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Regierungsbildung, dem Fahrplan nach Moskau angepaßt...

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Finnland hat eine neue Regierung erhalten; es ist die sechzigste seit der Selbständigkeitserklärung der Republik und die dreißigste seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Finnische Regierungen haben kein langes Leben: Kaum hat man sich daran gewöhnt, die Namen ihrer Mitglieder einigermaßen richtig auszusprechen, muß man darangehen, eine neue Namensliste auswendig zu lernen. Und das ist nicht so leicht, wenn - wie es jetzt der Fall ist - der Sozialminister Pirko Työläjärvi heißt und der Verteidigungsminister Taisto Tähkämaa. Zum Glück für den armen nichtfinnischen Beobachter heißt der Regierungschef Kalevi Sorsa, und das ist ja nun schon ein altbekannter, leicht auszusprechender Name.

Der Sozialdemokrat Sorsa hat also die Leitung der neuen Koalitionsregierung übernehmen müssen, nach einigem Zögern und einigen Ausweichmanövern, die nicht recht ernstgemeint waren, denn nach zwei Beamtenkabinetten und einer bürgerlichen Minderheitsregierung war den Sozialdemokraten viel daran gelegen, wieder in die Ministerien einzurücken. Die Zentrumspartei - der auch Präsi-dent Kekkonen nahesteht - hatte ohne die Sozialdemokraten die Regierungsverantwortung nicht übernehmen wollen. Die Sozialdemokraten wiederum stellten als Bedingung für ihren Regierungseintritt die Teilnahme auch der Volksdemokraten (bei denen die Kommunisten die führende Rolle spielen). Das ist sozusagen die Lebensversicherung der Arbeiterpartei, denn nichts fürchtet diese mehr als eine kommunistische Partei in der Opposition, wenn sie selbst in der Regierung sitzt. Regierungen in Finnland sind seit vielen Jahren gezwungen, Zurückhaltung im Verbrauch und bei den Lohnforderungen zu predigen und der Einfuhr nicht lebenswichtiger Dinge - wie etwa Personenkraftwagen - Hindernisse in den Weg zu legen. Das mag lebenswichtig für den Staatshaushalt sein und stabilisierend auf die Zahlungsbilanz wirken, zur Beliebtheit einer Regierung vermag das nicht beizutragen. Deshalb sind sowohl die Zentrumspolitiker wie auch die Sozialdemokraten bemüht, die Volksdemokraten in den Pferch der Regierungsverantwortung zu locken, und wenn sie obstinat darauf beharren, draußen zu bleiben, dann hat der Staatspräsident immer noch ein Mittel, um sie zum Umdenken zu bewegen.

Im gegenwärtigen Fall war es die vom Präsidenten für die dritte Maiwoche geplante Reise nach Moskau. Urho Kekkonen, dem sehr daran gelegen war, die Sorgen der Regierungsbildung vor dem Besuch in Moskau hinter sich zu bringen, soll den führenden Leuten der Volksdemokraten gesagt haben, daß er im Kreml die Führer der Koalitionsparteien als die verantwortlichen Männer für das Geschick der Republik Finnland präsentieren werde. Wenn die finnischen Kommunisten es vorziehen sollten, bei dieser Vorstellung zu fehlen, dann sei dies ihre eigene Sache... Und so kam es überraschend zur Bildung einer großen Koalitionsregierung, die mit einigen wohlbegründeten Erfolgshoffnungen an die Arbeit gehen kann.

In der neuen Regierung Sorsa erhielt die Zentrumspartei fünf Ministersitze, die Arbeiterpartei deren vier, die Volksdemokratische Allianz drei, während sich die Schwedische Volkspartei und die Liberale Volkspartei mit je einem Regierungssitz begnügen mußten. Ausgeschlossen blieb von den größeren Parteien die Konservative Sammlungspartei. Es muß noch erwähnt werden, daß der moskautreue Flügel der Kommunisten außerhalb der Regierung geblieben ist. Die drei Kommunisten, die jetzt in der Regierung sitzen, erhielten die Posten des Verkehrsministers, des Arbeitsmarktministers und des Zweiten Unterrichtsministers.

Sorsa bezeichnete es als die Hauptaufgabe der neuen Regierung, den Arbeitsmarkt und die Wirtschaft zu stimulieren. Er versprach auch, die Steuern über das jetzige Niveau hinaus nicht mehr zu erhöhen und schon im nächsten Jahr Maßnahmen gegen die Inflation zu ergreifen. Die auf dem Arbeitsmarkt bereits eingetretene Beruhigung und die Verminderung des Passivums der Bezahlungsbilanz werden als günstige Zeichen für die kommende Entwicklung gedeutet. Auch der letzte Bericht der OECD über die Wirtschaftssituation Finnlands enthält einige optimistische Voraussagen.

Auch auf außenpolischem Gebiet dürfte es die neue Regierung etwas leichter haben als ihre Vorgängerinnen, da sie zweifellos mit größerem Nachdruck im Namen des ganzen Volkes sprechen kann, wenn sowohl die Zentrumspartei wie auch die Volksdemokraten und die Schweden in ihr vertreten sind. Die vor einiger Zeit von Präsident Kekkonen in die Richtung Oslo ausgesprochenen Warnungen wegen der NATO-Manöver im hohen Norden weist allerdings darauf hin, daß in der Außenpolitik unangenehme Probleme auftauchen könnten.

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