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Ein niederländisches Zistersdorf

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Die Welt steht heute im Zeichen dringenden Rohstoffbedarfes; insbesondere auf dem Gebiet der Erdölvorkommen haben Fach- leiute vorausgesagt, daß die heutigen Haupt- bohrzentren im Gefahrenbereich des Versiegens ihrer Quellen liegen. Das gilt besonders für die Erdölvorkommen der Neuen Welt, Rumäniens und Galiziens. Auch von den kaukasischen Erdölvorkommen wird ähnliches behauptet. Um so mehr ist daher Wissenschaft und Wirtschaft auf der Suche nach neuen Quellen oder versucht ihr Glück in der synthetischen Erzeugung von Kraftölen. In diesem Zusammenhang meldete die „Zürcher Zeitung" am 2. April, daß an der deutsch- holländischen Grenze im Emsland große Erdölvorkommen entdeckt wurden. Diese Vorkommen sollen die größten Europas fein. Es stehe bereits fest, daß die Erdölvorkommen eine größere Ergiebigkeit aufweisen als die Zistersdorfer Ölfelder in Österreich! Die Bezeichnung „ein niederländisches Zistersdorf" legt bereits klar dar, daß auch hier ein Kampf um den Besitz dieser Erdölvorkommen entbrannt ist. Das Gebiet der Erdölvorkommen im Emsmoor gehört zur Hälfte zu den Niederlanden und zur Hälfte zu Deutschland. Die gegenwärtigen Bohrzentren befinden sich auf beiden Seiten der Grenze in Oud- Schoonebeek in der Provinz Drente und im Raume der gegenwärtig deutschen Niedergrafschaft Bentheim, bei Emmlichheim und Picardic. Bereits im Jahre 1924 wurde durch die B. P. M. (eine holländische Gesellschaft) in Winterswijk, Lichtenvoorde und Groenlo nach öl gebohrt, diese Bohrungen wurden aber wegen Unergiebigkeit wieder eingestellt. Die erste Bohrung in der Provinz Drente wurde jedoch erst 1937 durchgeführt. Man kann diese Jahreszahl als Geburtsstunde des Emsmoor-Erdölgebietes betrachten. Aber jenseits der Grenze im Deutschen Reich war man auch nicht müßig geblieben und begann in der Niedergrafschaft Bentheim mit Bohrungen, die ebenfalls Erfolg hatten und schon damals zur Feststellung führten, daß beide Bohrfelder zu einem Erdölgebiet gehören mußten. E s ist heute noch unerklärlich, warum die deutschen Regierungsstellen, besonders nach der Besetzung der Niederlande, diese Möglichkeit nicht wahrnahmen. Während des Krieges geriet das Erdölgebiet fast in Vergessenheit. Das Interesse am Emsmoor-Erdölgebiet wurde durch ein politisches Ereignis in Asien, durch die Erhebung der Indonesischen Republik gegen den Kolonialherren, die Niederlande, wieder erweckt und in den Mittelpunkt der niederländischen Wiedergutmachungspolitik gegenüber

Deutschland gestellt. Die Niederlande formulierten ihre Ansprüche gegenüber Deutschland in der Weise, daß sie auf Reparationen für die Zerstörung und Verwüstung durch die deutsche Okkupation verzichteten, dafür jedoch geringfügige Gebietsabtretungen forderten. Der Verfasser dieser Zeilen, der sich längere Zeit in den Jahren 1944, 1945, 1946 und 1947 in Overijssel, Drente, Bentheim und Bour- tanger Veen aufgehalten hatte, hat, besonders durch seine Tätigkeit in kgl. holländischen Diensten veranlaßt, in zwei veröffentlichten wissenschaftlichen Abhandlungen zu diesem Problem Stellung genommen, wobei er sich im Besitz des holländischen Memorandums befand, das er ins Deutsche übersetzte .

Das Problem der niederländischen Erdölgebietsforderungen ist ein nationales ge- worden , da in Nieder-Bentheim eine 6000 Köpfe starke niederländische Minderheit wohnt, die zusammen mit den sogenannten Volksniederländern, wenn man diesen Ausdruck hier verwenden darf, mehr als 50 Prozent der hier im Jahre 1940 ansässigen Bevölkerung ausmacht. Die niederländische Regierung ist auch im Gegensatz zur Ausweisungspolitik anderer ehemaliger Feindstaaten des Deutschen Reiches bereit, den im Jahre 1940 (Stichtag 10. Mai 1940) ansässigen Deutschen die niederländische Staatsbürgerschaft mit allen Grundrechten zu gewähren.

Wie ist nun das internationale Echo zum Problem des Emsmoor-Erdölfeldes? Frankreich und die USA sagten den Niederländern ihre Unterstützung zu, während England unentschlossen blieb, die Sowjetunion dagegen Stellung nahm. Maßgebliche Kreise sind jedoch der Ansicht, daß anläßlich des Abschlusses der Westeuropäischen Union in Brüssel zwischen den Benelux-Staaten und England und Frankreich bereits die Entscheidung gefallen sei und England seinen anfänglichen Widerstand aufgegeben habe. Sollte diese Vermutung richtig sein, so würden die Niederlande und mit ihnen die „Union der altniederländischen Staaten“ (Benelux) und weiter auch die Westeuropäische Union in den Besitz des größten nunmehr vereinten Erdölgebietes Europas kommen. Zum Verständnis des gesamten Problems ist eine kurze Einführung in die geographische und wirtschaftliche Struktur notwendig. Nach weitesten Schätzungen würde das Erdöl-

„Die Annexion von Dollarid, Bourtanger Veen und Nieder-Bentheim"; erschienen im Verlage der österr. Geograph. Gesellsch. 1946, Wien. „Die niederländischen Gebietsansprüche und ihre Bedeutung für Österreich“; rschienen in „Beridite und Informationen“ Nr. 62, Salzburg 1947.

gebiet folgende Landstriche umfassen: von den Niederlanden sämdiche Gebiete zwischen der alten Grenze und einer gedachten Linie von Winschoten (Provinz Groningen) im Norden bis Oinmen (Provinz Overijssel) im Süden. Auf deutschem Gebiet alles Land zwischen der alten Grenze und der Ems im Osten und der Vechte im Süden. Sollte das friesische Saterland und Teile Ostfrieslands ebenfalls Erdölvorkommen auf weisen, so würde trotz der Gebietsabtretungen Deutschland noch über beträchtliche Vorkommen verfügen. Interessant sind auch die Ergebnisse der Produktion und ihrer Steigerung in den letzten Jahren besonders auf niederländischer Seite.

Das Erdöl wird im holländischen Teil bisher in Tag- und Nachtschichten aus 24 Quellen gewonnen. Die Bohrmeister, Ingenieure und Geologen der B. P. M. stammen nicht aus der Umgebung und waren bisher als Fachleute in Indonesien tätig. Die gesamte übrige Belegschaft hingegen stammt aus den nächsten Orten der Ümgebung. In der Zeit vom Juli 1946 bis zum Mai 1947 hat sich die Produktion des drentischen Erdölgebietes verdreifacht. Man gewann im Juli 1946 aus 12 Quellen 150 Tonnen pro Tag, im Mai 1947 aus 24 Quellen 5 0 0 T o n- nen pro Tag, das ergibt 500.000 Liter pro Tag. Es ist daher ersichtlich, daß nicht nur die Produktion gesteigert wurde, sondern daß auch neue Quellen dazugekommen waren. Demgegenüber betrug der Gesamtkonsum der Niederlande an Erdöl im Jahre 1947 5000 Tonnen pro Tag. Es wurden daher im Jahre 1947 bereits 10 Prozent des Konsums aus eigener Produktion gedeckt. Durch weitere Bohrungen ist die Ausbreitung des Erdölgebietes nach Osten im Gange, so daß des öfteren zwischen zwei Bohrtürmen die deutsch-holländische Grenze hindurchläuft. Die Quellen selbst liegen 800 Meter unter der Erdoberfläche. Gegenwärtig verlädt die Verladestation Schoone- beek 43 Tonnen öl pro Tag.

An das drentische Erdölfeld schließt sich jenseits der Grenze das auf deutschem BodenliegendeBentheimerErd- ö 1 f e 1 d an, das von den Niederlanden beansprucht wird. Es ist trotz seiner Ausdehnung noch weit hinter dem holländischen Nachbarfeld zurück und auch in technischer Hinsicht diesem weit unterlegen, da Deutschland nicht über die notwendigen hochqualifizierten Fachleute verfügte, ja es sind sogar hier ein großer Teil der Belegschaft Niederländer. Das Ber.thsimer Bereich umfaßt zwei Felder, die von Emlichheim (holländisch Emmelenkamp) und Georgsdorf (holländisch Picardie), die im Jahre 1947 72.000 Tonnen produzierten. Beide Gebiete zusammen wiesen 1947 eine Gesamtproduktion von ungefähr 250.000 Tonnen auf, was einer Konsumdeckung des Jahres 1947 von 15 bis 20 Prozent in den Niederlanden entsprechen würde. Wenn man jedoch an einen Erfolg der Produktionssteigerung und Vergrößerung durch neue Bohrungen in dem vorgenannten umrissenen Gebiet nadi dem Schlüssel der Jahre 1946 oder 1947 denkt, ist das Gesamtgebiet des Ems-Erdölgebietes in der Lage, nicht nur die Niederlande zu versorgen, sondern auch über den Bedarf der Beneluxstaaten hinaus Erdöl zu exportieren, wobei die Transportkosten für Mittel- und Westeuropa sehr gering erscheinen müssen, so daß der Mineralölmarkt weitgehend beeinflußt würde. Die Niederlande sind durch ihr ausgezeichnet ausgebautes Binnenwasserstraßensystem und ihre hervorragend geschulten Fachkräfte — man įenkė nur an Deterding — in der Lage, zum neuen E r.d ö 1 z en t ru m Europas zu werden. Es ist daher klar, daß jenes Gebiet in einheitlicher Verwaltung ungleich größere Vorteile für Europa bildet“ als ein zerrissenes Gebiet, wobei der Kampf zwischen zwei oder mehreren Besitzern lähmend auf dessen Entwicklung wirken kann .

Für uns Österreicher wirft dieses Problem eine schwerwiegende Frage auf. Wie werden sich jetzt die Großmächte der Welt in der Zistersdorfer Frage verhalten, wenn unser österreichisches Erdölgebiet so in den Hintergrund gedrängt würde. Die Entwicklung der Emsmoor-Erdölvorkommen ist für Zistersdorf, trotz des fehlenden direkten Zusammenhanges beider Probleme, eine Lebensfrage!

Ob und unter welchen Bedingungen der für das verarmte Deutschland doppelt bedeutsame Schatzanteil unter dem Titel „Reparationen" an gerechnet werden kann, wird zweifellos den Gegenstand sehr gründlicher internationaler Verhandlungen zu bilden haben, in denen die von staatswirtschaftlichen Erwägungen losgelösten kommerziellen Gesichtspunkte n i h t allein entscheide d sein können. „Die Furche"

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