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Schwimmen im Erdölstrom

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Zwischen dem Erwarteten und Erhofften auf der einen Seite und dem tatsächlich Erreichten oder erreichbar Scheinenden auf der anderen klafft im norwegischen Erdölabenteuer noch ein breiter Abgrund. Sind deshalb die großen Hoffnungen auf Schwemmsand gebaut? Auch bei noch so nüchterner Betrachtung muß man sich eingestehen, daß mit den Erdölfunden im Eskimofeld, weit draußen in der nördlichen Nordsee, eine Periode der industriellen Entwicklung Norwegens eingesetzt hat,die das wirtschaftliche Gesicht des Landes weitgehend verändern wird. Wenn man irgendein Geschehen damit vergleichen kann, dann ist es jener technische Fortschritt, der es ermöglichte, die riesige in den Wasserfällen des Landes gebundene- Kraft für die“ Gewinnung von elektrischem Strom auszunützen. Nach der Wasserkraft nun die Energie der Erdöl-und Naturgasvorkommen unter dem Meeresgrund — das felsige und mitunter so unwirtlich erscheinende Norwegen ist trotz allem mit zwei der wertvollsten Naturschätze gesegnet worden!

Was heute am meisten auffällt, das sind zweifellos die Folgeerscheinungen der Erdölförderung, die im August 1971 begonnen hat. Wenn nicht weniger als 125.000 Norweger Aktien der Erdölgesellschaften erwerben, so ist das ein Engagement, wie es in diesem Umfang bisher in keinem einzigen nordischen Land verzeichnet werden konnte. Man glaubt in Norwegen an die Erdölzukunft des Landes. Eine andere Frage ist es, welchen direkten Nutzen der kleine Mann wirklich von seinen Aktien haben wird; daß er indirekt an der neu entstandenen Industrie profitiert, daran kann kein Zweifel bestehen. Die produzierenden Gesellschaften und auch der norwegische Staat werden allerdings ihren Gewinn genauer und unmittelbarer messen können — aber auch die keineswegs ganz ausgeschlossenen Enttäuschungen!

Eine der großen Enttäuschungen bestand darin, daß sich alle Experten der großen ölgesellschaften für die Überführung des gewonnenen Erdöles nach Teeside in England und des Naturgases nach Nordwestdeutschland oder nach Holland aussprachen. In diesen Ländern gibt es Verarbeitungswerke, in denen die in der Philips-Gruppe vereinigten ölgesellschaften große Interessen haben. Ihr gewichtiges Argument war das Vorhandensein der tiefen Nordseerinne zwischen Ekoflsk und dem norwegischen Festland, die das Verlegen einer Ölleitung unmöglich macht. Doch die Norweger sind bereits dabei, neue technische Möglichkeiten zur Überwindung dieser Schwierigkeiten zu prüfen, und ganz sicher wird man in Zukunft einen Teil des Nordsee-Öles nach Norwegen überführen und dort verarbeiten können. Man rechnet auch mit der Entdeckung neuer Erdölvorkommen nördlich der bereits erschlossenen Quellen. Die „Norsk Hydro“ hat bereits mitgeteilt, daß sie in diesem Fall ein petrochemi-sches Werk an der Küste bauen wird.

Auch die Produktion und die Vermietung von schwimmenden Bohrtürmen entwickelt sich voraussichtlich zu einem wichtigen neuen Wirtschaftszweig. Norwegische Reedereien haben bereits solche Bohrtürme im Werte von 2,5 Milliarden norwegischen Kronen bestellt. Die Miete eines solchen Bohrturmes wird 160.000 Kronen täglich kosten. Auch mit der Ausbildung von Bohrturmspezialisten ist bereits begonnen worden; die Maschinenbauschule von Stavanger hat kürzlich in zwei Klassen zu je 32 Schülern mit dem Unterricht begonnen.

Im Brentfeld, das zum britischen Teil des Nordseeraumes gehört, sind vor kurzem weitere große ölfunde gemacht worden, deren Mächtigkeit auf eine Milliarde Tonnen geschätzt wird. Man glaubt, daß dort eine jährliche Produktion im Umfange von 100 Millionen Tonnen möglich sein wird. Das Brentfeld findet im norwegischen Teil der Nordsee seine

Fortsetzung, weshalb die Konzerne Shell und Esso bei der norwegischen Regierung um die Zuteilung der zwei angrenzenden norwegischen Felder angesucht haben.

Nach neuesten Untersuchungen schätzt das norwegische Industrieministerium die Erdölmengen südlich des 62. Breitegrades im norwegischen Kontinentalsockel auf mindestens eine Milliarde, möglicherweise 1,5 Milliarden Tonnen und die Naturgasmengen auf 1,5 Billionen Kubikmeter. Es ist noch nicht gelungen, klare Beweise für das Vorkommen von Erdöl nördlich des 62. Breitengrades zu erhalten, ein Umstand, der für die Pläne zur Errichtung einer petrochemischen Industrie in Norwegen von großer Bedeutung ist. Man bezweifelt auch die Wirtschaftlichkeit des Vorhabens, das Naturgas vom sogenannten Frigg-Feld nach Karmöy in Norwegen zu transportieren und dort zu verarbeiten.

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