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„Großmacht” Norwegen

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Norwegen, ein kleines felsiges Land, zwischen Nordsee und dem nördlichen Eismeer gelegen, ein Land außerhalb des Europamarktes, mit einer schwachen Industrie und nur 3,6 Millionen Einwohnern, hatte am 1. Oktober 1963 Schiffsbestellungen von insgesamt 4,181.000 Bruttoregistertonnen (BRT) bei den Werften dieser Welt liegen. Davon sollen knapp eine Million noch in diesem Jahr, 1,6 Millionen im Jahre 1964 und 1.6 Millionen Bruttoregistertonnen 1965 oder später geliefert werden. Zum Vergleich muß genannt werden, daß die Handelsflotte der Bundesrepublik nach zwölf Jahren des energischen Aufbaues am 1. Juli 1963 fünf Millionen Bruttoregistertonnen zählte, die Handelsflotte der alten Seefahrernation Holland 5,3 Millionen und die Schwedens 4,3 Millionen Bruttoregistertonnen. Alle Länder des Ostblockes zusammen hatten zum genannten Datum 7,2 Millionen Bruttoregistertonnen und das seine Schiffahrt in fieberhaftem Tempo auf rüstende Japan 9,9 Millionen Bruttoregistertonnen. Der Wert der außenstehenden Bestellungen beträgt etwa 6,3 Milliarden norwegische Kronen. Es ist verständlich, daß die Höhe der norwegischen

Schiffsbestellungen den vorsichtigeren Wirtschaftsbeobachtern immer wieder einen gelinden Schauer verursacht.

Das große Risiko

Betrachtet man die Entwicklung im Jahre 1963 für sich allein, so ist festzustellen, daß norwegische Reeder in den ersten neun Monaten des Jahres 2,6 Millionen dWt. im Werte von 1850 Millionen Kronen im Ausland bestellt haben; zusammen mit den Bestellungen auf inländischen Werften kommt man auf 2,7 Millionen dWt und zwei Milliarden Kronen. Das sind — im Verhältnis zur Wirtschaftskraft Nor-

wegens gesehen — gewaltige Beträge, und es drängt sich die Frage auf — und diese Frage wurde in den letzten Monaten auch in Norwegen sehr lebhaft diskutiert! —, ob das Land hier nicht ein riesiges Risiko eingeht, das, bei einer weiteren Verschlechterung auf dem Frachtenmarkt, zu einer Katastrophe führen kann.

Nimmt man jeweils den 1. Juli als Stichtag, dann betrug die von Norwegen bestellte Tonnage:

Trotz fortgehender Verminderung der Frachtsätze und der sich verstärkenden Schwierigkeiten auf Grund der Europamarktspolitik ist eine Investitionserhöhung im Sektor der teuren Spezialschiffe deutlich erkennbar.

Die Finanzierung dieser hohen Investitionen durch die norwegische Wirtschaft oder gar durch die Schiffahrt allein ist natürlich ausgeschlossen. Nach Angaben des norwegischen Reederverbandes erfolgt die Finanzierung der im Jahre 1963 abgeschlossenen Schiffbaukontrakte zu mehr als 80 Prozent durch ausländische Anleihen; der Rest wird durch Verkäufe älterer Schiffe und durch „Anleihen anderer Art” aufgebracht. Hier kommt der norwegischen Schiffahrt eine Entwicklung zugute, die parallel mit dem Verfall der Frachtsätze erfolgte und zum Teil auf diesen zurückzuführen ist: die immer härter werdende Konkurrenz innerhalb der internationalen Schiffbauindustrie und die dadurch erzwungene Verbilligung des Baupreises pro Tonne, wobei nicht übersehen werden soll, daß die Rationalisierung in der Produktion und der Übergang zu immer größeren Schiffseinheiten ebenfalls in dieser Richtung wirken. Der Preis pro Bruttoregistertonne betrug am /

In diesen Zahlen drückt sich vor allem die ganze Schwere der Situation aus, in der sich die Schiffbauindustrie heute befindet und die zur erbarmungslosen Ausschaltung vieler kleinerer und mittlerer Werften geführt hat. 38 Prozent der außenstehenden norwegischen Kontrakte liegen bei schwedischen Werften. Fachleute der amerikanischen Schiffbauindustrie, die vor kurzem die Lage der schwedischen Unternehmungen studiert haben, sind der Meinung, daß fast alle schwedischen Werften heute zu Preisen liefern, die unter den Gestehungskosten liegen. Für unsere Übersicht ist es allerdings wichtig, festzustellen, daß sich — bei gleichzeitig ansteigender bestellter Tonnage — der berechnete

Preis für die erteilten Order ununterbrochen vermindert hat, und zwar vom 1. Oktober 1959 bis 1963 wie folgt: 8,76, 7,76, 7,35, 7,13 und 6,27 Milliarden norwegische Kronen. Die ansteigenden Investitionen erfolgen also bei ständig sich vermindernder Belastung.

Anleihen aus dem Ausland

Ein weiteres Argument für die hohen Investitionen lautet etwa folgendermaßen:

Die Schiffe, die Norwegens Handelsschiffahrt importiert, werden zum allergrößten Teil durch im Ausland aufgenommene Anleihen finanziert. Die Kredite sind an die Schiffe gebunden, und andere Zweige der norwegischen Wirtschaft, die Kapital brauchen, sind dadurch in keiner Weise betroffen. So lange die norwegischen Reeder die Forderungen ihrer ausländischen Kreditgeber nach Sicherheit und Rentabilität erfüllen können, führt diese Art Investitionspolitik zur Bereicherung der norwegischen Wirtschaft durch Realwerte, die sie sonst nicht bekommen hätte!

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