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Die Katastrophe war seit langem fällig

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Die Ölkatastrophe auf der norwegischen Bohrinsel Ekofisk wird wohl nicht jene nicht wieder gutzumachen-- den Umweltschäden hervorrufen, die zunächst befürchtet worden waren, als das öl aus der „Bravo”-Plattform in den Himmel schoß, um sich dann ungenützt ins Meer zu ergießen. Bei der für den Unfall verantwortlichen amerikanischen „Phillips”-Gesellschaft, wie bei der norwegischen Regierung, hat sich ein wenig Optimismus eingestellt. Dennoch wird „Ekofisk” Konsequenzen haben, die weit über den Unglücksfall hinausreichen.

Die Umwelt scheint bei der Katastrophe doch verhältnismäßig glimpflich davongekommen zu sein. Das restliche öl, das von den Spezialbooten nicht aufgesaugt werden konnte, wird vermutlich nicht auf die Küsten des Festlandes zutreiben. Da keine chemischen Mittel zur Wasserreinigung eingesetzt wurden, sind auch die Fisch- und Laichbestände keiner größeren Reduktion ausgesetzt. Ursprünglich hatte man um den Fortbestand der Nordseefischerei und die Arbeitsplätze Tausender Fischer gebangt. Auch die Vogelwelt hätte ärger getroffen werden können: Nur wenige Wochen zuvor waren 100.000 Vögel zum Überwintern im südlichen Teü der Nordsee gewesen; sie haben aber bereits wieder ihre „Sommerquartiere” aufgesuęht. Und schließlich ist der ganz große Unglücksfall nicht eingetreten: Das mit dem öl austretende Gas hat sich nicht entzündet; andernfalls wäre der Ölteppich, der die Ausmaße des Bodensees angenommen hatte, in Flammen gestanden - das Bohrloch hätte in diesem Fall unmöglich geschlossen werden können.

Doch das Aufatmen der Verantwortlichen ist eine sehr eingeschränkte Erleichterung. Denn einerseits weiß man sich vor Spätschäden noch lange nicht geschützt - die ausgetretenen öl- und Teerteilchen können noch in drei Jahren die nordatlantischen Badestrände verunzieren- anderseits hat der Unfall enorme finanzielle Belastungen zur Folge. Der „Phillips”-Konzern hat etwa 25.000 Tonnen Rohöl verloren; dem norwegischen Staat gehen allein an Steuern und Abgaben 300 Millionen Kronen, also fast eine Milliarde Schilling, verloren. Zusätzlich muß Norwegen 70 Prozent der nicht durch Versicherungen gedeckten Kosten für die Bekämpfung der Katastrophe bezahlen.

Die Opposition wirft der norwegischen Regierung vor, dem Risiko allzu leichtsinnig begegnet zu sein. „Wir hatten die Sache für recht sicher gehalten”, meinte der sozialdemokratische Ex-Regierungschef Trygve Brat- teli und verwies auf eine Rechnung, in der Experten die Wahrscheinlichkeit eines Unglücksfalles mit 1 zu 500 angegeben hatten. Doch Norwegen verfügt bereits über tausend Bohrplattformen. Der „Blow out” war gewissermaßen fällig…

Die Katastrophe von Ekofisk hat zunächst alle anderen Fragen der norwegischen Politik in den Hintergrund gedrängt. Sie bedeutet einen schweren Rückschlag für die Energiepolitik der sozialdemokratischen Regierung, die - gegen den Widerstand der Bevölkerungsmehrheit - für Ölprobebohrungen auch nördlich des 62. Breitengrades eingetreten ist Auch die konservative „Höyre”-Partei muß nun fürchten, für fortschrittsfreundliche Ölpolitik büßen zu müssen. Dagegen kann die Zentrumspartei - immer schon skeptisch gegenüber der Ölausbeutung - von einer „gewonnenen Schlacht um den Norden” sprechen. Denn die Regierung kann nun ihr ursprüngliches Programm nicht erfüllen. Industrieminister Bjartmar Gjerde sprach zwar nur zurückhaltend von „möglichen Verspätungen”, aber der Parteichef der Arbeiterpartei, Reiulf Steen, hat die Konsequenzen schon gezogen: Es wird 1978 keine Probebohrungen geben.

Ekofisk hat aber nicht nur für Norwegen Folgen. Der Unglücksfall setzt die gesamte Energiediskussion wieder einmal in ein neues Licht Denn plötzlich hat das Erdöl, zuletzt als „umweltfreundlich” hochgelobt wieder an Sympathie verloren. In der führenden norwegischen Tageszeitung „Aften- posten” hat sich die „Gesellschaft zur friedlichen Nutzung der Atomkraft” zu Wort gemeldet und darauf verwiesen, daß es bei den 200 Atomkraftwerken, die derzeit in aller Welt in Betrieb sind, noch keinen einzigen Unglücksfall gegeben habe. Und der Karikaturist der dänischen Zeitung „Politiken” läßt eine vom öl gezeichnete Ente zu einem gleichfalls recht ramponierten Fisch sagen: „Wir hätten doch lieber bei Barsebäck bleiben sollen.” In Bar- sebäck aber steht Schwedens neues, heiß umstrittenes Kernkraftwerk.

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