließlich siegte Paasios Vorschlag mit einem Stimmenverhältnis von 24 zu 13. Da man in Finnland bei allen wichtigen Ab

stimmungen eine Zweidrittelmehrheit zu verlangen pflegt, hatte Paasio in Wirklichkeit eine Stimme — oder, wenn man genau sein will, zwei Drittel einer Stimme! — zuwenig. An so dünnen Härchen kann das Schicksal finnischer Regierungen hängen! Das sagt eigentlich alles über die Schwierigkeit, in Finnland politische Prognosen zu stellen. Überraschungen gehören hier zur Tagesordnung!

Die Bildung der Volksfront war dabei keine Überraschung mehr, denn sie hatte sich nach dem Wahlsieg der Sozialdemokraten als die

natürlichste Lösung angeboten. Es erschien unmöglich, die Sozialdemokraten weiterhin von der Regierungsverantwortung fernzuhalten, und es gab in Finnland auch keine Partei, die so etwas gewünscht hätte. Die Nachtfrostperiode im Verhältnis zur Sowjetunion ist zu Ende, und der Parteivorstand der SP wird sich hüten, sie durch solche Fehler, wie man sie 1957 und 1958 gemacht hat, von neuem heraufzubeschwören. Die Volksdemokraten konnte man ebenso schwer weiterhin von der Regierungsverantwortung fernhalten; ihre Isolierung dauert nun fast 20 Jahre, obwohl sie von Wahl zu Wahl ihre 20 bis 22 Prozent der Stimmen erhalten konnten. So kam es nun zur Bildung der rot-grünen Koalition, die sich aus der Zenterpartei (Agrarier), den Sozialdemokraten, den Volksdemokraten und den linkssozialistischen Simoniten zusammensetzt.

Agrarier behielten den Schlüssel

Das neue Kabinett besteht aus sechs Sozialdemokraten, fünf Agrariern, drei Volksdemokraten (von denen zwei Kommunisten sind) und einem Simoniten. Der sozialistische Einfluß scheint überwältigend, in Wirklichkeit liegt die Situation jedoch etwas anders und komplizierter, wie so vieles in Finnland. Die Zenterpartei hat von allem Anfang an den Standpunkt vertreten, daß sie — im Falle eines Eintrittes in die Regierung — dort alle Mittel- und Rechtsparteien vertritt und dementsprechend gehört werden will. Die von ihr gestellten Forderungen haben das sozialdemokratisch-kommunistische Aktionsprogramm Punkt für Punkt durchlöchert; die so wichtige Strukturrationalisierungs- und Agrarpolitik trägt weitgehend die Züge der Zenterpartei, in der Frage der Steuerpolitik wurde die Linke ebenfalls schon zum Zurückweichen gezwungen; die wichtigen Posten des

Außenministeriums (Karjalainen), des Verteidigungsministeriums und des Landwirtschaftsministeriums werden ebenfalls In den Händen der Agrarier bleiben, und schließlich ist euch erkennbar, daß ihre Partei in der Regierung mit fünf Sitzen eine starke Repräsentation erhalten hat; Virolainen kann jedenfalls mit seiner harten Verhandlungamethode zufrieden sein.

Die Sozialdemokraten gaben natürlich deshalb nach, weil die einzige Alternative zu dieser Koalition eine reine Linksregierung gewesen wäre, die sie nach Meinung vieler Beobachter mehr scheuen als alles andere. Die Furcht vor einer Abhängigkeit von den Kommunisten zwang sie zur Annahme der agrarischen Forderungen. Spätestens bei den nächsten Wahlen wird sich zeigen, ob sie damit ihren Wählern mehr zugemutet haben, als der Partei gut ist.

KP: Danaergeschenk „Lohnminister"

Den Kommunisten muß es mindestens ebenso schwer gefallen sein, dieses revidierte . Mittenprogramm zu akzeptieren. Sie haben den Sozialminister, den Verkehrsminister und den zweiten Flnanzmlnieter erhalten, der für Lohnfragen zuständig ist und sofort die schwerste Aufgab der neuen Regierung, die Ver-

Handlungen über die Lohnforderungen der Staatsbeamten, wird in Angriff nehmen müssen. Der Lohnminister wird dabei gezwungen sein, da abzulehnen, wa seine Partei draußen in den Betrieben und Ämtern gefordert hat; man hat neben zweitrangigen Ministerien also den Schwarzen Peter zugespielt erhalten! Doch um ihre Koalitionsreife zu beweisen, 1st die finnische KP offenbar bereit, auch in den Verdacht einer beamtenfeindlichen Haltung zu geraten, denn die Staatsfinanzen erlauben ganz einfach keine hohen zusätzlichen Ausgaben. In Heisingsfons sagt man heute, daß die Sozialdemokraten wohl die Parlamentswahlen, die Agrarier jedoch die Regierungsverhandlungen gewonnen haben; faßt man alle hier aufgezeigten Momente zusammen,

dann versteht man diese Auffassung der Situation.

Den zweitwichtigsten Posten in der Regierung, den des Finanzministers, erhielt der Sozialdemokrat Mauno Koimste, der ebenfalls ein Neuling in der Regierung ist, jedoch eine sehr interessante und steil nach oben führende Karriere hinter sich hat. Er begann als Hafenarbeiter, eignete sich durch unermüdlichen Fleiß in nächtlichen Studien ein großes Wissen an und eroberte — damals noch Arbeiter — mit einer Doktordissertation über Finnlands Hafenarbeiter den Doktorgrad! Durch einige Jahre war nun Kolvleto Chef der Arbeiterbank. Das Handels- und Industrieministerium ging an den Chef der kooperativen Großeinkaufsgesellschaft, Olani Salonen.

Nur geringer Einfluß von ganz links

Die beiden Kommunisten in der Regierung, Matti Koivunen und Leo Suonpää, beide Abgeordnete seit 1851, stehen der älteren (stalinistischen) Linie nahe, während der dritte Mann, Eie Aleniue, der Generalsekretär im Volksdemokratischen Verband, nicht einmal Mitglied der finnischen KP ist. Der linksextreme Einfluß im Kabinett Paaslo kann als mäßig bezeichnet werden; seine

großen Schwierigkeiten wird es in den wirtschaftlichen und staatsfinanziellen Problemen Finnlands finden, soweit nicht von außen kommende Einflüsse von neuem alle Hoffnungen auf eine Stabilisierung in Finnland vernichten sollten. Auch auf Prüfungen solcher Art muß Paaslo gefaßt sein, nämlich darin Hegt das immerwährende Problem Finnlands!

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