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Ölrausch in Stavanger

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Stavanger, im südlichsten Teil des vielfach verzweigten Stavan-gerfjords gelegen, an jener Bucht, die man den Byfjord nennt, und die eigentlich schon wieder einen Fjord innerhalb eines anderen Fjordsystems darstellt, fühlte sich durch lange Zeit als eine der ärmeren Schwestern der weitaus berühmteren norwegischen Hafenstädte Bergen und Trondheim. Diese beiden Städte sind nicht nur größer und reicher, sie werden auch von ausländischen Touristen weitaus häufiger besucht.

Seit Monaten ist das anders geworden. — Das Minderwertigkeitsgefühl der Leute von Stavanger ist verschwunden. Die Spekulanten jeder Art, Kautieute, Industrielle und Techniker mit geheimnisvollen Mienen haben die Hotels und Gasthöfe, die kleinen Pensionen und zahlreichen Ferienhäuser in Besitz genommen. Ein hochmodernes Neubauviertel, dessen Erstellung eine große Baugesellschaft an den Rand des Ruins gebracht hatte, da die sündteuren Häuser ganz einfach nicht an den Mann gebracht werden konnten, beherbergt heute fast ausschließlich Angestellte jener Interessentengruppe, die in der Nordsee nach Erdöl bohrt. Vor den exklusiven Vülen stehen die schweren amerikanischen Wagen in langen Reihen, und längst hat die Siedlung, die eigentlich Slottshaus heißt, den Namen „ölberg“ erhalten. Seit Monaten befindet sich Stavanger in einem regelrechten ölrausch, die Zukunft erscheint in den lichtesten Farben. Wieviel Erdöl enthält nun wirklich die ziemlich genau zwischen der norwegischen Südküste und Schottland erbohrten Ölquelle? Die Schätzungen gehen weit auseinander. Der Chef der Phillips Petroleum Co, J. M. Houchin, sprach von einer Produktionskapazität von 1400 Tonnen pro Tag. Andere „zuverlässige Quellen“ sprechen davon, daß die öllager um Ekofisk 45 Millionen Tonnen jährlich liefern könnten, sofern man gewillt ist, alle technischen Möglichkeiten einzusetzen. Andere wieder halten es für sicher, daß der norwegische Anteil etwa eine Million Tonnen jährlich betragen dürfte.

Doch alle diese Angaben bauen auf Sand. Glaubwürdiger erscheint die Schätzung, daß man hier eine der zwanzig größten Quellen der Welt erschlossen hat. Stavanger selbst hat bisher von dem großen erhofften Goldstrom noch wenig bemerkt. Gewiß: Die freistehenden Häuser sind verkauft worden, die Hotels sind besetzt, und die Geschäfte, die Waren des täglichen Bedarfes führen, haben die Umsätze etwas erhöhen können. Außerdem hat man zweihundert bis dreihundert neue Arbeitsplätze schaffen können. Doch im Allgemeinen bilden die Fachleute der Phillipsgruppe eine in sich geschlossene Gesellschaft, durch die offensichtlich der Spionagespuk geistert. Und dieser Spuk hat zumindestens sehr handgreifliche Formen angenommen,denn wie hätte es sonst geschehen können, daß britische Interessenten noch vor der öffentlichen Bekanntgabe der ölfunde bereits Bohrmaterial ganz nahe an den „Ocean Wiking“, die norwegische Bohrplattform hätten heranführen können?

Die Erdölfunde im südwestlichen Winkel des norwegischen Kontinentalsockels wurden ganz nahe der Stelle gemacht, an der die Territorien Norwegens, Dänemarks, Westdeutschlands, Hollands und Groß-britaniens zusammenlaufen. An der „Ekofisk“ genannten Stelle arbeitet die sogenannte „Phillips-Gruppe“, der außer dem amerikanischen Phillipskonzern die belgische PETROFINA, die italienische ENI und die Gruppe PETRONORD angehören, in der sich wiederum französische Gesellschaften und die norwegische Norsk Hydro zusammengefunden haben. Doch auch der Phillips gehört ein Teil der PETRO-NORD-Gruppe.

Die Norsk Hydro, die interessanteste Gesellschaft, die sicher zunehmende Bedeutung gewinnen wird, gehört zu 47 Prozent dem norwegischen Staat und ist mit ihren etwa 10.000 Angestellten das größte Unternehmen der chemischen Industrie Skandinaviens.

Anteil der Norsk Hydro In der PETRONORD-Gruppe beträgt

2,5 Prozent, doch hat sich der norwegische Staat ein Optionstrecht gesichert, so daß man auf sieben Prozent kommen kann. Norsk Hydro hat bisher finanzielle Verpflichtungen im Umfang von 30 Millionen nKr übernommen, rechnet jedoch damit, daß man weitere 200 Millionen nKr wird einsetzen müssen, bevor der öl-strom zu fließen beginnt. Für den Bau einer Raffinerie in Norwegen will man außerdem weitere 250 Millionen nKr aufbringen. Das Unternehmen verbraucht nun 650.000 Tonnen öl jährlich, die man dann zur Gänze den Nordquellen entnehmen will.

Ein großes Fragezeichen ist, im welchen Ausmaß die im fieberhaften Tempo unweit von Ekofisk errichteten englischen Bohrstellen dieses öllager anzapfen werden. Hier können noch harte internationale Verhandlungen erwartet werden, bei denen sich die Amerikaner auf norwegischer Seite befinden werden.

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