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Zankapfel im Eismeer

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Im Juli 1978 stellt elfmal innerhalb weniger Wochen die norwegische Küsten wache Grenzverletzungen durch sowjetische Schiffe fest. Außenminister Knut Frydenlund zitiert wiederholt den sowjetischen Botschafter zu sich, ohne daß dieser ausreichende Erklärungen für die Anwesenheit der Schiffe in norwegischen Gewässern geben kann.

Im August berichten norwegische Zeitungen, daß die Sowjetunion auf Svalbard, der arktischen norwegischen Inselgruppe, die meist Spitzbergen genannt wird, obwohl Spitzbergen nur ein Teil von Svalbard ist, eine Radarstation und eine Flugzeuglandebahn baut. Svalbard ist auf Grund eines internationalen Abkommens entmilitarisierte Zone. Die Sowjetunion hat weder um Erlaubnis für den Bau angesucht noch Oslo auch nur davon verständigt.

Im September stürzt ein sowjetisches Flugzeug auf die nordnorwegische Insel Höpen. Die Sowjetunion verlangt die sofortige Auslieferung des ungeöffneten Flugschreibers der Maschine; Norwegen widersetzt sich und läßt das Instrument in Anwesenheit sowjetischer Fachleute von eigenen Experten untersuchen.

Zwischenfälle zwischen Oslo und Moskau, deren Häufung Aufmerksamkeit erregt. Sverre Hamre, norwegischer General und oberster Militärchef, spricht von „russischer Kanonenbootdiplomatie“. Wenig später schaltet das offizielle Norwegen auf Zurückhaltung. Waren es Nadelstiche aus Moskau, die den NATO-Nachbarn mürbe machen sollten? Im Außenministerium in Oslo klopft

„Sverre Hamre, norwegischer General und oberster Militärchef, spricht von russischer Kanonenbootdiplomatie'“ man heute auf die eigene Brust und nennt die kritischen Stimmen, die im Spätsommer laut wurden, „Uberreaktion“.

Selbstzensur ä la Finnland, wenn es um die Sowjetunion geht? Immerhin ist Norwegen neben der Türkei das einzige NATO-Land, das gemeinsame Grenzen mit der UdSSR hat.

In Oslo jedenfalls stehen die Zeichen auf Entspannung. Man ist an einem guten Verhältnis zur Sowjetunion gerade jetzt besonders interessiert, da man endlich die ungeklärten Grenzfragen lösen möchte.

Hier aber haken die Kritiker ein: Läßt sich Norwegen vom großen Nachbarn durch Episoden wie die eingangs erwähnten unter Druck setzen, so daß es dann am Verhandlungstisch ein ängstlicher, willfähriger Partner ist?

Zwei offene Fragen belasten das Verhältnis zwischen Norwegen und der UdSSR: Die Grenzziehung im Barentsmeer und der Status von Svalbard. Es geht um die Grenzen, es geht um den Fischfang, es geht vielleicht um Ölvorkommen. Und es geht um Sicherheit. Auf der Halbinsel Kola, nicht weit von der norwegischen Grenze, hat die Sowjetunion einen ihrer größten Flottenstützpunkte, dort liegen zwei Drittel ihrer Atom-U-Boote. Die Nordflotte kreuzt vor der norwegischen Küste.

Man weiß, daß diese Konzentration nicht gegen Norwegen gerichtet ist. Doch man weiß auch, daß im Konfliktfall sowjetische und amerikanische Raketen Norwegen überfliegen würden und daß man wegen der exponierten geographischen Lage Norwegens im wahrsten Sinn des Wortes in der Schußlinie sitzt.

Militärische Aspekte werden nicht diskutiert, wenn die norwegisch-sowjetische Verhandlungsrunde über die Grenzprobleme spricht. Doch beide Seiten wissen, daß jeder Kilometer, den man beim Tauziehen am Verhandlungstisch gewinnt, die eigene Sicherheit vergrößert.

Erst in den letzten Jahren, als viele Länder ihre Fischereizonen erweiterten, als die unterseeischen Bodenschätze zum brisanten politischen

Zankapfel wurden und die ölsuche in der Nordsee begann, wurde die offene Frage der Grenze im Barentsmeer zum Problem. Seit 1970 sucht Norwegen nach einer Lösung, seit 1974 wird intensiver verhandelt. Im Vorjahr wurde ein Übergangsabkommen vereinbart, das „Grauzonenabkommen“, das die Fischerei im umstrittenen Meeresgebiet regelt. Es gilt jeweils nur ein Jahr, und die Verlängerung erfordert neue Verhandlungen. Ende Juni läuft es wieder ab. Eine Dauerlösung ist nicht in Sicht.

Sowohl Norwegen wie die Sowjetunion verweisen auf die Genfer Konvention von 1958, wenn sie ihre Ansprüche in Sachen Grenzziehung geltend machen. Norwegen verlangt, daß die Mittellinie zwischen den beiden Staaten gezogen wird, wie die Konvention es verlangt - wenn nicht besondere Umstände anderes erfordern. Solche besondere Umstände macht die Sowjetunion geltend: Auf norwegischer Seite der Grenze leben in einem Gebiet von der Größe Hollands nur 80.000 Menschen - auf der sowjetischen Halbinsel Kola aber liegt nicht nur die Großstadt Murmansk, auch der Rest der Halbinsel ist wesentlich dichter besiedelt als das Gebiet jenseits der Grenze. Die Sowjetunion ist der Ansicht, die größere Bevölkerung brauche auch einen größeren Anteil an den Meeresschätzen für ihren Lebensunterhalt.

Daher will die Sowjetunion das Prinzip der Mittellinie durch ein Sektorenprinzip ersetzen und vom Festland aus eine direkte Linie zum Nordpol ziehen, welche die Grenze sein soll. Die Konsequenz: 155.000 Quadratkilometer würden an die UdSSR statt an Norwegen fallen.

Die in der Zwischenzeit geltende Grauzonenabsprache stellt den größten Teil des umstrittenen Gebietes unter gemeinsame Aufsicht. Die Fischereiquoten werden Jahr für Jahr neu verhandelt. Das Abkommen sieht neben dem umstrittenen Gebiet einen rein norwegischen und einen unbestritten sowjetischen Streifen vor - dadurch soll der vorübergehende Charakter des Abkommens charakterisiert werden, in dessen Einleitung festgehalten ist, daß es nicht präjudizierend wirken dürfe.

Die Tatsache, daß der rein norwegische Anteil an der Grauzone achtmal so groß ist wieder sowjetische, hat in Norwegen zur heftigsten innenpolitischen Auseinandersetzung in' außenpolitischen Fragen seit dem Zweiten Weltkrieg geführt. Erstmals verließen die bürgerlichen Parteien die Linie des Konsensus mit der Regierung und die Sozialdemokraten mußten das Abkommen mit ihrer Ein-Stimmen-Mehrheit im Parlament durchboxen. Die bürgerlichen Parteien meinen, ein derart ungünstiger Vorvertrag müsse ganz einfach für Norwegen negative Auswirkungen auf den Endvertrag haben.

Würde man nämlich die Grauzone, so wie sie heute aussieht, einfach halbieren und Norwegen sowie der Sowjetunion jeweils eine Hälfte zuschlagen, wäre Norwegen durch die unterschiedliche Größe der „Einstandsgeschenke“ klar benachteiligt. Und anders denn als „Einstandsgeschenk“ könne man die Einbeziehung unbestritten norwegischer und sowjetischer Gebiete in die Grauzone, deren Schicksal die Verhandlungen klären sollen, ja nicht bewerten.

„Die endgültige Grenzlinie kann weder die Mittellinie noch die Sektorenlinie sein“, sagt Norwegens Ministerpräsident Odvar Nordli und gibt damit wesentlich mehr Kompromißbereitschaft zu erkennen als die sowjetischen Verhandler. Diese sind nach wie vor nicht bereit, von ihrer Forderung nach der Sektorenlinie abzurücken.

Das Grauzonenabkommen regelt einstweilen nur die Fischerei in diesem Gebiet. Der endgültige Vertrag wird umfassender sein müssen. Die Barentssee ist ein Hoffnungsgebiet der ölsucher. In Stavanger, Norwegens ölhauptstadt, bekommen die Leute von der Ölbohrung verklärte Augen und beginnen zu flüstern, wenn die Rede auf das Barentsmeer kommt. Noch ist nichts Genaues bekannt. Uber das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein von Erdöl geben immer nur Bohrungen Auskunft, seismologische Untersuchungen haben die Sucher schon oft auf falsche Fährten geführt.

Immerhin sollen die Ergebnisse seismologischer Forschungen im Barentsmeer so vielversprechend sein, daß die bisherigen Funde in der Nordsee weit in den Schatten gestellt werden könnten. Auch in den nächsten Jahren werden- noch keine sicheren Resultate vorliegen. Norwegens ölsucher tasten sich langsam nach Norden vor. Aber ihre Chancen stehen so, daß die Besitzverhältnisse klar abgegrenzt sein sollten, wenn man mit näheren Untersuchungen beginnt.

Während es im Barentsmeer also um die Grenzziehung zwischen den beiden Staaten geht, ist bei Svalbard der Status der Inselgruppe umstritten, genauer gesagt dessen Sockel. Svalbard ist durch einen im Jahre 1920 von 41 Staaten unterzeichneten Vertrag norwegisches Territorium, ist entmilitarisiert und als Schürfgebiet für alle Signatarmächte des Vertrages offen. Aber nur die Sowjetunion nützt neben Norwegen tatsächlich Schürfrechte aus. Sie fordert auf Svalbard Kohle. 2000 Russen und 1000 Norweger leben auf der nördlichen Insel.

1977 hat Norwegen eine 200-Mei-len-Fischereischutzzone um Svalbard errichtet. Es handelt sich dabei nicht um ein den norwegischen Fischern vorbehaltenes Fanggebiet, sondern nur um eine Schutzzone, deren Errichtung den Fischbestand sichern soll. Es dürfen weiterhin alle Nationen bei Svalbard fischen, aber sie müssen Norwegen über ihre Fänge berichten. Mehrere Staaten äußerten Bedenken; Norwegen stehe das Recht, eine solche Zone zu errichten, nicht zu. Doch einzig die Sowjetunion verweigert die Berichte über ihre Fänge.

Norwegen hat übrigens auch in Gebieten, die für das Laichen und Aufwachsen der Jungfische wichtig

„Die bürgerlichen Parteien meinen, ein derart ungünstiger Vorvertrag müsse ganz einfach für Norwegen negative Auswirkungen auf den Endvertrag haben“ sind, zwei kleine Fangverbotszonen errichtet, und diese Zonen werden auch von der Sowjetunion sehr wohl respektiert. Allerdings aus eigenem Interesse. Der Dorsch wandert nämlich von Svalbard zur russischen Küste, und die sowjetischen Fischer würden sich durch Nicht-Respektierung der Fangverbotszone nur selber schaden.

Auch bei den Auseinandersetzungen um Svalbard spielen die unterseeischen Bodenschätze eine entscheidende Rolle. Auch hier könnten Ölvorkommen entdeckt werden, auch hier ist eine Klärung notwendig. Wieder trennen Norwegen und die Sowjetunion grundsätzlich verschiedene Auffassungen. Norwegen ist der Ansicht, daß Svalbard der nördliche Ausläufer des norwegischen Kontinentalsockels ist. Die Konsequenz daraus würde lauten: Alle Bodenschätze gehören dem Eigentümer des Festlandsockels, also Norwegen.

Die sowjetische Auffassung: Svalbard ist eine eigene Einheit, die lediglich unter,norwegischer Oberhoheit steht und hat daher auch einen eigenen Sockel. Dies aber würde bedeuten, daß die Schürfrechte zur Ausbeutung der Bodenschätze auf dem Meeresgrund allen jenen 41 Staaten gemeinsam gehören würden, die diese Rechte für die Inseln selbst besitzen. Unter anderen: Die UdSSR, die USA, England und Frankreich.

Die Vertragsverhandlungen über Svalbard haben noch nicht begonnen. Sollte die Sowjetunion den norwegischen Standpunkt akzeptieren, würden die anderen Signatarstaaten wohl keine Einwände erheben. Die Schwierigkeiten und Konfliktmöglichkeiten, die sich aus den gemeinsamen Rechten von 41 Staaten etwa bei der ölsuche ergeben könnten, werden übrigens von Norwegen als zusätzlicher praktischer Gesichtspunkt in die Diskussion eingebracht: „Gebt uns alle Rechte, dann erspart ihr euch Probleme und Konflikte!“

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