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Benelux

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Der Wiener Kongreß hatte dem belgischholländischen Raum durch seine Zusammenfassung im „Königreich der Vereinigten Niederlande“ eine politische und wirtschaftliche Einheit gegeben, die zerfiel, als sich die ehemaligen „österreichischen Niederlande“ als Königreich Belgien aus ihr lösten. Schon 1850 setzten die ersten Versuche ein, beide Staaten im wirtschaftlichen Bereich wieder zusammenzuführen. Sie mißlangen und die beiden Länder entwickelten sich im Laufe einer mehr als hundertjährigen Trennung zu sehr unterschiedlich organisierten und orientierten Wirtschaftsgebieten. 1922 schloß Belgien durch Wirt-schaftsunion das kleine, aber wirtsdiaftlich starke Luxemburg in sein Wirtschaftsgebiet ein. Es waren also die vielfältigen Rechte und Interessen zweier Zollgebiete, die zugleich drei souveräne Staaten bildeten, zu koordinieren, als vor zwanzig Jahren die Unionsverhandlungen wieder aufgenommen wurden.

Es handelt sich hier, weltwirtschaftlich gesehen, um ein bedeutendes Konzept. In den Gebieten der künftigen „Benelux“ ist eine sehr erhebliche Wirtschaftsmacht vereinigt. Sie zählen zu den dichtest besiedelten und gewerbefleißigsten Ländern des europäischen Kontinents. Reich an natürlichen Bodenschätzen, mit vorzüglichen Seehäfen ausgestattet, das Mündungsgebiet großer, weitausgreifender Ströme in sich schließend, geben sie einer Bevölkerung von gegenwärtig 18 Millionen Nahrung. Die Benelux . wird im Welthandel die dritte Stelle einnehmen, sie steht darin nur den Vereinigten Staaten und Großbritannien nach, das mehrfach größere Frankreich überflügelnd. Die besonders in Belgien hochintensivierte Wirtschaft hat zu einem regen Binnenverkehr beider Länder geführt:

Holland stand 1946 an der Spitze der Abnehmer Belgiens, während es als Lieferant bis dahin die vierte Stelle einnahm. Beide Staaten haben in ihrem Handelsverkehr mit Deutschland, vor allem durch die Vernichtung des Umschlegverkehrs ihrer Seehäfen, empfindliche Rückschläge erlitten, die solange nicht gutgemacht werden können, als der Rheinverkehr darniederliegt und England und Holland ihren Verkehr mit Deutschland über Hamburg und Bremen statt über Rotterdam und Antwerpen leiten. So müssen die beiden Staaten trachten, ihren Warenverkehr untereinander zu entwickeln. Sie sind überdies natürliche, sich in ihrer Leistung ergänzende Geschäftspartner, und Belgien hofft, den Verkehr mit Holland in beiden Richtungen auf je 9 Milliarden belgische Franken steigern zu können. Gemessen an dem belgisch-luxemburgischen Binnenverkehr, müßte eine Erhöhung des belgisch-holländischen Warenverkehrs auf 45 Milliarden belgische Franken möglich sein.

Eine so weitreichende und in die Struktur des gesamten Wirtschaftslebens eingreifende Maßnahme, kann nur schrittweise und unter Uberwindung erheblicher Schwierigkeiten gelöst werden. Es darf nicht übersehen werden, daß zu den an sich vorhandenen strukturellen Verschiedenheiten auch das sehr ungleiche Auftreten der Kriegseinwirkungen tritt. Holland, das viel tiefergehende Schäden erlitten hat, konnte 1946 erst 78 Prozent seiner Kapazität von 1938 wieder erreichen, während Belgien es bereits auf 94 Prozent gebracht hatte. Die Niederlande haben ein Drittel ihrer Handelsflotte und drei Viertel der Leistungsfähigkeit ihrer Häfen verloren, ihre Einfuhr fand 1946 nur zu 35 Prozent durch Exporte Deckung, während Belgien 56 Prozent erreichte. Schließlich ist letzterem auch der Besitz des Kongo nicht bestritten, während Hollands indonesisches Reich als wirtschaftliche Kraftquelle, wie immer sich dort die weitere Entwicklung gestalten mag, für lange Zeit ausfällt.

Man mußte deshalb mit großer Bedachtsamkeit verfahren, um nicht ein großes Unterfangen durch voreilige, allzuweit gespannte Maßnahmen zum Scheitern zu bringen.

Die Parlamente der drei beteiligten Staaten haben anfangs Juli ein Abkommen ratifiziert, das die holländisch-belgische Zolllinie wohl bestehen läßt, aber erhebliche, den beiderseitigen Bedürfnissen angepaßte Begünstigungen vorsieht. Muß doch vor einer gänzlichen Abschaffung der Zwischenzollschranken auch das System der Verbrauchs- und Verkehrsabgaben beider Länder den neuen Erfordernissen angepaßt werden. Der neue Zolltarif ist auf Grundlage eines schon 1937 vom Völkerbund ausgearbeiteten Schemas aufgebaut, das sich ausschließlich auf Wertzölle gründet. Die Vorschläge für die völlige Vereinheitlichung der Zollgesetze werden den beiden Regierungen vor dem 1. Jänner 1948 vorliegen, jene für die gleichmäßige Einrichtung der Verkehrs- und Verbrauchsabgaben vor dem 1. September 1948. Man rechnet übrigens mit einem gewissen' Anziehen der Preise in Holland als Folge des jetzt unterfertigten Teilabkommens. Das Problem der Preis-und Lohngestaltung in den teilhandelnden Ländern ist eines der schwierigsten und wird großer Sorgfalt und Voraussicht bedürfen.

In der letzten Stufe, der völligen Wirtschaftsunion, werden die Auswirkungen wie die zu regelnden Materien am gewichtigsten sein. Hier stehen für beide Staaten, ihres regen Seehandels wegen, die Transportfragen in weitestem Sinne mit an erster Stelle. Es ist ferner vorgesehen, den Postverkehr zwischen Holland und Belgien durch Anwendung der Inlandsgebühren zu verbilligen. Wichtige Kredit- und Geldfragen werden zu lösen sein, wobei zu erwähnen ist, daß Belgien bereits ein namhafter Geldgeber Hollands ist. Probleme der industriellen Produktion, der Anpassung der landwirtschaftlichen Erzeugung harren der Lösung, doch sind auf allen diesen Gebieten bereits ansehnliche Vorarbeiten geleistet. Die Wirtschaftsverhandlungen mit Frankreich werden bereits von einer dreiteiligen Kommission für Belgien, Holland und Luxemburg gemeinsam geführt und auch in Genf sind jüngst die künftigen Unionstaaten gemeinsam aufgetreten.

Das Konzept der Benelux hat bereits über seinen näheren Kreis hinaus Gutes bewirkt. Es hat die Bestrebungen zur Errichtung einer französisch-italienischen Wirtschaftsunion angeregt, ein Projekt, dessen Vorbesprechungen zufriedenste'lend beendet worden ain. sollen.

Anteil am Gesamtverkehr beider Länder

1938 1946

Holland. Export nach Belgien bfrs. 2075 Milliarden 9% bfrs. 2944 Milliarden 5,6%

Belgischer Export nach Holland bfrs. 2600 Milliarden 13% bfrs. 4480 Milliarden 15,1%

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