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Verlängerte Katastrophen

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123 Tote, die nach dem Kentern der Wohnplattform „Alexander Kielland" im norwegischen ölfeld Ekofisk unauslöschlich die Kostenrechnung der Nordsee-Ölsuche belasten, stellen die Zukunft Norwegens als ölproduzent in Frage. Wirtschaftlich kann es sich Norwegen nicht leisten, die ölförderung einzustellen. Aber ist es verantwortlich, sie fortzusetzen, nachdem die Katastrophe so eindrücklich bewiesen hat, unter welchem Risiko in der rauhen Nordsee gearbeitet wird?

Norwegens Regierung will zunächst einmal den Untersuchungsbericht über die Katastrophe abwarten, ehe sie Stellung zu Fragen nimmt, die die Zukunft betreffen. Doch es scheint schon jetzt festzustehen, daß Sozialdemokraten und Konservative, Norwegens größte Parteien, gewillt sind, weiterhin mit dem Risiko zu leben und die Förderpläne zu verwirklichen.

Norwegen nennt seine Sicherheitsnormen die strengsten der Welt. Dennoch sind in den nicht einmal zehn Jahren, die seit der ersten Probeförderung vergangen sind, zweimal Unfälle passiert, die nach menschlichem Ermessen nicht geschehen hätten dürfen:

Zuerst im April 1977, alsein falsch montiertes Ventil schuld am „Blow out" (Ausbruch) von der Bravo-Bohr-insel im Ekofisk-Feld war. Und nun, knapp drei Jahre später, als im Orkan aus ungeklärter Ursache einer der fünf Stützträger brach, auf denen das „Flotel" ruhte, und dessen 213 Bewohner ins tosende Meer schleuderte. Für 123 gab es keine Rettung.

Zwei Unfälle in drei Jahren in einem einzigen ölfeld. Ekofisk, mit einer geschätzten Menge von 430 Millionen Tonnen öläquivalenten im Boden, ist Norwegens erstes Feld. Dort fand die amerikanische Gesellschaft Phillips Petroleum am Vorweihnachtstag 1969das erste öl im norwegischen Kontinentalsockel. Dort begann 1971 dieerste Probeförderung. Und die Einnahmen aus dem Ekofisk-Feld sind es, die Norwegens ölabenteuer schon jetzt - trotz gigantischer Investitionen in die Förderung - zu einem gewinnbringenden Geschäft gemacht haben.

Aber seit dem Palmsonntag-Wochenende wird der Name Ekofisk immer mit dem Tod von 123 ölarbeitern verbunden sein. Beim „Blow out" vor drei Jahren hatte man noch Glück gehabt. Die Umweltschäden durch die 22.500 Tonnen öl, die unkontrolliert ins Meer geflossen waren, blieben geringer als befürchtet. Den neuen Unglücksfall kann niemand mehr bagatellisieren.

Dabei handelt es sich bei Ekofisk unbestritten um das „günstigste" Feld im norwegischen Sockel. In seiner Süd-spitze gelegen ist es klimatisch relativ ruhig und mit einer Wassertiefe von 45 bis 65 Metern auch relativ flach. Norwegens zweites ölfeld, Statfjord, seit dem November in Produktion, stellt an Technik und Sicherheit ganz andere Anforderungen.

Die norwegische ölgesellschaft Stat-oil, Hauptaktionär auf Stratfjord, beteuert die vorzüglichen Sicherheitsvorkehrungen, die die Wohnbereiche gegen Brand und Explosion schützen sollen. Aber auch die Alexander Kielland galt als Muster an Sicherheit, ehe sie im Orkan umstürzte.

Und Statfjord ist nur ein kleiner Schritt in Norwegens ölzukunft. Erst Anfang März hat Norwegens Parlament endgültig grünes Licht für die öl-suche im Norden des Landes gegeben. Die bei Beginn der Suche willkürlich gezogene Nordgrenze -der 62..Breitengrad - wurde aufgehoben. Schon im Sommer 1980 hätte die Erforschung von nördlicher gelegenen Hoffnungsgebieten beginnen sollen.

Das Kentern der Alexander Kielland hat natürlich jenen Stimmen wieder stärkeres Gehör verschafft, die die Ansicht vertreten, die ölsuche im klimatisch und geologisch ungleich schwierigen Norden sei ein unakzeptables Risiko. Wassertiefen von 300 Metern erfordern Fördermethoden, für die es international kein Vorbild gibt. Die Winde im eisigen Nordmeer haben erst unlängst ein riesiges Trockendock seinen Schleppfahrzeugen entrissen und wie einen Ball an ein Riff geworfen. Welchen Naturgewalten wären Bohrtürme und Plattformen ausgesetzt. Könnten sie ihnen widerstehen?

Aber andererseits: Das Suchgebiet nördlich des 62. Breitengrades ist siebenmal so groß wie jenes im Süden. Kann sich Norwegen die Chance entgehen lassen, die ihm ölfunde in diesen Feldern bescheren? Kann der energieknappe Westen es sich leisten, auf Ressourcen zu verzichten, die er selbst besitzt?

80 Milliarden Kronen sind in die ölsuche Norwegens investiert worden. Die Auslandsverschuldung des Staates hat die 100-Milliarden-Grenze passiert. Nun sollten die Jahre der Abzahlung beginnen, die Jahre der Gewinne. Neue Felder sind aufgespürt worden, die verheißungsvolle Namen bekommen haben: Silberblock, Goldblock, Diamantblock. Enorme Energiemengen warten auf ihre Ausbeutung.

Sagt Norwegen dazu nein, dann stürzt es sich selbst in eine kaum zu bewältigende Wirtschaftskrise. Sagt Norwegen aber nochmals ja zum ölabenteuer, dann sagt es auch ja zu neuen Katastrophen wie jener mit der Alexander Kielland. Ja zu neuen menschlichen Tragödien. Denn das Risiko wird sich in der Nordsee nie ausschließen lassen.

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